
Gaza am 12.
Oktober 2018 - Dr. Abed Schokry - Sehr geehrte Damen und
Herren, liebe Freundinnen und liebe Freunde, heute ist der
zweite Tag seit vielen Monaten, an dem wir für mehr als nur
VIER Stunden Strom bekommen werden. Das kam zustande, weil
Qatar zusammen mit der UNO und Israel es geregelt haben.
Verwunderlich für uns in Gaza ist nun allerdings die
Tatsache, dass Präsident Abbas diese Vereinbarung mit allen
ihm zur Verfügung stehenden Kräften zu verhindern versuchte.
So kann man es den arabischen und in den israelischen Medien
entnehmen. Ja, meine Damen und Herren, es ist soweit, dass
wir in Gaza von allen Seiten mehr oder weniger „geschlagen”
werden.
Sogar die, die uns vertreten sollen und angeblich wollen,
stellen sich gegen die Bevölkerung in Gaza. Was haben wir
getan? Warum geschieht uns das? Warum geht man so mit uns
um? Ich finde keine Antwort. Viele würden sagen, Abbas
versucht, die Palästinenser durch den Druck auf Hamas zu
vereinen. Andere würden sagen, er wolle eher das Gegenteil
erreichen, nämlich die absolute Spaltung der sowieso schon
zerstrittenen Palästinenser.
Ich weiß es nicht, was das Ziel sein soll, uns leiden zu
lassen.
Die Bevölkerung in Gaza hat genug von der israelischen
Besatzung, hat genug von Fatah und hat auch genug von Hamas.
Die Menschen wollen ein normales Leben haben und führen!
Allein die Tatsache, dass ich seit drei Jahren Gaza nicht
habe verlassen können, um meine „zweite Heimat“ Deutschland
zu besuchen, das reicht mir als Grund den Glauben an die
UNO, EU, USA usw. zu verlieren. All diese Organisationen
reden unermüdlich über die Menschenrechte und fordern deren
Einhaltung. Geht es aber um unsere Rechte in Gaza, schweigen
leider die meisten Regierungen. Dass unsere Menschenrechte
klar verletzt werden, weil wir in einem offenen Gefängnis
leben müssen, kann kein vernünftiger Mensch abstreiten. Dass
es ebenso gegen die Menschenrechte und auch gegen
internationales Recht verstößt, wenn auf diejenigen, die
gegen diesen unerträglichen Zustand aufbegehren, geschossen
wird, kann auch kein vernünftiger Mensch abstreiten.
Seit Ende März finden Freitagnachmittag immer
Demonstrationen an der Grenze zwischen dem Gazastreifen und
Israel statt. Junge Männer, alte Männer, Frauen und Kinder,
ganze Familien beteiligen sich daran. Bis heute wurden über
200 Personen erschossen und über 20 000 verletzt (nach
palästinensischen Angaben). Da sich die Demonstranten in
aller Regel 100 bis 300 Meter vom sogenannten Grenzzaun
entfernt befinden, stellen sie für die schwerbewaffneten
israelischen Soldaten, verschanzt auf bzw. hinter einem
Hügel liegend, grundsätzlich keine wirkliche Bedrohung dar.
Kaum jemand ist in der Lage, etwa einen Stein so weit werfen
zu können.
Ebenso sind die
selbstgebastelten „Flugobjekte“ doch nicht mit den Waffen
des israelischen Militärs zu vergleichen. Es kann deshalb
von Israel auch kein einziger Beweis vorgelegt werden, dass
ihre Soldaten lebensgefährlich attackiert wurden. In einem
Leserbrief in der israelischen Tageszeitung „Haaretz“ las
ich, dass für die israelischen Soldaten die Palästinenser
weniger Wert haben als alle anderen Lebewesen.
Die extrem hohe
Zahl der gezielt getöteten Palästinenserinnen &
Palästinenser und die unfassbar hohe Zahl der verletzten
palästinensischen Demonstranten bestätigt dies aus meiner
Sicht. Die Mehrheit der Verletzten sind junge Leute und
darunter viele, deren untere oder obere Extremitäten
aufgrund der Verletzungen amputiert werden mussten.
Die Rede
ist von ca. 2000 Personen. Neulich sah ich diese Verletzten
wartend auf der Straße vor dem Gebäude von „Ärzte ohne
Grenzen in Gaza“. Den Anblick dieser jungen und alten
Menschen kann ich nicht vergessen. Immer wieder geht mir der
Gedanke im Kopf herum: Werden sie jemals ein „normales“
Leben führen können, werden sie überhaupt noch eine Zukunft
haben?
Warum wurde auf
sie geschossen? Weil sie leben wollten, wie alle Menschen
auf dieser Welt?
Was sind das
überhaupt für Waffen, die die israelische Armee einsetzt?
Sind das vielleicht sonst auf der Welt geächtete und
verbotene Waffen?
Werden diese
Waffen vielleicht an Palästinenser „getestet“? Waren die
israelischen Soldaten so in Lebensgefahr, dass sie auf diese
Demonstranten schießen „mussten“. Wie ist es möglich, dass
die Weltgemeinschaft zu diesem vollkommen
unverhältnismäßigen Gewalteinsatz schweigt? Wieso nimmt sich
Israel heraus, gegen Menschenrecht und gegen Völkerrecht zu
verstoßen? Kann man mit dem Verweis auf die Geschichte
wirklich alles rechtfertigen?
Bei Wikipedia kann man unter dem Stichwort „Sperranlage um
den Gazastreifen“ folgendes lesen, das in Bezug auf den
darin angestellten Vergleich auch heute gültig zu sein
scheint.
„Kritisiert wird die von Israel einseitig verhängte 200 bis
300 Meter breite Sicherheitszone, die nicht betreten werden
darf. Durch diese sollen potenzielle Angreifer frühzeitig
erkannt werden, wenn sie sich dem Sicherheitszaun nähern,
der anders als bei den übrigen Grenzen Israels, nur einfach
ausgeführt ist und unmittelbar an der Patrouillenstraße
steht.
Dadurch sind
62,6 km² meist landwirtschaftliche Fläche im Gazastreifen
nicht nutzbar. Zwischen 11. September 2005 (Abzug der
Israelis) und Ende 2010 wurden in dieser Zone 177
Palästinenser durch die Armee getötet, darunter zumindest 38
Zivilisten.
Anfang 2010
wurde erstmals mittels offiziellem Flugblatt kundgetan, dass
das Betreten der Zone unter Lebensgefahr verboten sei. Am
28. April 2010 erklärte ein Armeesprecher die Zone zur
„Kampfzone“, als es zu Demonstrationen dagegen kam, im Zuge
derer das Feuer auf Unbewaffnete eröffnet worden war.
Diese Maßnahmen
und die Zahl der Toten weckten bei
Menschenrechtsorganisationen die Befürchtung, Soldaten
hätten an dieser Grenze einen Schießbefehl wie an der
Berliner Mauer, was von der Armeeführung vehement
zurückgewiesen wird. Jedenfalls ist die Zone nicht, wie
vorgeschrieben, deutlich markiert, weshalb immer wieder dort
arbeitende Bauern unter Beschuss gerieten. Laut UN-Daten
umfasst die Zone 17 % der Gesamtfläche und 35 % der
landwirtschaftlichen Nutzfläche und betrifft 113.000
Bewohner.“
Täglich lese ich Meldungen, dass eine militärische Operation
von Israel gegen Gaza bevorstünde. Mal denke ich, oh Gott,
gleich explodiert es und mal denke ich Nein, beide Seiten
sind doch nicht an einer Eskalation interessiert.
Diese
permanente Anspannung ist manchmal kaum auszuhalten. Und so
vergehen die Tage und wir werden älter und mit jedem neuen
Tag schwindet auch ein Teil unserer Hoffnung auf ein
normales Leben weiter.
Auch die
Ansprache von Präsident Abbas vor der UNO Vollversammlung
hat uns wohl nicht viel gebracht. Das ist die Meinung vieler
Menschen in Gaza. In diesem Gespräch listet er auf, wie
viele Beschlüsse der UN-Sicherheitsrat zu unseren Gunsten
gefasst hat, welche aber NIE umgesetzt wurden. Er listete
ebenso die Beschlüsse der UN Vollversammlung auf, die
ebenfalls NIE umgesetzt worden sind. Warum werden die
Beschlüsse nicht umgesetzt und warum passiert nichts, wenn
Israel die Beschlüsse ignoriert? Warum werden andere Länder
sanktioniert, wenn sie sich nicht an das Völkerrecht und an
die Beschlüsse der UNO halten, Israel aber nicht? Warum wird
permanent mit zweierlei Maß gemessen?
Zum Glück haben einige Länder versucht die Streichung der
Gelder durch die USA für die UNRWA etwas auszugleichen,
erreicht. Aber es gibt immer noch Löcher im Haushalt der
UNRWA. Weil die Lehrer nicht mehr bezahlt werden können,
musste die Anzahl der Schüler in den Grundschulklassen auf
45 - 48 erhöht werden. Das ist leider auch ein Ergebnis der
Streichung der Gelder an die UNRWA durch die USA.
Die innerpalästinensische Versöhnung ist nun in weite Ferne
gerückt. Und wie immer, jede Seite sagt, dass jeweils die
andere die gesamte Verantwortung für die miserable Lage
trägt. Dass aber beide Seiten dafür verantwortlich sind,
wollen sie nicht wahrnehmen. Ich habe das Gefühl, dass
unsere Führung/en den realen Bezug zu den Menschen nicht
mehr im Blick haben. Oder dass Ihre Berater Ihnen alles
durch die rosa Brille erzählen und zeigen.
Nach langer Zeit wollte ich unseren Kindern etwas Süßes
mitbringen. Als ich das Geschäft betrat, war ich überrascht,
denn das Geschäft, das eigentlich immer sehr voll war, fand
ich fast leer. Es ging und geht vielen kleinen Geschäften
und Familienbetrieben leider ähnlich. Es gibt kein Geld.
Eigentlich stehen wir nicht am Rande des Zusammenbruches,
sondern befinden uns schon im Abgrund selbst, denke ich
manchmal. Die Gehwege sind nun zu Geschäften geworden, denn
die Geschäftsinhaber können sich die Mieten nicht mehr
leisten und so kündigen sie die Mietverträge und stellen
ihre Ware auf den Gehweg. Und sie verkaufen billiger. Die
Preise für viele Produkte, die in Gaza hergestellt werden,
sind gesunken, da die Menschen kaum Geld haben. Über eine
Viertel-Millionen junge Menschen mit Universitätsabschluss
sind in Gaza auf Arbeitssuche. Hinzu kommen die, die keinen
Universitätsabschluss haben.
Vor drei Tagen
las ich die folgende Meldung: Eine berühmte Bäckerei in
Gaza, veröffentlichte auf ihrer Facebook Website, dass "3000
Menschen sich um eine Stelle als Bäcker, innerhalb von nur
24 Stunden beworben haben". Ihr Alter lag zwischen 18 und 49
Jahre. 60 Personen hatten einen Bachelorabschluss und einer
einen Master. Unter diesen katastrophalen Lebensbedingungen
ist es kein kein Wunder, dass jeder und jede froh ist, wenn
er oder sie überhaupt etwas Geld verdienen kann.
Seit über elf Jahren leben wir wieder in Gaza. Ich kann mich
nicht an einen einzigen Tag erinnern, an dem meine Frau,
meine Kinder und ich am Abend sagen können, dass es ein
uneingeschränkt schöner Tag war. Dennoch versuchen wir
unsere Kinder so zu erziehen, dass sie anders denkenden bzw.
anders aussehenden Menschen nicht hassen. Das gelingt uns
auch meistens. Aber es gibt Momente, in denen wir kaum noch
Kräfte und Hoffnung mehr aufbringen können. Gott sei Dank,
kommen diese Momente nicht so oft vor, denn wir wollen
unseren Kindern ein Vorbild sein, denn ganz besonders sie
dürfen die Hoffnung auf ein besseres Leben, auf ein Leben
wie das anderer Kinder und Jugendliche auch nicht aufgeben.
Ich danke Ihnen und Euch in Deutschland, in meiner „zweiten
Heimat“ dafür zu wissen dass, wir nicht allein sind. Das
stärkt uns und gibt uns Kraft und macht uns Mut. DANKE.
In der Hoffnung, in meiner nächsten Mail weitere positive
Meldungen Ihnen und Euch senden zu können, und zwar über ein
paar mehr Stunden Strom hinausgehend, verbleibe ich für
heute - Mit freundlichen Grüßen Ihr Dr. Abed Schokry
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Israel: Anträge
auf Waffenerlaubnis um 183% gestiegen - 12.10.2018 - Ein
neuer Bericht hat aufgedeckt, dass die Zahl der Anträge von
Israelis auf eine Waffenerlaubnis innerhalb der letzten zwei
Monate im Vergleich zum selben Zeitraum im vergangenen Jahr
um 183% gestiegen ist.
Die Steigerung erfolgte, nachdem der Minister für
öffentliche Sicherheit, Gilad Erdan, entschied, einige der
Restriktionen für die Vergabe solcher Genehmigungen
abzuschaffen, wie die Tageszeitung Haaretz berichtet. Im
August kündigte Erdan an, das Verfahren zu vereinfachen,
damit Israelis solche Genehmigungen erhielten, insbesondere
jene, die in der Nähe der Grenze oder in Gebieten leben, in
denen Palästinenser leben.
Seither haben 2.800 Israelis einen Antrag auf eine solche
Genehmigung zum Tragen von Waffen gestellt, was eine Zunahme
um 183% im Vergleich zum Vorjahr darstellt.
Laut Haaretz hatte das Ministerium für öffentliche
Sicherheit anfangs geschätzt, dass zwischen 35.000 und
40.000 israelische Bürger einen solchen Antrag stellen. "Das
Ministerium für öffentliche Sicherheit schätzt, dass 10.000
Israelis eine Genehmigung zum Tragen von Waffen erhalten
werden, womit die Zahl der Bürger mit solchen Genehmigungen
ohne Polizei und Armee auf 140.000 kommen werde", schrieb
die Zeitung.
Eine Knessetabgeordnete, die Araberin Aida Touma Suleiman,
warnte, dass die Lockerung der Restriktionen für den Erhalt
der Waffenerlaubnisse das Leben einer halben Million
Menschen in Gefahr bringt, die sterben könnten, weil es
leicht ist auf den Abzug zu drücken und sich mit
Selbstverteidigung zu rechtfertigen.
Suleiman betonte, dass "bestimmte Menschen, in erster Linie
Juden, im Namen des Rechts auf Selbstverteidigung angesichts
des Terrorismus zu bewaffnen Hetze gegen Araber und das
palästinensische Volk bedeute. Die Entscheidung Waffen in
die Hände bestimmter Menschen zu geben bedeutet, dass Israel
sie animiert, jedesmal wenn sie sich persönlich in Gefahr
fühlen, Exekutionen durchzuführen."
Quelle
Übersetzung: K. Nebauer |