
Christus in Trümmern
Gegen Tod, Vertreibung und Unterdrückung:
Bethlehems revolutionäre Weihnachtsbotschaft in die Welt
Helga Baumgarten, Jerusalem - 24.12.2024
Schon seit Anfang der 90er Jahre war es extrem schwierig, Menschen aus dem Gazastreifen nach Jerusalem zu bringen, selbst Kranke und kranke Kinder. Endlose Prozesse der Antragstellung, zermürbende Bürokratie, trotz der Hilfe israelischer Organisationen wie »Gisha«.
Horror und Entsetzen in der evangelischen Weihnachtskirche mitten in der Altstadt in Bethlehem: Der Völkermord im Gazastreifen dauert nun schon 400 Tage an. 400 Tage des Grauens, des Tötens, des Mordens, des Zerstörens: Mindestens 17.000 Kinder sind tot. Und die Welt schaut zu. Die reichen Staaten des Nordens schicken Waffen nach Israel und unterstützen den Völkermord. Waffenkonzerne streichen ungeahnte Profite ein.
Von den offiziellen Kirchen der Welt kommen fast nur leere Worte. Sie behaupten, sie wollten Frieden, bestehen aber gleichzeitig darauf, dass Israel ein Recht auf Selbstverteidigung habe. Denn zuerst und vor allem fühlen sie sich Israel verpflichtet.
Hier erinnert der Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Weihnachtskirche, Munther Isaac, alle an die revolutionäre Botschaft aus Bethlehem: Jesus wurde als Vertriebener in Armut geboren. Ein imperialer Herrscher mordete Kinder, nur um Jesus zu finden, und trieb seine Eltern in die Flucht nach Ägypten. Kinder als Kollateralschaden, wie in Gaza. Man mordet viele, um einen zu fassen. Maria und Joseph musste mit ihrem neugeborenen Baby fliehen.
Pfarrer Munther weist auf den sich aufdrängenden Vergleich mit Gaza seit 2023 hin, einen Vergleich, der für jeden, der Augen hat zu sehen und Ohren hat zu hören, offensichtlich sein sollte. Nur: Die Reichen der Welt, die Mächtigen und nicht zuletzt die Kirchen, die sich an die Reichen und Mächtigen halten, sie alle schließen davor Augen und Ohren. Der reiche Norden mit seiner kolonialen Vergangenheit und seiner imperialen Politik heute, allen voran die USA und Europa – und Deutschland spielt eine schockierend beschämende Rolle dabei –, beanspruchen Jesus für sich. Sie formen ihn um nach ihren Wünschen und nach ihrem Bild.
Die ursprüngliche Botschaft aus Bethlehem wollen sie nicht mehr hören. Es ist lediglich ein Pilgerort im Westjordanland für sie, durch den man ziehen muss, um dann schnell wieder in das verbündete reiche und starke und so westlich-moderne Israel zurückzugehen. In Bethlehem nehmen diese sich christlich nennenden Touristen die Menschen nicht wahr. Palästinenser existieren gar nicht für sie. Sie sehen dort nur feindliche Muslime. Die Christen in Bethlehem vergessen sie, weil sie nicht in ihr Weltbild passen.
Dehumanisierung eines ganzen Volkes, das Freiwild für die Besatzungsmacht wird, mit dem Segen des Nordens. »Ethnische Säuberung« und zunehmende Gewalt in der Westbank und in Ostjerusalem, Völkermord im Gazastreifen: Was schert es den reichen Norden? Der Verbündete ist Israel. Und das hat »Narrenfreiheit«, darf morden und zerstören, wie es ja der Norden seit Jahrhunderten macht, die USA weltweit, die Deutschen mit ihrer »Gründlichkeit« zuerst in Namibia, dann in Europa: Millionen Mordopfer.
Pfarrer Munther legt seinen Finger in diese Wunde und spricht Klartext. Die Palästinenser werden nicht erst seit dem Oktober 2023 unterdrückt, getötet, gemordet, vertrieben, ihre Häuser zerstört und bombardiert. Gaza ist seit 2006 hermetisch abgeriegelt und unter einer menschenverachtenden Blockade. Zahllose Kriege wurden gegen die Menschen in Gaza geführt: 2006, 2008/09, 2012, 2014, 2021, 2023 im Sommer und schließlich der gnadenlose Völkermord seit 400 Tagen.
Westbank, Ostjerusalem und der Gazastreifen sind seit 1967 von Israel besetzt, und die Vertreibung hat mit der Gründung des zionistischen Israel begonnen, 1948, mit der palästinensischen Nakba (Katastrophe). Grundübel – und hier ist Pfarrer Munther in Einklang mit der Jewish Voice for Peace, mit Zochrot und mit Akademikern wie nicht zuletzt Ilan Pappe – ist die zionistische Ideologie, die seit Ende des 19. Jahrhunderts vorgibt, dass jüdische Einwanderer nach Palästina in ein Land ohne Volk kommen können. Begründer Theodor Herzl und die zionistische Bewegung weigerten sich einzugestehen, dass es in eben diesem Land ein Volk gab und gibt: die Palästinenser. Diese Ignoranz wird von christlichen Zionisten weltweit unterstützt.
Das siedlerkolonialistische Israel, das ein Apartheidsystem aufgebaut hat – schlimmer als die Apartheid in Südafrika, wie Bischof Desmond Tutu und weitere Südafrikaner immer wieder betont haben und betonen –, muss transformiert werden in ein Land ohne Zionismus und ohne Siedlerkolonialismus. Es muss zu einem Land werden, in dem alle Menschen gleichberechtigt und frei leben können. Gerechtigkeit muss sich durchsetzen. Für den christlichen Zionismus ist das Anathema.
Zum Abschluss seiner Weihnachtspredigt betont Pfarrer Munther das Prinzip Hoffnung. Nicht ohne Stolz verkündet er: »Wir Palästinenser geben nicht auf. Wir werden nie aufgeben. Seit 1948 mehr >>> |

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„Christus liegt noch in den Trümmern:
Eine Liturgie des Sumud“ mit einer Predigt von Rev. Dr. Munther Isaac
20.12.2024
In dieser Adventszeit, in der sich Christen in aller Welt darauf vorbereiten, der Ankunft des Friedensfürsten zu gedenken, leiden unsere palästinensischen Brüder und Schwestern in Gaza erneut unter unvorstellbarer Gewalt. Ihre Rufe nach Befreiung, die an die vor zwei Jahrtausenden erinnern, scheinen zum zweiten Mal in Folge in den Vereinigten Staaten ungehört zu verhallen.
Um ihren Schmerz zu sehen und ihre Schreie zu hören, müssen die amerikanischen Christen über die Information hinausgehen und etwas verändern... vom Webinar zum Gottesdienst.
Am 20. Dezember 2024 haben sich eine Reihe von Organisationen - Christ at the Checkpoint, Christmas Lutheran Church, Churches for Middle East Peace (CMEP), Global Immersion, Red Letter Christians, Sabeel Ecumenical Liberation Theology Center, Samud Initiative der Evangelical Lutheran Church in America (ELCA) - zusammengeschlossen, um gemeinsam einen Live-Gottesdienst zu übertragen, der von Rev. Dr. Munther Isaac und dem Team der Christmas Lutheran Church in Bethlehem geleitet wird.
Im vergangenen Jahr wurde die Predigt „Christ in the Rubble“ von Pfarrer Munther Isaac durch die prophetische Botschaft des Gottesdienstes, der Gerechtigkeit in Palästina forderte, zu einem Phänomen in christlichen Gemeinden und auf der ganzen Welt. In diesem Jahr lautet das Thema „Christ is Still in the Rubble“, und Pfarrer Dr. Isaac wird wieder eine Adventsbotschaft in die Welt senden - live aus der Christmas Lutheran Church in Bethlehem. Der Gottesdienst wird in arabischer Sprache mit englischen Untertiteln abgehalten, und die Predigt von Pfarrer Dr. Isaac wird auf Englisch gehalten.

Christus liegt noch in den Trümmern: Predigt von Rev. Dr. Munther Isaac
Von Rev. Dr. Munther Isaac - 20. Dezember 2024
440 Tage sind vergangen. 440 Tage Dauerbombardement. Nonstop. 440 Tage Hunger. Und 17 Jahre Belagerung und Gefangenschaft. Zehntausende getötet. Verwundete. Für immer behindert. Gefangen. Verhungert. Mehr als 17.000 Kinder starben. Es ist, als hätten wir zugesehen, wie sie getötet wurden, eines nach dem anderen. 440 Tage lang haben die Menschen in Gaza Live-Bilder von ihren Hinrichtungen geteilt; lebendig verbrannt. Und wir können es nicht stoppen.
Trump hat gesagt, wenn die Geiseln im Januar nicht freigelassen werden, wird es die Hölle auf Erden geben! ES IST BEREITS DIE HÖLLE! Wovon redet er? Es war schon vor dem 7. Oktober 16 Jahre lang die Hölle. Und natürlich spricht niemand von den palästinensischen Geiseln.
Es ist schwer zu glauben, dass schon wieder Weihnachten ist und der Völkermord immer noch nicht aufgehört hat. Er hat sich ausgeweitet. Uns fehlen die Worte. Wir fühlen uns machtlos, ihn zu stoppen. Die Entscheidungsträger sind zufrieden, dass es so weitergeht. Für sie sind die Palästinenser überflüssig. Und sie wissen es. Sie beobachten uns. Es ist nicht so, dass die Schrecken dieses Völkermordes erst entdeckt werden, wenn alles gesagt und getan ist. Nein, er ist gut dokumentiert. Wir alle beobachten ihn. Sogar die Täter, die skrupellosen Soldaten und ihre Vorgesetzten, teilen die Bilder ihrer eklatanten Verbrechen gegen die Menschlichkeit und brüsten sich damit. Sie erfreuen sich an unserer Auslöschung und Vernichtung. Israelische Nachrichten berichteten von Soldaten, die darum wetteifern, willkürlich möglichst viele Zivilisten zu töten. Und das sind nicht nur Soldaten, die „Befehle ausführen“. Es ist zu einer Art Freizeitbeschäftigung geworden - man kann sogar auf die Hügel gehen und unsere Exekutionen live miterleben - sie haben dafür eine Touristenattraktion geschaffen. Oder eine Bootsfahrt für die ganze Familie! Ein gemütlicher Nachmittag, an dem man zusieht, wie die Bomben auf Gaza fallen. Sie feiern das. Es ist für sie zur Unterhaltung geworden. Sie sehen uns nicht als Menschen. Denn in der Logik des Siedlerkolonialismus war das Land, obwohl sie wussten, dass dort immer Menschen gelebt haben, „leer“ von denen, die sie für Menschen hielten.
Aber es waren auch 440 Tage des Widerstands und sogar der Schönheit. Ich denke an unsere Helden in Gaza: die Ärzte, die Sanitäter, die Retter, die Freiwilligen - diejenigen, die sich für ihre Mitmenschen aufopfern und alles geben. Ich denke an diejenigen, die Schulen in Zelten errichtet haben. Diejenigen, die den vertriebenen Kindern Musik vorspielen, um ihnen ein Lächeln inmitten von Schmerz und Zerstörung zu schenken. An die Köche, die Massen an Essen zubereiten. Und die Kleinsten, die sich um ihre Geschwister kümmern. Der Verlust ist enorm. Aber wir haben weder unseren Glauben noch unsere kollektive Menschlichkeit verloren. Das ist das Schöne, von dem ich spreche.
Wir erinnern uns besonders an unsere standhaften Kirchen in Gaza, die ihre Söhne und Töchter trotz der Brutalität umarmt, unterstützt und für sie gelitten haben. Inmitten des Völkermords beten und dienen sie weiter.
Heute fragen wir: Was ist aus der Menschlichkeit geworden? Ich fürchte wirklich um unsere kollektive Menschlichkeit, wenn ein Völkermord solchen Ausmaßes normalisiert, ja sogar gefeiert wird. Ich fürchte um unsere Seelen, weil wir uns an die Bilder von Kindern gewöhnt haben, die leblos unter Trümmern hervorgezogen werden, von Plastik- und Stoffzelten, die zerbombt werden, von Menschen, die verhungern. Wie sind wir abgestumpft? Wie können wir das mit ansehen? Wir müssen dagegen ankämpfen. Wir dürfen nicht zufrieden sein. Wir müssen die wachsende Apathie bekämpfen. Wir dürfen nicht ruhen, wir dürfen nicht müde werden. Wenn wir das tun, geben wir nicht nur die Menschen in Gaza auf, sondern auch unsere eigene Menschlichkeit. Deshalb müssen wir weiter über Gaza und alle Orte systematischer Unterdrückung und Tötung sprechen, bis dem ein Ende gesetzt wird.
Letztes Jahr habe ich gesagt, dass Schweigen Mittäterschaft ist. Das ist vorbei. Taubheit ist Verrat an der Menschheit. An Ihrer und an der Menschlichkeit der Menschen in Gaza.
Ebenso müssen wir darauf bestehen, dass alle, die Kriegsverbrechen begangen haben, zur Rechenschaft gezogen werden. Wir dürfen Straffreiheit nicht normalisieren. Was für eine Welt und was für eine Zukunft hinterlassen wir unseren Kindern, wenn wir eine Realität akzeptieren, in der Kriegsverbrecher ungestraft davonkommen, ja sogar ermutigt werden, in der sie offen mit ihren Verbrechen prahlen und anstatt Gerechtigkeit zu erfahren, in Kongresssälen Beifall erhalten und von europäischen Parlamenten verteidigt werden. Und sie wagen es immer noch, uns über Menschenrechte und Völkerrecht zu belehren.
„Nie wieder“ ist nur ein Slogan. Leere Worte. Nie wieder" sollte für alle Völker "nie wieder" bedeuten. Nie wieder" ist wieder einmal geworden. Wieder zu Herrschaft. Wieder zu Rassismus. Wieder zum Völkermord.
Und leider ist ‚Nie wieder‘ wieder einmal geworden für die Instrumentalisierung der Bibel und für das Schweigen und die Komplizenschaft der westlichen Kirche. Wieder einmal für eine Kirche, die sich auf die Seite der Macht stellt, auf die Seite des Imperiums.
Heute, nach all dieser totalen Zerstörung und Vernichtung - Gaza ist ausgelöscht - sind Millionen zu Flüchtlingen und Obdachlosen geworden, Zehntausende wurden getötet. Warum wird immer noch darüber diskutiert, ob es sich um einen Völkermord handelt oder nicht? Aber wenn ein Kirchenführer einfach nur dazu aufruft, zu untersuchen, ob es sich um einen Völkermord handelt, wird er dafür kritisiert und es wird zur Eilmeldung.
Die Beweise sind eindeutig. Die Wahrheit ist klar. Die Frage ist nicht, ob es sich um Völkermord handelt - das ist nicht Gegenstand der Debatte. Die eigentliche Frage ist: Warum nennt die Welt und warum nennt die Kirche das nicht Völkermord? Es spricht Bände, wenn man leugnet, wenn man ignoriert, wenn man die Sprache des Genozids nicht benutzt. Es ist Heuchelei - denn Sie haben uns jahrelang über Völkerrecht und Menschenrechte belehrt. Es sagt viel darüber aus, wie Sie uns Palästinenser sehen. Und es sagt viel über Ihre moralischen und ethischen Standards aus. Es sagt viel darüber aus, wer Sie sind, wenn Sie sich von der Wahrheit abwenden, wenn Sie sich weigern, Unterdrückung beim Namen zu nennen.
Oder wäre es vielleicht ein Schuldeingeständnis, wenn man die Realität als das anerkennt, was sie ist, nämlich als Völkermord? Weil es ein Krieg war, den so viele als „gerecht“ und als „Selbstverteidigung“ verteidigt haben?
Eines Tages wird der Völkermord enden. Bald, so beten und flehen wir. Aber die Geschichte wird sich daran erinnern, wo die Menschen standen. Was sie gesagt haben. Sie werden nicht sagen können, sie hätten es nicht gewusst. Deshalb bestehen wir darauf, dass es nicht nur um Gaza oder Palästina geht. In Palästina treffen Kolonialismus, Herrschaft, die Logik des Rechts des Stärkeren, Militarismus, Rassismus und religiöser Fundamentalismus aufeinander.
Palästina ist eine menschliche und moralische Frage. Für die Kirche ist es auch eine theologische Krise, wie ein Freund von mir kürzlich sagte. Die Glaubwürdigkeit unseres Zeugnisses steht auf dem Spiel. Wir haben es hier mit den tragischen Folgen einer schlechten Theologie zu tun. Tatsächlich geht es um viel mehr als nur um „schlechte Theologie“ oder Ideologie. Zionismus und christlicher Zionismus sind Herrschaftsideologien. Es ist Rassismus. Sie haben Gott zu einer rassistischen Stammesgottheit nach ihrem Bilde gemacht. Das muss beim Namen genannt werden.
Wir gedenken heute auch all derer, die für Gerechtigkeit und Wahrheit gekämpft haben; all derer, die sich der Entmenschlichung widersetzt haben; viele von ihnen haben dafür einen hohen Preis bezahlt. Wir verneigen uns vor ihnen. Solidarität hat ihren Preis. In den letzten 440 Tagen haben wir Sie gehört, in den Kirchen, Moscheen und Synagogen, auf den Straßen, in den Universitäten, in den Regierungsgebäuden, vor den Waffenfabriken, protestierend, organisierend, Druck ausübend ... wir haben Sie gehört.
Liebe Freunde, es ist in der Tat schmerzlich, in einer Zeit zu leben, in der vor den Augen der Welt ein Völkermord begangen wird und wir uns machtlos fühlen, ihn zu stoppen. Heute, da wir uns um „Christus in den Trümmern“ versammeln, gedenken wir der Kinder von Gaza, der Kinder von Bethlehem vor ihnen und vieler anderer auf der ganzen Welt, die der Tyrannei des Herodes und seiner modernen Pendants zum Opfer gefallen sind. Das Massaker an den Unschuldigen.
Eine Stimme wurde in Rama gehört, der Prophet rief vor Tausenden von Jahren, weinend und trauernd. Rahel weint um ihre Söhne und Töchter und weigert sich, sich trösten zu lassen, weil sie nicht mehr sind. Eine Stimme wurde in Bethlehem gehört, und heute hören wir dieselbe Stimme in Gaza: weinend und in großer Trauer.
Wir weinen, wir sind am Boden zerstört, wir leiden. Und wir rufen: Wie lange noch, o Herr? Warum, o Herr? Warum lässt du das zu, warum schweigst du? Die Menschheit hat den Weg des Herodes gewählt. Sie verherrlicht Macht und Grausamkeit. Sie verherrlicht Herrschaft, Gier, Waffen und sogar die Vernichtung anderer. Herodes ist nicht der Erste und nicht der Letzte. Das ist die Logik des Imperiums. Und wir haben Gott nach diesem Bild geformt und ihn zu einem Kriegsgott gemacht!
Auch das ist das Ergebnis einer Ausgrenzungsmentalität. Selbst Gott haben wir zu einem Stammesgott gemacht, der ausgrenzt und selektiert - ein Gott des einen Volkes auf Kosten des anderen, der einen Religion auf Kosten der anderen, der einen Nation auf Kosten der anderen. In unserem menschlichen Rassismus haben wir aus Gott einen Rassisten gemacht!
Aber die Frage bleibt: Warum schweigt Gott? Wie lange noch wird Rahel um ihre Kinder weinen? Wie lange noch wird Gaza weinen? Wir haben diese Frage immer wieder gestellt, bis wir diesen Gott in seiner Menschwerdung gesehen haben, der unser Schicksal geteilt hat. Er hat seine Kindheit überlebt, aber nicht seine Jugend. Als Kind floh er und wurde ein vertriebener Flüchtling in Ägypten, aber seine Jugend überlebte er nicht. Er wurde gekreuzigt, getötet von der Logik des Imperiums, der Anbetung der Macht und des Extremismus. Er teilte unser Schicksal, unser Leiden und rief den gleichen Schrei wie wir heute: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Deshalb haben wir letztes Jahr gesagt: „Christus ist in den Trümmern“, und dieses Jahr sagen wir: „Christus ist immer noch in den Trümmern“. Das ist seine Krippe. Jesus findet seinen Platz bei den Ausgegrenzten, den Gequälten, den Unterdrückten, den Vertriebenen. Wenn wir auf die Heilige Familie schauen, sehen wir sie in jeder vertriebenen und obdachlosen Familie, die in Verzweiflung lebt. In der Weihnachtsgeschichte geht Gott mit ihnen und macht sie zu seinen eigenen.
Heute wollen wir über das Jesuskind nachdenken - das Kind von Bethlehem. Im Zentrum der Menschwerdung steht ein Kind. In seiner Schwäche ist es unsere Hoffnung, unser Trost und unsere Kraft. Dieses Kind hat den Thron des Herodes erschüttert. Während die einen von ihrem „Römischen Reich“ sprechen oder Herodes als „groß“ verherrlichen, sind wir Christen diejenigen, die von einem Kind singen, das von Flüchtlingen geboren wurde, die einem Massaker entkommen sind. Und man kann nicht beides verehren. Ich bete, dass sich das Bild des Kindes in den Trümmern tief in unseren Herzen und Gedanken einprägt. Es wurde mitten unter uns geboren und kam unter den schwierigsten und härtesten Umständen in unsere Welt. Seine Familie hat viel gelitten, um sein Leben zu schützen. Die Kinder von Bethlehem wurden massakriert, aber nicht alle. Jesus überlebte diesen Völkermord, wurde mit seiner Familie Flüchtling in Ägypten, kehrte dann in sein Land und zu seinem Volk zurück, diente, baute, arbeitete und brachte Erlösung und Rettung. In diesem widerstandsfähigen Kind und seiner Familie finden wir Hoffnung. Dieses Kind, das wir heute zwischen den Trümmern sehen, stand einst vor Pilatus und Herodes, stand selbst dem Tod gegenüber und hat gesiegt und ewiges Heil geschenkt.
Mit dieser Hoffnung und diesem Glauben halten wir durch. Wir verweigern uns der Verzweiflung, denn unser Glaube ist der Glaube an die Auferstehung. Aus den Trümmern wird eine Pflanze des Lebens wachsen, die die Verheißung eines neuen Tages ankündigt. Die Gewissheit einer Ernte, in der Gerechtigkeit und Wiederherstellung gedeihen und der Weinstock Früchte trägt, die die kommenden Generationen ernähren werden. Wie der Dichter Mahmoud Darwish sagte: „Die Körner einer sterbenden Ähre füllen das Tal mit Ähren“.
Wir nehmen unsere Berufung in dieser verwundeten Welt und in diesem verwundeten Land an. Wir bestehen darauf, in jedem Opfer von Unterdrückung, Ausgrenzung und gewalttätigen Ideologien der Herrschaft und des Imperiums das Bild Jesu zu sehen. Wir werden weiterhin Gottes Güte und Gerechtigkeit verkünden.
Es waren 440 Tage des palästinensischen Widerstandes - Sumud. Eigentlich 76 Jahre Sumud. Aber wir haben die Hoffnung nicht verloren und werden sie nicht verlieren. Ja, es sind 76 Jahre der andauernden Nakba, aber es sind auch 76 Jahre palästinensischer Standhaftigkeit, Sumud, des Festhaltens an unserem Recht und der Gerechtigkeit unserer Sache. 76 Jahre des Betens und Singens für den Frieden - wir sind ein hartnäckiges Volk. Wir werden weiterhin die Worte der Engel wiederholen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden!
Und heute sagen wir: Unser Glaube an den Gott der Wahrheit und der Gerechtigkeit ist unsere Hoffnung. Heute rufen wir weiter zu ihm, weil wir glauben, dass er uns hört, weil wir an seine Gerechtigkeit und Güte glauben. Und weil wir an seine Solidarität mit den Unterdrückten glauben! „Ich weiß, dass der Herr den Armen Recht verschafft und den Elenden Gerechtigkeit.“ (Psalm 140,12)
Lasst uns in unserer Standhaftigkeit - sumud - Augen des Glaubens haben, um zu erkennen und zu glauben, dass jeder Herodes vergehen und jeder Cäsar verblassen wird, weil Reiche ein Verfallsdatum haben, und lasst uns daran denken, dass die Sanftmütigen und nicht die Mächtigen die Erde erben werden. In unserem Schmerz und unserer Unterdrückung könnten wir das Gefühl haben, dass der Tod das letzte Wort hat, dass Herodes der Herrscher ist. Aber mit den Augen des Glaubens sehen wir, dass Gott das letzte Wort hat: und es ist ein Wort des Lebens und des Lichts, nicht des Todes und der Finsternis. An Weihnachten hat Gott gesprochen, und das Wort ist Christus. Christus ist geboren! Halleluja! Friede auf Erden, Halleluja! So soll es heute sein - Amen! Quelle
Pfarrer Dr. Munther Isaac ist ein palästinensischer christlicher Pfarrer und Theologe. Er ist Pastor der evangelisch-lutherischen Weihnachtskirche in Bethlehem und der lutherischen Kirche in Beit Sahour. Er ist außerdem akademischer Dekan am Bethlehem Bible College und leitet die Christ at the Checkpoint-Konferenzen. Munther ist ein leidenschaftlicher Verfechter der palästinensischen Theologie.
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