An
die Damen und Herren des Münchner Stadtrates per Email
- Nirit Sommerfeld - Donnerstag, 13. Juli 2017 - (doc)
zum Antrag der SPD- sowie der
CSU-Stadtrats-Fraktionen ,,Gegen jeden Antisemitismus!"
Sehr geehrte Damen und Herren des Münchner Stadtrates,
am 1 1.7.2017 stellten Damen und Herren der SPD- sowie
der CSU-Stadtrats-Fraktionen einen Antrag, der überschrieben
ist mit „Gegen jeden Antisemitismus!" - ein Aufruf,
den ich ich grundsätzlich sehr begrüßen würde, wäre
er nicht ausschließlich bezogen auf die BDS Kampagne,
die fälschlicherweise als antisemitisch bezeichnet wird.
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini machte schon
mehrfach bei verschiedenen Gelegenheiten mit Verweis
auf die UN Grundrechts-Charta unmissverständlich klar,
dass die BDS-Maßnahmen Teil der Meinungs- und Assoziationsfreiheit
seien. Würde Frau Mogherini in München vor verschlossenen
(städtischen) Türen stehen? Würden Sie Frau Mogherini
in München „Antisemitin!" zurufen? Würden Sie auch Desmond
Tutu vor verschlossenen Türen stehen lassen, den Friedensnobelpreisträger,
der sich ausdrücklich für BDS ausspricht?
Ich bin deutsche und Israelin. Seit meinem achten Lebensjahr
lebe ich mit Unterbrechungen in München und Umgebung.
Ich bin in Israel geboren und aufgewachsen, mein Vater
war Holocaust-Überlebender, der fast seine ganze Familie
in Konzentrationslagern verloren hat. Ich habe mit der
Muttermilch gelehrt bekommen, was Antisemitismus ist,
ich habe ihn zum Glück sehr selten am eigenen Leib erfahren.
Meine ganze Familie mütterlicherseits lebt in Israel,
mich verbinden enge Freundschaften dorthin - und dennoch
musste ich mich vor einigen Jahren gegen ein Leben in
diesem Land entscheiden. Unter anderem deswegen, weil
mir nirgends so viel Rassismus und Antisemitismus begegnet
ist wie dort.
Ich möchte Ihnen im folgenden erläutern, warum ich Ihnen
dringend und aus meiner sehr persönlichen Sicht als
Israelin und Deutsche empfehlen möchte, dem o.g. Antrag
nicht stattzugeben.
Über die politischen Hintergründe muss ich Ihnen wohl
nichts erzählen; ich gehe davon aus, dass Sie wissen,
wie etwa in der EU mit dem Boykott von Waren aus den
illegalen Siedlungen umgegangen wird. Sie alle kennen
die Forderung, das EU-Assoziierungsabkommen auszusetzen,
solange Israel massiv Menschenrechte verletzt; natürlich
wissen Sie auch alle, dass Meinungsfreiheit und die
Freiheit, Dinge zu boykottieren, zu unseren demokratischen
Grundrechten gehören. Sie kennen die Geschichte Südafrikas
und erinnern sich alle daran >>>
Sehr geehrte
Damen und Herren der Münchner Stadtratsfraktionen der
CSU und SPD voller Wut und Entsetzen habe ich den Antrag der CSU/SPD Stadtratsfraktionen
hinsichtlich der BDS-Kampagne und der Jüdisch Palästinensischen
Dialoggruppe München
zur Kenntnis genommen.
-
Fuad Hamdan
Mit Ihrem Antrag diffamieren
Sie eine über 30 Jahre alte Dialoggruppe, die, wie der
Name schon sagt, Dialog zwischen Juden und Palästinensern
führt
und fördert.
Als ich Mitte der Achtziger Jahre mit einem jüdischen
Ehepaar aus Belgien
die Dialoggruppe
gegründet habe,
war sie die erste ihrer Art in Deutschland. Es haben
sich Juden und Palästinenser zum ersten Mal getroffen,
diskutiert, sich gegenseitig zugehört, gestritten und
letztendlich
Verständnis
für einander gewonnen, es sind sogar
Freundschaften
daraus entstanden.
Wir haben viel übereinander und voneinander gelernt
und uns
trotz
allen Differenzen gegenseitig respektiert.
Bevor Sie Ihren Antrag,
der der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe
eine antisemitische Haltung unterstellt,
formuliert haben, hätten Sie mit dieser Dialoggruppe reden
müssen, was Sie ja leider nicht haben. Die Jüdisch-Palästinensische
Dialoggruppe hat mehrmals das Gespräch mit Oberbürgermeister
Dieter Reiter gesucht, das er
leider immer wieder abgelehnt hat. Obwohl München eigentlich stolz
auf eine Gruppe, die einen
derartigen Dialog fördert, sein müsste.
Ich verstehe, dass München
als ehemalige „Hauptstadt der Bewegung“ sehr sensibel
sein muss, was Antisemitismus betrifft. Antisemitische
Gruppen haben in München keinen Platz. Gruppen, die
für den Frieden arbeiten zu diffamieren und ihnen jegliche
Unterstützung zu versagen, ist nicht der richtige Weg.
Gerade in München darf
nie wieder die Meinungsfreiheit derart beschnitten werden,
so dass nur eine Sichtweise eines Sachverhaltes zugelassen
werde, ohne die andere Sichtweise zu berücksichtigen.
Warum suchen Sie nicht das Gespräch mit uns?
Mit dem Vorwurf des Antisemitismus missbrauchen Sie
die Geschichte und verharmlosen zugleich den eigentlichen
Antisemitismus. Mit diesem Antrag versuchen Sie den
grausamen Mord an Millionen europäischen Juden zu kompensieren,
indem Sie der Besatzungsmacht Israel ohne Wenn und Aber
zur Seite stehen. Dass die Palästinenser für die Verbrechen
Nazideutschlands an den Juden die Rechnung mit ihrer
Heimat bezahlen mussten, findet in Ihrem Antrag keine
Erwähnung.
Hier findet eine billige
Verarbeitung deutscher Geschichte auf Kosten der Palästinensischen
Bevölkerung statt.
Sie verdrängen die Tatsache,
dass mit der Gründung dieses Staates die Vertreibung
der Palästinenser aus Ihren Häusern und die Zerstörung
unzähliger palästinensischer Dörfer einherging und damit
zigtausende Palästinenser zu Flüchtlingen wurden, denen
bis heute das Ihnen lt. UNO Resolution zustehende Rückkehrrecht
verweigert wird.
Sie blenden in Ihrem Antrag aus, dass Israel seit 50
Jahren eine Besatzungsmacht ist, und dass dieser Staat
erst durch die ethnische Säuberung der palästinensischen
Bevölkerung entstehen konnte. Ich empfehle Ihnen „Die
ethnische Säuberung Palästinas“ des israelischen Historiker
Ilan Pappe als Lektüre.
Zu BDS-Kampagne
- Die BDS-Kampagne ist eine Form des gewaltlosen Widerstands
gegen 50 Jahre israelische Besatzung. Der Staat Israel
ist durch einen UNO-Beschluss entstanden. Aber kein
Staat der Welt ignorierte und ignoriert
weiterhin
die UNO-Beschlüsse
wie der Staat Israel. Da die Völkergemeinschaft nicht
Willens und nicht in der Lage ist, die UNO-Beschlüsse
hinsichtlich des Israel/Palästina Konflikts durchzusetzen,
blieb Aktivisten der palästinensischen Zivilgesellschaft
nur eins übrig: Gewaltloser Widerstand gegen die Besatzung
durch Boykott. Die BDS-Kampagne ruft nicht zum Boykott
von Juden auf, sondern zum Boykott eines Staates, der
das Völkerrecht
missachtet.
Viele Staaten weltweit
wurden und werden boykottiert: Kuba, Irak, Iran, Russland,
Libyen, Syrien. Warum sollte der Staat Israel nicht
boykottiert werden
können? Völkerrecht ist Völkerrecht
für alle.
Die drohenden Sanktionen
gegen Münchner Gruppen, die die BDS-Kampagne unterstützen
oder mit ihr sympathisieren sind undemokratisch und
stellen
einen Verstoß gegen die Meinungsfreiheit dar. Meinungsfreiheit
darf nicht Halt machen
vor städtischen Räumen und Institutionen.
Es gab
Zeiten, da wurden in dieser Stadt
Menschen und Volksgruppen
diffamiert und verfolgt. Mit Ihrem Antrag tun Sie Ähnliches
und machen München
erneut
zur Hauptstadt einer Bewegung.
Ich bitte Sie inständig,
diesen
unsäglichen
Antrag zurück zu ziehen.
Dokumentation -
CDU - SPD Stadtsratsfraktion - 11.07.2017 - ANTRAG
- Gegen jeden Antisemitismus! - Keine Zusammenarbeit
mit der antisemitischen BDS-Bewegung („boykott, divestment
and sanctions)
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