|
|
Der
Terminus „ Abzugs/Trennungsplan“ ist zur Routine geworden, damit unser
Verständnis zu dem, was geschieht, verdunkelt wird. Es muss also die
Wahrheit gesagt werden: die Regierung von Israel hat keinen wahren Plan
und was noch schlimmer ist, die Regierung hat nichts, womit sie die
große Narbe, die in der israelischen Psyche sichtbar wird, zudecken
kann. Dies ist kein aufrichtiger Plan, weil er aus einer
augenblicklichen Laune des Ministerpräsidenten entstand. Der
„Nicht-Plan“ agierte wie ein Magnet für den israelischen politischen
Opportunismus und zwar bei seinen Hervorragendsten: bei den großen alten
Männern der Laborpartei, die von der Macht einer persönlichen
biologischen Uhr getrieben werden und nicht danach leben, politisch
langsamer zu treten; Individuen, die machthungrig sind; und ein paar
andere Naive, die gar nicht verstehen, worum es eigentlich geht. Der
Prozess, durch den der Plan aufkam, ist in tausend Stücke zerborsten.
Nur wenig ist von israelischer politischer Kultur übrig geblieben und
verurteilt uns so zu vielen Jahren einer beschädigten, verkrüppelten
Demokratie, die in die Nähe der Anarchie dieser Periode führte. Der
Ministerpräsident gab jeder politischen Konvention einen Fußtritt und
führte einfach jeden hinters Licht. So wie es keinen Kapitalmarkt ohne
Börse gibt und keine Familie ohne Partner, so gibt es auch keine
Demokratie oder Politik ohne Parteien. Die vom Ministerpräsidenten und
seinen Verbündeten gezeigte Verachtung gegenüber den von der eigenen
Partei verabschiedeten Resolutionen – ihre Missachtung und äußerste
Gleichgültigkeit – zerstörte das grundlegende Konzept politischen
Lebens. Doch
der Plan ist schlecht, nicht nur wegen des mangelhaften Prozesses seiner
Autorisierung; er ist hauptsächlich wegen seines Inhaltes schlecht. Er
hat keinen Partner und keine Vision. Er schaut nicht einen Millimeter
über die eigene Nase hinaus. Er trägt als Vorzeichen nur Unheil in sich.
Es ist ein ausgedehnter Schwindel: man opfert unbedeutende und
unwichtige Siedlungen im Gazastreifen ... um im Gegenzug die Fehler und
Perversionen der israelischen Seele im Herzen Hebrons, in Yitzhar, in
Beit El und bei Patriarchengräbern, die zu Altären für gefesselte
lebende Söhne werden, fortzusetzen.
Trotzdem ist dies gleichzeitig der beste und schlechteste Abzugs/
Trennungsplan, den wir haben. Danach wird nicht nur das Gesicht der
politischen Demokratie zerknittert, beschädigt und verletzt aussehen;
zur selben Zeit wird auch das nationale Unternehmen von Illusionen, als
Siedlungen bekannt, mit seinem unvermeidlichen Kollaps beginnen. Allein
aus diesem Grund ist es wert, einen solch hohen Preis zu bezahlen. Die
Existenz des Staates Israel ist noch nicht abgesichert. Keiner weiß, ob
wir als Staat überleben werden oder wieder in alle Winde zerstreut
werden. Über eine Sache habe ich keinen Zweifel: die Erlösung wird nicht
durch Messianismus kommen, gutes Leben wird nicht durch Expansion
erreicht und nationale Vernunft wird noch schwerer zu fassen sein, je
mehr entfernte Siedlungen im Geheimen – aber in unserm Namen – das tun,
was unsere Hasser (Antisemiten) uns gegenüber generationenlang getan
haben.
Viele Jahre lang machten drei Geschichten – teils wahr, teils fiktiv –
in Israel die Runde. Unter der Gesamtrubrik „Zionismus“ waren es der
Gott der Sicherheit, die Heiligkeit der Siedlung und die Überlegenheit
der jüdischen Religion. Drei ungemein mächtige und ressourcenreiche
Konzepte, die letzten Endes sogar das rechtfertigen, was bis vor kurzem
als inakzeptabel und verabscheuenswert betrachtet wurde. Auch wenn es
gelegentlich vorkommt: die einzigen Perioden, in denen wir uns in den
letzten Jahren über Sicherheit freuen konnten, waren kurze und
zerbrechliche Intervalle, in denen wir vorübergehend die tödlichen
Waffen des Kampfes aufgeben konnten und redeten – so bleibt das Reden
für uns doch recht schwierig. Dialog ist als wirkliche Alternative
aus unserm Bewusstsein gestrichen worden. Im
Namen der Sicherheit haben wir das Recht zu schießen und zu töten. Im
Namen der Sicherheit haben wir das Recht, zu enteignen und zu rauben. Im
Namen der Sicherheit haben wir das Recht, zu schikanieren und Gewalt
anzuwenden. Im Namen der Sicherheit haben wir das Recht, das Bild
Gottes, mit dem wir geboren wurden, zu verlieren. Nehmt alle Schreie der
Siedler über Diskriminierung und alles Jammern über Unterdrückung
zusammen und multipliziert dies vielfach, dann werdet ihr fühlen, was
die Palästinenser seit vielen Jahren durchgemacht haben – ohne dass wir
es gesehen und gefühlt haben.
Diese verzerrte Sicherheit ist wie mit einer Nabelschnur an das
Siedlungsprojekt gebunden. Gewöhnlich sagte man, dass die
Sicherheitsgrenze entlang der äußersten Grenze der entferntesten
Siedlung liegt. Auch wenn diese Selbsttäuschung immer wieder in jedem
Krieg zerbarst – von Tel Hai 1920 bis Kfar Darom 1948 und den Siedlungen
auf dem Golan 1973 – Sicherheit und Siedlung waren trotzdem untrennbar
mit einander verbunden. Ein
Sicherheitszaun an der Grenze, ein Zaun rund um die Siedlungen für ihre
Sicherheit, ein Zaun, um ihre Städte und Dörfer zu belagern und in
Gefängnisse zu verwandeln, ein Zaun am Jordan entlang. Das ganze Land
ist ein breiter Zaun und mittendrin ist ein gefangenes, verängstigtes
Volk. Ist es dies, was man unter Sicherheit versteht? Und
die jüdische Religion - sie erduldet soviel Missbrauch. Soviel Hochmut
und Rassismus liegen zwischen den Worten: „Ein Jude vertreibt keinen
Juden.“ Der Glaube an die Überlegenheit der Gene, die Herrschaft über
die Nation von Herren im Namen Gottes. Aber ein Jude, der einen
jüdischen Ministerpräsidenten mordet – wirklich? Weil ein Jude auch nur
ein Mensch mit starken und schwachen Seiten ist.. Nichts ist angeboren,
nichts ist automatisch, und selbst Gottes Auswahl des jüdischen Volkes
wird nicht ohne moralische Verpflichtung und ohne ständige Arbeit an
sich selbst und menschlicherem Verhalten garantiert. All dies wurde
wegen einer unheiligen Trinität der letzten Jahre beiseite geschoben:
rassistisches Judentum, das auf starken Abmachungen beruht und von
einem verzerrten Sicherheitskonzept geschützt wird. Wenn
sie mich bedrohen und von einem „Bruderkrieg“ sprechen, halte ich inne.
Sind diese meine Brüder? Nein! Für mich ist Fraternität und eine
nationale Familie nicht das Ergebnis einer automatischen Steuerung. Ich
habe keine genetischen Geschwister außer meinen beiden Schwestern, den
Töchtern meiner Eltern. Ich habe Brüder und Schwestern im Geiste und in
Werten. Wer eine schlechte Person ist, ein jammernder Unterdrücker
oder ein starkbewaffneter Besatzer, der ist nicht mein Bruder, auch wenn
er den Schabbat einhält und die religiösen Vorschriften. Und wenn ein
Tuch alle Haare seines Hauptes bedeckt und er Barmherzigkeit übt und
gute Taten vollbringt, aber alles, was unter der Kopfbedeckung liegt nur
darauf bedacht ist, den jüdischen Boden zu heiligen, und dies wichtiger
ist als das menschliche Leben – dann ist er nicht mein Bruder oder meine
Schwester. Der ist mein Feind. Automatisches Judentum ohne Selbstkritik
und ohne moralische Verpflichtung schließt eine unannehmbare
rassistische Doktrin in sich.
Unterscheiden wir: es wird hier keinen „Bruderkrieg“ geben. Wenn hier je
ein gewalttätigerer Kampf ausbricht, dann wird er „Bürgerkrieg“ genannt
werden. Weil es nicht ein Krieg zwischen verschiedenen Richtungen
jüdischer Menschen sein wird, sondern ein kompromissloser Kampf zwischen
Gut und Böse. Alle guten Leute – die ihrigen und die unseren – auf der
einen Seite aufgereiht gegen alle Bösen – und es wird von ihnen auf
beiden Seiten keinen Mangel geben.
Das Land Israel gegen den Staat Israel. Wenn
man den klassischen zionistischen Narrativen folgt, erhebt sich die
natürliche Frage, wie werden die zukünftigen israelischen
Nationalgeschichten aussehen und wird es überhaupt welche geben. Wenn
man in die Gegenwart schaut, kann man die Richtung der Zukunft erkennen.
Die Sichtbarkeit der orangefarbenen Bänder, die die Opposition zum Abzug
signalisiert, ist eng verbunden mit denen die Kipas tragen und die
rituellen Fransen, Kopftücher, Gebetsbücher und ein religiöses
Vokabular. Der harte Kern der Abzugsgegner kommt hauptsächlich aus den
verschiedenen religiösen Gruppen religiöser Zionisten, nationaler
Ultra-Orthodoxer und dem geistigen Gemenge New-Age-Juden, die wild auf
den Westbankhügeln herumrennen. Die anderen israelischen Sektoren nehmen
anscheinend nicht aktiv teil am Kampf. Die Araber sind völlig außerhalb
und viele – vielleicht die Mehrheit der säkularen Bevölkerung des Landes
ist verblüfft von dem menschlichen und psychologischen Abzug der
religiösen Siedler, die bis vor kurzem die Fahnenträger der modernen,
zionistischen israelisch-jüdischen Identität waren.
Irgend etwas ist mit diesem religiösen Volk schief gegangen. Das Land
Israel als höchster Wert wird diesmal nicht gegen andere Werte gesetzt:
menschliches Leben, moderne westliche Werte und die Hoffnung auf ein
Leben in Frieden, Ruhe, Sicherheit – sondern stößt frontal mit dem Staat
Israel zusammen. Es geht nicht mehr um die Besatzung, die sich weit weg
und unsichtbar abspielt, es geht nicht ums Töten unschuldiger
Palästinenser als ein Hobby „unkonventioneller“ Typen; es geht um einen
offenen Krieg gegen alle Symbole der israelischen Regierung . Die sich
mit Orangefarbigem gegen die Armee und seine Soldaten stellen, Siedler
gegen die Polizei, die an Gott Glaubenden gegen die Demokratie, ihre
Behörden und ihre gewählten Vertreter. Weil
der israelische Grundinstinkt eben ein demokratischer ist, und weil es
Dinge gibt, die wir nicht mögen, ist es für uns klar, dass trotz allem
das demokratische System mit all seinen Fehlern das einzige ist, das es
uns ermöglicht, weiterhin gemeinsam zusammen zu leben und weiterhin
darin überein zu stimmen, wie wir nicht übereinstimmen. Die trotzige
Herausforderung durch die Halacha gegenüber dem Gesetz, durch die
Synagoge gegenüber der Knesset, durch die Rabbiner gegenüber der
Souveränität – das ist die wirkliche Trennung. Bis
zur verzerrten Initiative Ariel Sharons gab es eine total verschwommene
Sphäre von werten. Die Rechte in allen Schattierungen begünstigte den
hoffnungslosen Versuch das Judentum, den territorialen Nationalismus und
Demokratie in einem Pack zu integrieren. Und die Linke mit ihren
verschiedenen Gruppierungen standen dabei und beobachteten: das war
nicht ihr Judentum, dies war nicht ihr Nationalismus und vergoss Tränen
um die Demokratie, die angesichts der Besatzung und der wahnsinnigen
Lügen im sterben liegt. Es war eine sterile, gelähmte Linke, ihr Herold
von Identität und Bannern des Patriotismus entzog sich ihnen und von den
Bewegungen, die den Staat gründeten. Sie liefen ohne Parade oder
Zeremonie respekt- und ehrlos über zu den neuen Bannerträgern, die eine
neue Identität, religiös und national, ankündigten.
Plötzlich und abrupt schnitt Sharons Schwert den widerspenstigen Knoten
durch. Und es kommt heraus, dass der fremdenfeindliche Nationalismus und
die Religion, die ausschließlich auf der Halacha und seinen Lehrern
beruht, nicht mit der wahren, modernen, demokratischen, zur Kompromiss
bereiten Kernidentität der israelischen Mehrheit passt. Als Antwort auf
den Abzugsplan erklären die weggehenden Träger der Identität, dass sie
sich trennen, ihre monopolistische Verantwortung im Stich lassen und
praktisch ausscheiden um der israelischen Identität und ihrer Teile. Dies
ist eine einmalige Gelegenheit, die einer Gesellschaft selten angeboten
wird, die versucht, die Richtung ihrer Trends zu verändern. Ein
herausforderndes Vakuum ist im Zentrum unserer Existenz geschaffen
worden, und es gibt Raum für neue winde und originelle Meinungen. Das
Israelitum kann seine Rolle jüdischer Verantwortlichkeit zurückfordern.
Es gibt eine vitale, dringende Notwendigkeit für eine neue israelische
Identität, die nicht mit den Worten beginnt: „Ein Jude tut nicht ...“
sondern mit „Eine Jude tut ...“ Ein
Jude bewahrt eine enge und natürliche Verbindung mit den geistigen
Wurzeln der jüdischen Kultur. Ein Jude interpretiert neu überholte
Gebote und Normen. Ein Jude integriert Tradition und Fortschritt; ein
Jude schafft eine Synthese zwischen Judentum und Universalismus,
zwischen Israelitum und Judentum. Für
diesen positiven Juden ist Israel ein offener und großzügiger Ort für
den Anderen und für die, die sich unterscheiden, für den Fremden, der
unter uns lebt. Sein Judentum sagt „ja“ zum Frieden und „nein“ zur
Fremdenfeindlichkeit; seine Kultur ist eine nationale Kultur des
Selbstbewusstseins, das dem „Frieden nachjagt“ und nicht dem
Verfolgungswahn, der sich auf gewalttätige militärische Sicherheit
gründet. Er schließt auch eine erneuerte Bemühung mit ein, das
israelische Experiment einerseits in den Nahen Osten zu integrieren als
auch in den demokratischen Westen .... Ich
glaube nicht an den Trennungsplan oder an die, die ihn durchführen. Ich
sehe für den Tag danach politisch nur Dunkelheit und Verderben. Weil
ich nur an einen langfristigen, gewaltfreien Dialog glaube und nur bei
einer vollkommen, koordinierten und übereinstimmenden Trennung von
unheilbare Krankheiten auf unserer und ihrer Seite.... Wir
sind ein Volk der Überlebenden, das nicht extrem ist und eine
anpassungsfähige und keine selbstzerstörerische Kultur hat. Wenn
jedoch jemals Zelotentum sich mit Messianismus vermischt und
Selbstgerechtigkeit die Zügel der Macht übernimmt, geraten wir in eine
schreckliche Sackgasse. Vorbilder dieser Art gab es zur Zeit des
2.Tempels in der Betar- und Bar Kochba-Revolte, in der Zeit von Sabbatai
Sevi und in der Zeit von Gush Emunim, den Block der Getreuen. Vier
Jahrzehnte der Warnung zeigen nun ihr Ergebnis. Es ist vielen klar, dass
diese schlimme und bizarre Trennung nicht eine von unsern
palästinensischen Nachbarn ist oder vom Terrorismus. Dies ist eine
mickrige Trennung vom nationalistischen Wahnsinn, der die Kontrolle über
uns an sich gerissen hat. (dt. Ellen Rohlfs) |
Mail Impressum Haftungsausschluss KONTAKT Datenschutzerklärung arendt art