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Auf der Suche nach einem Held
Uri Avnery, 1. August 2015
VOR ETWA
60 Jahren schrieb der ägyptische Herrscher Gamal Abd-Al Nasser ein
Buch über die „Philosophie der Revolution“. Indem er das Schauspiel
Luigi Pirandello („Sechs Figuren auf der Suche nach einem Autor“)
nachahmte, behauptete er, dass die arabische Welt „Auf der Suche
nach einem Held war“, um sie zu vereinigen.
Zur Zeit schreit der Auftrag nach einem
Held, um eine israelische Kraft zu schaffen, die in der Lage ist,
Benjamin Netanjahu und seine Gang politischer Hooligans
loszuwerden.
Irgendwo unter den Millionen
israelischer Männer und Frauen muss der Held/ die Heldin verborgen
sein, der/die Israel retten wird.
ZEHAVA GALON,
die Führerin der Meretz-Partei, schockierte letzte Woche viele ihrer
Anhänger, als sie laut darüber nachgrübelte, dass ihre Partei sich
mit einer anderen Partei vereinigen muss, um zu überleben, und an
den Bemühungen teil nimmt, die rechte Regierung zu ersetzen.
Offensichtlich sprach sie aus Furcht.
Meretz, die linke zionistische Partei, war bei den letzten Wahlen
fast ausgeschaltet worden. Auf der Höhe der Wahl-Kampagne zeigten
Meinungsumfragen, dass die Partei die 4%-Minimum-hürde nicht
passieren könnte. Eine der Folgen wäre der Verlust all ihrer Stimmen
gewesen.
Die Berichte alarmierten viele Wähler,
die in der letzten Minute zur Wahl eilten, um Meretz zu helfen.
Statt für Labor (dieses Mal verschleiert als „das zionistische
Lager“) zu stimmen, stimmten sie für Meretz und retteten sie. Sie
kam mit fünf Sitzen in die Knesset, gerade noch vor der
Minimumklausel.
Für Galon und ihre Kollegen war der
Schock groß. Am Morgen der Wahl trat sie zurück, aber kurz danach,
als sie mehr darüber nachdachte, verzichtete sie auf den Rückzug.
Sie blieb die Führerin der Partei.
Jetzt fürchtet sie offensichtlich, dass
Meretz bei den nächsten Wahlen verschwinden könnte. Sie möchte
Meretz in irgendeiner Weise mit wenigstens einer anderen Partei
verbinden.
Meretz liegt zwischen dem „Zionistischen
Lager“ und der „Gemeinsamen Liste“, die alle arabischen Parteien
vereint, die auch fürchten, dass sonst keiner ihrer Komponenten die
4%-Hürde überschreitet.
Die Sorge (für Galon) ist, dass keiner
der beiden angrenzenden Parteien irgendwelche Bereitschaft zeigt,
ihre Partei zu empfangen.
Das „Zionistische Lager“ (alias
Arbeits-Partei) fürchtet sich sehr, als Linke bezeichnet zu
werden. Es wünscht „Zentrum“ zu sein, im Glauben, dass dort die
Stimmen gefunden werden können, die es verzweifelt benötigt, um
wieder an die Macht zu kommen. Eine Union mit Meretz zu akzeptieren,
würde es mit einer noch schlechteren linken Tönung versehen.
Andrerseits kann die arabische Liste
auch Meretz nicht heiraten. Die Liste besteht aus drei voneinander
abweichenden Kräften: den Kommunisten (die einige jüdische
Mitglieder einschließt), die Islamisten und die arabischen
Nationalisten. Wenigstens die zwei Letzteren werden keine
zionistisch-jüdische Partei in ihrem Bündnis akzeptieren.
Galons sehnsüchtiger Plan hat deshalb
sehr wenige Chancen, in Erfüllung zu gehen. Meretz, die auf ihrem
Höhepunkt 12 Knesset-Mitglieder hatte, ist in existentieller Gefahr.
Das würde bedeuten, dass die wenigen Chancen, um die Macht von der
extrem rechten Koalition zu erringen, noch geringer werden würden.
AN DER
ganzen Auffassung ist etwas grundsätzlich falsch.
Politik ist kein Legospiel. Man kann
Parteien nicht wie Bauklötze behandeln, zusammensetzen oder
auseinandernehmen. Parteien bestehen aus Menschen, von denen jeder
seine eigene Meinung hat.
Indem man zwei unrentable Parteien
zusammenfügt, schafft man notwendigerweise keine gewinnende Partei.
In der Politik sind zwei plus zwei nicht immer vier. Wenn man Glück
hat, können es fünf sein. Aber sie können leicht auch nur drei
sein.
Eine Vereinigung von Meretz mit dem
Zionistischen Lager könnte eine Menge zentristischer Stimmen
verlieren, die linke Einstellungen verachten, und gleichzeitig
könnte die Vereinigung Linke verlieren, die ihre kostbaren Stimmen
nicht dem zionistischen Lager geben würden, das sie nicht ohne
Grund als eine Art geminderter Likud ansehen.
Die Haltung des Zionistischen Lagers ist
bestenfalls wischiwaschi. Sein Führer Yitzhak Herzog ist freiwillig
als Netanjahus Vertreter im stupiden Propagandakrieg gegen den
US-Iran-Deal in die US gegangen. Es erhebt seine Stimme nicht
gegen das fast tägliche Erschießen von Palästinensern in der
besetzten Westbank. Es flüstert nur im Kampf gegen die
Industriemagnaten, die Israels wenige natürlichen Ressourcen
plündern. Es erhebt kaum seine Stimme gegen die Likud-Kampagne gegen
den Obersten Gerichtshof. (Ein stellvertretender Likud-Minister
verlangte die Disqualifikation der arabischen Richter, die die
Nationalhymne nicht mitsingen, die die „jüdische Seele“ feiert.)
Meretz ist nicht viel mutiger. Sie
spricht kaum das Wort „Frieden“ aus, sie spricht lieber über ein
„politisches Abkommen“. Keiner stirbt für ein „politisches
Abkommen“.
Viele Meretz-Wähler mit profunden
zionistischen Überzeugungen werden nicht für eine Liste stimmen, die
arabische Mitglieder wie das Knesset-Mitglied Hanin Zuabi
einschließt, eine provokative Person, die durchschnittliche jüdische
Israelis schockiert.
ABER DAS
Hauptproblem betrifft die Führung.
Zehava Galon ist eine nette Person. Sie
ist ehrenhaft und aufrichtig. Sie denkt und sagt all die richtigen
Dinge. Man konnte sie mit gutem Gewissen wählen.
Das Problem ist, dass sie kein Charisma
hat. Man kann für sie stimmen, sie unterstützen, sie gern haben.
Aber man kann sich nicht für sie begeistern. Sie ist keine
mitreißende Rednerin. Sie zieht keine Hingabe auf sich.
Leider gilt dies auch für alle andern
Führer der potentiellen Allianz. Yitzhak Herzog, Zipi Livni und
Shelly Jachimovitch sind alles gute Leute. Ich würde, ohne zu
zögern, von jedem von ihnen einen Gebrauchtwagen kaufen. Sie
sprechen oft sensible Dinge aus. Aber keiner von ihnen kann Leute
aufrütteln, sie anheizen, sie dazu bringen, ihnen in Massen
nachzufolgen.
Noch schlimmer ist, dass keiner von
ihnen etwas Neues zu sagen hat. Alle können ziemlich langweilig
sein. Wenn man sie am TV beobachtet, reißt einen das nicht aus dem
Sessel und auf die Straße, um „weg mit Netanjahu!“ zu rufen..
WAS ISRAEL
nötig hat, ist ein Held. Einen wahren Führer.
Eine Person (männlich oder weiblich)
die die Leute inspiriert, die ihre Liebe und Hingabe anzieht, die
sie wünschen lässt, die Dinge zu ändern.
Nicht nur am Wahltag, einmal alle paar
Jahre, sondern jeden Tag, jetzt.
Es ist nicht nur eine Sache der
Persönlichkeit, des Charisma, auch wenn dies wesentlich ist. Es ist
vor allem eine Sache der Ideen, der Überzeugungen.
Die Menschen in Israel haben den
Eindruck, dass die Linke ohne etwas Neues geblieben ist. Keine neuen
Gesichter, keine neuen Ideen, seit langer, langer Zeit keine neuen
Slogans. Die Linke – wie soll man es ausdrücken – regt nicht auf.
Keiner wird für etwas sterben, das sich
„Mitte-Links“ nennt. Das ist ein amerikanischer Import, ohne Wurzeln
in israelisch politischen Traditionen. Es drückt die Idee von etwas
Kraftlosem, Unverbindlichen, Vagen aus, ein bisschen von diesem und
ein bisschen von jenem.
Was wir brauchen, ist jemand, der eine
neue Flagge hebt, der eine neue Überzeugung ausstrahlt, der in der
Lage ist, die ewigen Wahrheiten in neue ideologische Gewänder zu
kleiden – Frieden, ja, Gleichheit ja, Gerechtigkeit und
Patriotismus, ja – in einer Weise, dass die Leute und besonders
junge Leute sich dafür begeistern.
In der jüdischen Legende ist es der
Makkabäer, der die Flagge hochhält und schreit: „Wer für Gott ist,
der folge mir!“ Etwas in dieser Art brauchen wir jetzt.
NACH DEN
letzten Wahlen hoffte ich, dass jetzt so etwas geschehen würde.
Jeder war schockiert. Netanjahus Überraschungssieg und das
Aufstellen einer sehr extremen Regierung sollte jeden
richtig-Denkenden israelischen Patrioten aus seiner Gleichgültigkeit
herausreißen.
Nun, es geschah nicht. Ein paar Tage
lang gab es viel Aufregung; Politiker sprachen über „einen neuen
Anfang“ und das war es denn auch. Alles kehrte gemütlich zu dem
zurück, wie es vorher war.
Außer dass es eine von Leuten
zusammengesetzte Regierung gibt, die sich keiner von uns vor
dreißig Jahren hätte vorstellen können. Wie ein Schwarm Moskitos
haben sie sich auf das Land gesetzt, indem sie Gesetze vorschlagen
und erlassen, dass einem die Haare zu Berge stehen. Zehn Jahre
Gefängnis fürs Werfen eines Steins – doch nicht, wenn der Werfer ein
jüdischer Siedler ist, der Soldaten gegenübersteht, wie es mehrfach
in dieser Woche geschah. (Jemand machte den Witz: Goliath würde den
jungen David ins Gefängnis geworfen haben - die Bibel würde dann
ganz anders aussehen.)
Wie ist es möglich, dass dieser Haufen
fanatischer Anti-Demokraten Minister und stellvertretende Minister
werden? Netanjahu bemühte sich darum, alle Moderaten aus seiner
Partei hinauszuwerfen, sensible Anhänger von Vladimir Jabotinsky und
Menachem Begin, die im Wettstreit mit ihm hätten siegen können.
Stattdessen zog er eine Gruppe von ungebärdig begieriger, aber
unbedeutender Personen ohne jede Qualifikation – außer einem
gewalttätigen Charakterzug. Sie sitzen jetzt in den Ministerien.
Es ist meine Überzeugung, dass man einen
Führer nach dem beurteilen kann, mit wem es sich umgibt. Ein
selbstsicherer Führer wählt ernste und kompetente Mitarbeiter. Ein
Führer, der selbst unsicher ist, umgibt sich mit unbedeutenden
Personen, die seine Position nicht gefährden und im Vergleich mit
ihnen wie ein Genie aussieht. Kurz gesagt: Netanjahu.
ES GIBT
einen Punkt in Zehava Galons Vorschlag, der besondere Aufmerksamkeit
verdient. Sie schlug die Möglichkeit einer Union zwischen Meretz
und der Arabischen Liste nicht aus. Im heutigen Israel käme dies
einer geistigen Revolution nahe.
Während der ersten Jahrzehnte Israels
war die Verbindung zwischen dem israelischen Friedenslager und den
arabischen Bürger eng und wurde enger. Ich selbst habe am
Organisieren vieler gemeinsamer Demonstrationen für Frieden und
Gleichheit teilgenommen.
Während der letzten paar Jahrzehnte, hat
sich dieser Prozess umgekehrt, bis fast nichts mehr davon
übrigblieb. Die arabischen Bürger sind von der jüdischen Linken
tief enttäuscht; jüdische Linke befürchten als „Araber-Liebhaber“
und Anti-Zionisten gebrandmarkt zu werden.
Dasselbe geschah zwischen der
israelischen Friedensbewegung und den Palästinensern in den
besetzten Gebieten. Israels Linke fürchteten, unpatriotisch
auszusehen. Nach Yitzhak Rabins Ermordung, empfanden die
Palästinenser, dass israelische Linke sich nicht sehr von
israelischen Rechten unterscheiden. Auch nach Arafats Tod fürchten
Palästinenser alles, das wie „Normalisierung“ aussieht, das so
gedeutet werden könnte, als wäre man mit der Besatzung
einverstanden.
Von keinem sensiblen Israeli kann
erwartet werden, an den Frieden zu glauben, wenn nicht einmal
israelische Linke mit arabisch politischen Kräften in Israel
zusammen arbeiten können, noch weniger mit den Palästinensern in den
besetzten Gebieten.
Solch eine Zusammenarbeit zu schaffen,
wäre deshalb das Erste jedes Neu-Erwachens von israelischen
Friedenskräften und einer breiten neuen Bewegung, die die Koalition
des rechten Flügels, die Israel weg vom Frieden, von der Demokratie,
von der Gerechtigkeit zieht, stürzt.
Falls der Held zuhört, lasst ihn (oder
sie) bitte, aufstehen.
(Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
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