Israel ist leider keine Demokratie mehr
Shulamit
Aloni, 1.5.09
Generalmajor Amos Yadlin und Philosoph Asa Kasher, zwei anerkannte
Persönlichkeiten, veröffentlichten hier einen Artikel: „ein
gerechter Krieg eines demokratischen Staates.“ (Haaretz, 24. April
2009)
Eine Bemerkung zum 1- Teil: ‚Es gibt Kriege, die notwendig für die
Selbstverteidigung sind oder um Ungerechtigkeit und Böses zu
bekämpfen.. Aber der Ausdruck ‚gerecht’ ist problematisch, wenn man
über den Krieg selbst spricht, der Töten und Zerstören einschließt,
und Frauen, Kinder und alte Leute heimatlos lässt und manchmal sogar
tötet.
Unsere Weisen sagten: ‚Seid nicht allzu gerecht.’ Und es ist absolut
keine Frage, dass das Abwerfen von Streubomben in einem von
Zivilisten bevölkerten Gebiet, wie es im 2. Libanonkrieg geschah,
nicht gerade von großer Gerechtigkeit zeugt. Dasselbe kann von der
Anwendung von Phosphorbomben gegen die zivile Bevölkerung gesagt
werden.
Nach der Definition von Yadlin- und Kasher scheint Gerechtigkeit,
nur gerade das Eliminieren von Terroristen zu sein und das
Zerstören, Töten, Vertreiben und Aushungern einer zivilen
Bevölkerung, die weder Verbindung zum Terror noch Verantwortung für
ihn hat.
Vielleicht hätten sie eine dezentere und weniger arrogante Art
finden sollen, die die Gründe für die Wut und Intensität über das
erschreckende Töten und Zerstören erklärt , das weit vernünftiges
Handeln überschritt.
Aber nach allem: wir haben immer recht; außerdem wurden diese Dinge
von ‚der moralischsten Armee der Welt’ getan, die vom
‚demokratischen jüdischen Staat’ gesandt wurde. Und hier treffen die
beiden Konzepte im Titel von Yadlin und Kashers Artikel zusammen.
Was die Moral der Armee betrifft, so würde es besser gewesen sein,
wenn sie geschwiegen hätten; dann hätte man sie als weise angesehen
. Denn die Statistik über die Zerstörung und das der Bevölkerung
zugefügte Leid ist inzwischen jedem bekannt und kann nicht von dem
oh so moralischen Verhalten unserer Armee in den besetzten Gebieten
getrennt werden. Im Kontext dieses Benehmens operierte die Armee
mit großer Effizienz gegen die Bauern, , die gegen den Diebstahl
ihres Landes demonstrieren – und diese Demos sind gewaltfrei!!
Die seit langem offensichtliche Misshandlung von Zivilisten durch
Soldaten an den Checkpoints – einschließlich hochschwangerer
Frauen, die gezwungen werden, am Straßenrand zu gebären - von
kichernden Soldaten umgeben – ist auch kein Geheimnis mehr. Tag um
Tag und Jahr um Jahr hilft die moralischste Armee der Welt, Land zu
stehlen, Bäume auszureißen, Wasser zu stehlen, Straßen zu schließen
-- alles im Dienst des gerechten ‚jüdischen und demokratischen
Staates’ und seiner Unterstützung. Es ist herzzerreißend, aber der
Staat Israel ist kein demokratischer mehr. Wir leben in einer
Ethnokratie nach ‚jüdischen und demokratischen’ Regeln .
1970 war entschieden worden, dass in Israel Religion und
Nationalität ein und dasselbe seien ( weil wir im Personenregister
nicht als Israelis, sondern als Juden registriert sind). 1992 war im
Basic Law on Human Dignitiy und Liberty ( Grundgesetz für
menschliche Würde und Freiheit) bestimmt worden, dass Israel ein
‘jüdischer Staat’ ist. In diesem Gesetz wird das Versprechen, das
in der Unabhängigkeitserklärung erscheint, nicht mehr erwähnt: ‚Der
Staat Israel wird zum Wohle aller seiner Bürger sorgen… er
wird allen Bürger ohne Unterschied von Religion, Rasse
und Geschlecht volle soziale und politischen Gleichberechtigung
gewähren.“ Die Knesset ratifizierte das Gesetz trotzdem.
Und so gibt es einen ‚jüdischen Staat’ aber keine ‚Gleichheit der
Rechte’. Deshalb betonen einige Beobachter, dass der jüdische Staat
nicht ‚ein Staat für alle seine Bürger’ sei. Gibt es wirklich eine
Demokratie, die nicht ein Staat all seiner Bürger ist?
Schließlich leben heute Juden in demokratischen Ländern und sie
haben dort die vollen Bürgerrechte.
Demokratie besteht im Staate Israel heute nur in formellem Sinn: es
gibt Parteien und Wahlen und ein gutes juristisches System. Aber es
gibt auch eine allmächtige Armee, die juristische Entscheidungen
ignoriert, die den Raub von Land, das den seit 42 Jahren unter
Besatzung lebenden Menschen gehört. Und seit 1992 haben wir – wie
schon erwähnt - die Definition ‚Jüdischer Staat’, der eine
Ethnokratie darstellt: die Herrschaft einer ethnisch religiösen
Gemeinschaft, die streng den ethnischen Ursprung seiner Bürger nach
der mütterlichen Linie bestimmt. Und was andere Religionen betrifft,
so ist Respektlosigkeit für sie schon Tradition, da wir gelernt
haben: ‚ Nur Ihr werdet als Menschen angesehen; die Einheimischen
sind wie Esel.’
Dies macht deutlich, dass wir und unsere moralische Armee sich nicht
um das Leben der Palästinenser in Israel zu kümmern braucht, und das
gilt natürlich noch viel mehr für die Palästinenser unter Besatzung.
Es ist deshalb auch vollkommen in Ordnung, ihr Land zu stehlen, weil
es ‚Staatsland’ ist und deshalb den Juden gehört.
Das ist sogar dann der Fall, wenn wir die Westbank nicht annektiert
und seinen Bewohnern nicht die Staatsbürgerschaft gewährt haben. Der
Staat Israel hat sie eingesperrt; das macht es leichter, ihr Land
zugunsten der Siedler zu konfiszieren.
Und bedeutende und respektierte Rabbiner, die eine ganze Generation
erziehen, haben bestimmt, dass das ganze Land unser Land ist und
die Palästinenser das Schicksal der Amalekiter teilen sollen, der
alte Volksstamm, für den die Israeliten die Order bekamen, ihn
auszulöschen. In einer Zeit, in der ein ‚gerechter Krieg“ statt
findet, ist Rassismus weit verbreitet und Raub ‚Rückgabe von Besitz’
genannt wird.
Wir feiern gerade den 61. Geburtstag des Staates Israel. Wir
kämpften mit großer Hoffnung im Unabhängigkeitskrieg, dass wir hier
eine ‚Modellgesellschaft“ aufbauen würden, dass wir mit unsern
Nachbarn Frieden machen, das Land bearbeiten würden und den
jüdischen Genius zu Gunsten der Wissenschaft, der Kultur und dem
Wert des Menschen – jedes Menschen –entwickeln würden. Aber
wenn ein Generalmajor und ein Philosoph – aus dem Gefühl moralischer
Überlegenheit - unsere Ungerechtigkeit gegenüber den andern in
solcher Weise rechtfertigen, dann werfen sie einen schweren Schatten
auf all jene Hoffnungen.
(dt. Ellen Rohlfs)
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