„Liebe deinen Nächsten wie Dich
selbst!“
Brief von Dan Bar Dal (Prof für Pädagogik u.ä.) Fortsetzung S.7-12
Israel ist ein dynamischer Staat mit bemerkenswert
technologisch-wissenschaftlichen Entwicklungen auf vielen Gebieten, eine
erfolgreiche Wirtschaft und blühende kulturelle Errungenschaften, das mit jedem
Land auf der Welt in Wettbewerb treten kann. Es hat bewundernswerte
archäologische Ausgrabungen, interessante und unterhaltsame Städte, schöne
Strände und Landschaften und große Cafes …..
S. 7. Diese Prozesse wirken sich auf die israelisch
besetzende Gesellschaft aus, weil, wenn erst mal , die Besatzung beginnt,
notwendigerweise eine mannigfaltige und anhaltende gegenseitige Einwirkung
zwischen Besatzung und besetzter Gesellschaft geschieht: gewöhnlich beginnt dies
mit Widerstand gegen die Besatzung. Unter solchen Bedingungen verschwimmen
Grenzen; und interaktive Prozesse durchdringen die beiden Gebiete, initiieren
langzeitigen Wandel in jedem Aspekt des Lebens in der besetzenden Gesellschaft:
neue Ziele, Interessen, Bedürfnisse, Trends und Entwicklungen erscheinen, um
jüdische Siedlungen in der Westbank zu erweitern und ihre Ressourcen
auszunützen. Aber, vor allem ist es nötig, die Palästinenser mit israelischen
Institutionen und Organisationen zu kontrollieren, um sicher zu sein, dass sie
gegen die Besatzung keinen Widerstand leisten und ihre nationalen Hoffnungen
bremsen ( Auf diese Art müssen die israelische Armee, die allgemeinen
Sicherheitskräfte und die Polizei Macht und Überwachung ausüben, was oft und
unvermeidbar zu Verletzungen der Menschenrechte führt; neue Dogmen entstehen,
um die anhaltende Besatzung zu rechtfertigen, die jüdisch religiösen
Perspektiven , nationalistische Orientierung und/ oder Sicherheit als Weltsicht
nehmen; neue Interessengruppen tauchen auf, die das Ziel haben, die Westbank
unter jüdischer Besatzung zu halten und sogar zu annektieren (Die jüdischen
Siedler). Eine neue soziale Struktur taucht auf, in der jüdische Siedler
beispiellose Subventionen, Einfluss und eine freie Hand bekommen, um ihre
Ideologie auszuführen (schon seit Jahrzehnten sind die Bewohner des Gebietes
zwischen dem Meer und dem Jordan in wenigstens drei Kategorien aufgeteilt:
Bürger Israels, palästinensische Bürger von Jerusalem und palästinensische
Bewohner der Westbank mit verschiedenen zivilen Rechten). Neue Normen, eine neue
Sprache und moralische Standards entwickeln sich, um die Besatzung zu
unterstützen. (Z.B. verschiedene Behandlung der jüdischen und palästinensischen
Bevölkerung, die im selben Gebiet wohnt. Wirtschaftliche Investitionen werden in
den jüdischen Siedlungen gemacht (bis jetzt sind es nach grober Schätzung
mindestens 30 Milliarden Dollars, ohne die militärischen Bedürfnisse
mitzuzählen, die von dieser Siedlung resultiert und der Besatzung im
Allgemeinen): Der Wunsch kommt hoch, die Ressourcen zu nehmen und
auszubeuten.(die letzte Entscheidung des israelischen Obersten Gerichtes, das
diese Ausbeutung erlaubt – gleichzeitig erlaubt Israel keine palästinensische
wirtschaftliche Entwicklung und nützt die billige palästinensische Arbeitskraft
aus. Eine neue politische Kultur entwickelt sich, um die Besatzung aufrecht zu
erhalten und die Demokratie zu schwächen( eine Kultur, die die Leute mit der
Anwendung der Sprache von „1984“ (Orwell) blind macht- eine Kultur, die die
Ideologie und Politik der Regierung unterstützt und jene unterdrückt, die gegen
sie sind durch erlassene Gesetze und sie anders ausführen – eine Kultur, in der
die Regierung nach und nach die Demokratie begrenzt und nun versucht, Israel
gesetzlich als“ jüdischen Staat“ zu bezeichnen, und zwar mit ernsthaften
Implikationen für die nicht-jüdische Minderheit, die 20% aller Bürger
darstellt. Neue Sicherheitsbedürfnisse und neue militärische Strategien werden
entwickelt; (die israelischen Sicherheitskräfte sind nicht nur dafür bestimmt,
die Besatzung aufrecht zu halten und palästinensischen Widerstand gegen die
Besatzung zu verhindern und zu bekämpfen, sondern auch die jüdischen Siedlungen
zu schützen; dieselben Sicherheitskräfte, die so ausgebildet werden, um fast
jede Absicht, Juden Leid zuzufügen, aufzudecken; aber es gelingt ihnen nicht,
die anhaltende Gewalt gegen Palästinenser zu verhindern und die ständige Gewalt
von Juden zu entwirren: Neue Bildungsmuster kommen und propagieren ein
einseitiges Narrativ und begrenzen kritische Ansichten; neue rechtliche Normen
und Systeme bilden sich (z.B. ein spezielles Rechtssystem, um die besetzte
Bevölkerung auf die Probe zu stellen und Normen der Gesetzwidrigkeiten durch
Juden in den besetzten Gebieten; neue Handelsmarken erscheinen (Israelische
Exporte in die Westbank und Kontrolle der palästinensischen Wirtschaft); und
Gruppen tauchen auf, die gegen die Besatzung sind und einen politischen Kampf
dagegen führen, und die sich entwickelte gesellschaftspolitische Polarisierung
reflektieren.
Der letzte Punkt hat besondere Auswirkungen auf die
demokratische Natur des israelischen Staates, weil die israelische Regierung
genau wie einige politische Parteien und NGOs bei ihren Versuchen die offizielle
Politik und das offizielle israelische Narrativ bewahren wollen, alle Mittel
anwenden, die ihnen zur Verfügung stehen, damit die Aufdeckung von Informationen
verhindert wird, die propagierte Ansichten negiert. Um dieses Ziel zu
erreichen, verwenden sie Strafen, Sanktionen, Gesetze und Delegitimation von
Quellen (Individuen, Gruppen, NGOs) und ihre Botschaften. Obwohl sich die
israelischen Massenmedien sich formaler Freiheit erfreuen und es dort auch
kritische Debatten über die Richtung gibt, die Israel gerade einnimmt,
versucht die Regierung, die Medien zu kontrollieren, die in Zeiten militärischer
Spannung sich selbst mobilisiert, um die offizielle Politik zu unterstützen (
Israel steht für seine Pressefreiheit an 96.Stelle unter 181) Außerdem führt
Israel eine institutionelle Diskriminierung gegen die arabisch/palästinensischen
Bürger Israels aus, die als fünfte Kolonne angesehen wird (Diese Diskriminierung
ist nicht nur institutionalisiert, sondern auch legal geworden, weil die Zahl
der Gesetze so speziell erlassen wurden, um diese Bevölkerung zu
diskriminieren). Die Juden in der Welt sollten der. Doppelmoral
Aufmerksamkeit schenken, wie Israel bei der Behandlung zwischen jüdischen
Minderheiten und jüdischen heiligen Stätten in den Staaten der Welt
unterscheidet und seine Behandlung von Minderheiten und deren heiligen Stätten
im Staat Israel. Zusätzlich zu der bemerkten Praxis von Diskriminierung von
Minderheiten in Israel, unmenschlicher Behandlung afrikanischer Flüchtlinge, die
nach Israel kamen, um der Gewalt, der Verfolgung und unerträglichen
Lebensbedingungen zu entfliehen; auch von Juden ausgeführte Hassverbrechen
haben sich weit verbreitet, ohne dass sie von der Regierung massiv verurteilt
oder durch Arrest der Ausführenden erfolgreich verhindert werden.
Es fällt mir schwer, in den Spiegel zu schauen, weil
Besatzung von Natur aus brutal, diskriminierend und unterdrückerisch ist. Wenn
wir nur auf einige der Informationen von 2013 sehen, wurden jüdische Siedlungen
nur gerade auf etwas über 1% auf Westbank-Gebiet gebaut, aber sie
kontrollieren 43% der Westbank innerhalb ihrer Gemeindegrenzen und die Mehrheit
ihres Wassers und die natürlichen Ressourcen; eine geschätzte Anzahl von 700
000 Palästinenser kamen zwischen 1967 und 2007 ins Gefängnis; zwischen 1990
und 2006 wurden mehr als 150 000 Palästinenser in den israelischen
Militärgerichten verurteilt; 1000 – 1500 Palästinenser werden vom Shin Bet
jährlich verhört und 85% von ihnen sind Methoden unterworfen, die als Folter
definiert werden; allein in den letzten 12 Jahren wurden schätzungsweise
mindestens 7500 Kinder im Alter zwischen 12 und 17 Jahren verhaftet, verhört und
kamen ins Gefängnis; über 24 100 palästinensische Häuser wurden zwischen 1967
und 7. April 2009 zerstört und ließen 70 000 Palästinenser obdachlos – und dabei
habe ich noch nicht über die palästinensischen und israelischen Juden
gesprochen, die getötet und verletzt wurden.
Während außerdem die meisten Länder der Welt die Demokratie
als bevorzugtes politisches System ansehen und Israel selbst proklamiert, eine
der strengsten Demokratien zu sein - so sieht die Realität doch anders aus.
Israel bewegt sich von einer Demokratie immer weiter weg. Dies findet seinen
Ausdruck in der Menge von Gesetzesvorlagen, die versuchen, die Kritik an der
Regierung und dem Staat zu begrenzen, die Redefreiheit einzuschränken, illegale
Taktiken zu legalisieren, die jüdische Natur des Staates über den demokratischen
Pendant auszudehnen und so die arabische Minderheit zu treffen. Rassistische,
nationalistische und antidemokratische Rhetorik und Handlungen sind Teil des
normalen Lebens der Gesellschaft geworden
In diesem Kontext ist die Selbstdarstellung des Staates, die
die moralischste Armee und eine dynamische Demokratie habe, etwas für eine
blinde Zuhörerschaft. Die zunehmend dominante nationalistische,
expansionistische, antidemokratische Ideologie, Ziele und Taktikten überschreite
die rote Linie der demokratischen Normen und des moralischen Kodex. Die
andauernde Besatzung und die Ausdehnung der jüdischen Sielungen in den besetzten
Gebieten verletzen die wesentlichen menschlichen und kollektiven Rechte der
Palästinenser und führen zur Verschlechterung der demokratischen und moralischen
Struktur des israelischen Staates und seiner Gesellschaft. Zusammen sind dies
schwerwiegende Abweichungen der Prinzipien der Gleichheit, der Freiheit, der
Menschenrechte und der Gerechtigkeit, die Gesellschaften leiten sollten.
Viele Leute mögen mich fragen, warum ich nicht auch die Art
und Weise nenne, wie die Palästinenser mit dem Konflikt und sich selbst umgehen
und wie die Syrer mit ihrem Konflikt umgehen oder die Ägypter ihre Uneinigkeit
managen oder wie andere in der Welt mit üblen Taten umgehen. Es ist nicht so,
dass ich mich nicht um sie kümmere, aber als israelischer Jude, der sein Land
liebt, sehe ich eine moralische Verpflichtung, die Glocke (laut) zu läuten, um,
auf die Gefahren aufmerksam zu machen, die ich heute wahrnahm, auf welchem Weg
die israelische Regierung das jüdische Volk leitet und die Art und Weise, wie
die Mehrheit der israelischen jüdischen Gesellschaft sie unterstützt. Liu Xiao
bo aus China, Wangari Muta Maathai aus Kenia oder Shirin Ebadi aus dem Iran
(alle erhielten den Friedensnobelpreis) werden nie von Juden gefragt, warum sie
ihre Länder kritisieren, aber im Gegenteil, sie werden gelobt, das Risiko auf
sich zu nehmen. Doch in Israel gibt es Juden und in vielen andern Länden auch,
die sich selbst bei solch kritischen Ansichten der jüdischen Gesellschaft und
des israelischen Staates Schweigen auferlegen. Dies ist wahrscheinlich ein
Beispiel für die scheinheilige menschliche Natur, um Kritik an der eigenen
Gruppe zu verhindern, während die Kritik der Mitglieder der anderen Gruppe
gelobt wird. Ich glaube sehr ernsthaft, dass es eine letzte Verpflichtung und
Verantwortung des Menschen gibt, zuerst zu beobachten, dann zu berichten und
schließlich gegen das Unrecht deines eigenen Staates und der eigenen
Gesellschaft zu kämpfen. Wenn diese Regel realisiert worden wäre, würde die
Welt, in der wir leben, besser aussehen.
Was notwendig ist, ist ein Ende der Besatzung. Verschiedene
Vorschläge sind schon vorgebracht worden, um sie zu beenden: mit dem
einseitigen Rückzug beginnen, Verhandlungen mit Clintons Parameter oder dem
Rahmen der arabischen Friedens-Initiative , die auf dem Gipfel der Arabischen
Liga 2002 in Beirut vorgeschlagen wurde: die Errichtung eines
palästinensischen Staates in der Westbank, Gaza und Ost-Jerusalem neben dem
Staat Israel. Stattdessen will unsere Regierung mit ihrer expansionistischen
Politik vorankommen, die, wenn sie nicht schnell zum Stillstand kommt, eine
Zwei-Staaten-Lösung unmöglich machen wird.
Die Zukunft sieht nicht gut aus, da die Besatzung so nicht
weitergehen kann. Obgleich es möglich ist, dass die Welt Israels Verletzungen
der Menschenrechte und des Völkerrechts akzeptiert hat und in den nächsten
Jahren nicht ernsthaft protestieren wird, kann diese Situation nicht endlos so
weitergehen. Schließlich wird das Dynamitrohr explodieren, und zwar wegen zu
langer Entbehrung, Diskriminierung und Unterdrückung. Dann werden die Menschen –
Juden und Palästinenser gleichermaßen – den Preis für die Untätigkeit ihrer
Führer, Gesellschaften, Organisationen und Individuen zahlen müssen. Die nächste
Generation wird durch ein Chaos gehen, das für die Völker dieses Gebietes ernste
Folgen haben wird.
Israel muss demokratische, moralische und humanistische Werte
annehmen, die eine bessere Welt untermauern. Sie müssen die ganz besonderen
Werte der jüdischen Identität begleiten und zusammen sollten sie als Kompass
der Gesellschaft dienen. Vergessen wir nicht, dass jüdisches Erbe auch die
Grundlage für moralische und humanistische Prinzipien liefert.
Dieser Brief ist noch einer, der die Juden der Welt aufwecken
soll – und besonders die in den USA, um zu verstehen, dass ihre ungleiche
Unterstützung der unmoralischen Politik für das Wohlbefinden des israelischen
Staates ist. Sie müssen die Besatzungs-Apartheid ( occupartheid) stoppen, weil
für viele von ihnen, dies ihren Grundwerten widerspricht. Auch ich fühle, dass
es wichtig ist, dass Stimmen, die moralische Werte ausdrücken ständig und laut
gehört werden müssen. Es gibt eine substantielle Minderheit von Juden, die
ähnliche Überzeugungen durch andere Mittel aussprechen: Medien-Kommentare,
Filme, Theaterspiele, Gemälde, Bücher, NGOs-Aktivitäten und sogar politische
Plattformen und Reden.
Mut ist nötig, um diese Ansichten auszudrücken, aber sie sind
ein Muss, weil diese Stimmen einen bestimmenden Kompass für den Rest der
Gesellschaft liefern und ein Zeichen der Hoffnung für die Welt. Es ist möglich,
die Gefahr trotz der ernsten Situation abzuwenden. Ich bin davon überzeugt, dass
dies von uns abhängt. Menschen führten in die gegenwärtige Sackgasse und andere
Leute können den Marsch der Dummen ändern.
Ein Rabbi in Israel erzählte mir, dass Hoffnung das
wichtigste Element ist, das Juden erlaubt, die dunklen Phasen der Geschichte zu
überleben. In der gleichen Richtung ist Hoffnung das, was uns geblieben ist -
daran zu glauben, dass die Gegenwart, eine unerträgliche Situation, nur
vorübergehend ist und bald ein neuer Horizont erscheinen wird und ein neuer
Morgen. Aber die Ziele der Hoffnung können nicht ohne Aktionen realisiert
werden. Deshalb ist dieser Brief ein Aufruf an jedermann, seine Augen zu öffnen
und wenigstens einen Weg zu finden, mit dem er die Notwendigkeit für ein
rasches Ende der gegenwärtigen Situation. Der Brief ist nach bester jüdischer
Tradition von Tikkun Olam geschrieben, der die Verantwortlichkeit ausdrückt, für
eine bessere Welt zu kämpfen.
Daniel Bar-Tal Daniel@post.taw.ac.il
keine Internetseite angegeben
(dt. Inga Gelsdorf und Ellen
Rohlfs) |