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Volk von Israel, stell dir vor …

Dr. Zeki Ergas,  MediaforFreedom.com

 

Volk Israels, stell dir vor … dass die Ära der Unschuld der herzerwärmenden Tage  des Aufbaus der Nation am Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Zeiten des Ottomanischen Reiches und des britischen Mandates mit der Gründung des Staates Israel 1948 nicht nach und nach seine Bedeutung verloren  und mit dem Sechs-Tagekrieg von 1967 sein abruptes Ende gefunden hätte.

 

Volk  Israels, stell dir vor …  als die Werte des Idealismus, der Gleichheit und der Gerechtigkeit, die in jenen Tagen in den jüdischen Dörfern des Yishuv ( jüdische Gemeinschaft) vorherrschten und nicht zerstört  und durch die Werte von Pragmatismus, Realismus und Zynismus ersetzt worden waren. Nostalgie ist nicht das, was es zu sein pflegt, Aber Ihr, Volk Israels, die ihr zur älteren Generation gehört, erinnert euch sicher noch, dass während der Ära der Unschuld Tausende junger Leute aus aller Welt jedes Jahr in die Kibbuzim nach Israel kamen, um dort das aufregende Gefühl des Glückes und der Freude zu erfahren, das davon kam, etwas Gesundes und Schönes zu tun. Diese jungen Leute waren die besten Botschafter, die Israel je hatte. Weil sie eine hohe Meinung von den Juden und den Israelis hatten. Sie wurden die Führer und Bürger ihrer eigenen Länder. Diese jungen Leute wurden Politiker, Geschäftsleute, Künstler, Lehrer und  Regierungsleute, die die Juden und Israelis bewunderten. Dies war ein unschätzbarer Wert, der nicht materiell mit Reichtum und Macht oder einen Kombination davon gemessen werden kann.

Es war eine qualitative Errungenschaft.

 

Stattdessen, statt der Bewunderung, der Empathie oder gar der Liebe sind  die jungen Leute rund um die Welt - besonders im Westen - jetzt eifrig damit beschäftigt, Boykotts, Divestments und Sanktionen (BDS)  gegen Israel zu organisieren. Weil sie es zunehmend  als einen Apartheidstaat sehen, der die Palästinenser unterdrückt und die  Araber in Israel  diskriminiert.

 

Der Gazakrieg, die Grausamkeit, die Gefühllosigkeit, und die extreme Unverhältnismäßigkeit der Opfer von 100 zu eins gegenüber den Palästinensern, die ihn charakterisierte, war der letzte Strohhalm, der dem Kamel den Rücken brach oder eher der letzte Nagel zu jenem Sarg. Es ist für den Juden, der ich bin, sehr schmerzlich zu beobachten, dass Israel praktisch all das verloren hat, was seine Aura und seinen besonderen Reiz ausmachte.

 

Es ist wirklich schmerzlich, sagen zu müssen, Israel ist nicht mehr schön. Es ist hässlich geworden. Es mag noch immer physische Schönheit besitzen. Seine Männer und Frauen mögen noch immer gesund und gut aussehen und das Land mag schön sein. Aber es hat nicht mehr die Schönheit der Seele, die Schönheit des Herzens und die Schönheit des Geistes, die viel mehr zählt als die physische Schönheit. Wir können es nicht leugnen, dass die israelische Regierung und die israelischen Siedler in den besetzten Gebieten in dieser Hinsicht weithin aus üblen Leute besteht. Selbst die jüdische Religion, diese wunderbare Religion, der Ursprung  zweier anderer monotheistischer Religionen, dem Christentum und dem Islam, ist von religiösen Fanatikern in eine üble Religion verwandelt worden und diese nicht nur in den besetzten Gebieten, sondern auch in den politischen Parteien, in den Universitäten und sogar in der Armee.

 

Es hätte so nicht sein müssen, es müsste nicht so sein.

 

Volk Israels, stelle dir vor … wenn nach dem großen militärischen Sieg von 1967 eine wahrlich weise politische Führung  die Gefahr wahrgenommen hätte, die hinter ihr lauerte und  die das Potential der Veränderung in sich hatte – wie der Mann in Kafkas berühmter Geschichte, die Methamorphose, der sich in einen Käfer verwandelte – und  sich in eine politische Katastrophe wandelte. Wenn  diese Führung damals doch sofort in Verhandlungen mit dem palästinensischen Volk getreten wäre und ihnen die eroberten Gebiete  vom Jordan bis Ägypten gegeben  und so geholfen hätte, einen wirklich lebensfähigen und unabhängigen Staat zu errichten.

 

Aber dies geschah nicht, dazu wäre eine Vision nötig gewesen. Und die israelische Führung hatte leider keine Vision. Sie war eingebildet und  arrogant, aber hatte keine Vision. In der Tat sahen viele in Israel, besonders die religiösen Fanatiker, aber nicht nur sie, diesen Sieg als ein Zeichen, als eine Botschaft Gottes, dass ER von den Juden wünsche,  sie mögen Groß-Israel vom Mittelmeer bis zum Jordan wieder errichten. Und einige tun das noch immer. Die Folge davon ist, dass sich Israel  nun selbst in einer Sackgasse befindet, in einer unmöglichen Situation, die mit der Zeit nur noch schlimmer werden kann.

 

Aber ist diese Situation wirklich unmöglich? Gibt es wirklich keine Lösung? Ist – mit anderen Worten  - die Zwei-Staatenlösung unmöglich geworden? Hoffentlich noch nicht. Aber sie wird immer unmöglicher. Vielleicht in einem oder in zwei Jahren ist sie unmöglich geworden. Aber heute wäre die Zwei-Staaten-Lösung noch  möglich. Zwei Staaten,  der eine ein israelischer, der andere ein palästinensischer könnten in Harmonie Seite an Seite und in Bruderschaft existieren . Die beiden Völker, eng verbunden, die vieles gemeinsam haben, wie es kürzlich in einem Buch von einem israelischen Historiker geschrieben wurde.

 

Aber es wäre ein starker Führer nötig gewesen, ein Führer wie Charles de Gaulles  es gewesen war. Ihm war klar geworden, dass er Algerien nicht unabhängig halten konnte. Also zog er die logische Konsequenz und gab einen Abreisetermin für die mehr als eine Million  französischen Siedler, von denen einige schon seit mehreren Generationen dort lebten. Die französische Armee wird sich zu diesem Zeitpunkt zurückziehen und ihr werdet drei Möglichkeiten haben: algerischer Bürger  werden, ein französischer Bürger in Algerien oder Algerien verlassen und nach Hause  kommen. Der größte Teil der französischen Siedler hat genau dies  letztere getan.

 

Die zwei großen und relevanten Fragen wären also: Gibt es in Israel solch einen Führer? Offensichtlich nicht. Wird es morgen einen geben? Vielleicht. Es sollte einen geben, um Israel vor der Selbstzerstörung zu bewahren.

 

Volk Israels stelle dir vor … dass solch ein Führer dies in die Realität umsetzt und dass ein Friedensvertrag zwischen Israel und den Palästinensern  unterzeichnet wird. Ein Friedensvertrag, der dem länger als hundert Jahre andauernden Krieg, Hass und Feindseligkeit ein Ende setzt. Was würde dann geschehen? Ganz einfach: Die Menschen würden auf den Straßen tanzen. Die Israelis auf den Straßen von Tel Aviv, Haifa und West-Jerusalem; die Palästinenser in Ramallah, Jenin, Nazareth und Ost-Jerusalem. Die Leute würden einander   umarmen und küssen  - das würde an Szenen erinnern, als die Städte nach dem 2. Weltkrieg befreit wurden. Feuerwerke würden die Nächte vieler Städte im Nahen Osten  erhellen. Sänger würden singen, Orchester spielen. Überall auf der Welt würden Juden und Palästinenser Champagner öffnen und gemeinsam feiern.

 

Und nach all den Feiern …

 

Volk Israels stelle dir vor … dass es keine Grenzen gibt. Dass es keine Kontrollpunkte mehr gibt, leine Straßensperren und keine Militärpatrouillen. An einem Shabbat würden Israelis nach Ramallah fahren, um  Obst und Gemüse zu kaufen und dort Freunde  besuchen  und in dasselbe Restaurant  gehen, Villa Vachi von den Europäern  und Hakura von den Palästinensern genannt, das Mahmoud Darwisch besonders liebte … Am nächsten Samstag würde es die Reihe an den Palästinensern sein, die ihre Freunde in Tel Aviv besuchen, an den Strand gehen und dort Spaß haben und in Gelächter ausbrechen, während die Kinder rund herum rennen und spielen.  Sie würden mit einander reden und Informationen austauschen über die verschiedenen Sitten und Traditionen …

Liebe, Heirat, Familien, Beziehungen  und so weiter. Würde das nicht wunderbar sein?

 

Volk von Israel, stell dir vor … das erste Mal in eurem Leben wäret ihr in der Lage, arabische und islamische Länder zu besuchen, wo Ihr will kommen wärt, wo die Leute euch anlächeln und euch die Hände schütteln und euch vielleicht eine tüchtige Umarmung geben würden. Ihr  wäret in der Lage, Ägyptens Pyramiden und Tempel zu besuchen und die Reste der großen Zivilisationen im Libanon, Syrien und im Irak, ohne fürchten zu müssen, dass euch irgend ein Fanatiker ein Messer in den Rücken steckt. Und in Europa müsstet ihr nicht leiser sprechen, wenn ihr hebräisch sprecht, ihr müsst nicht über die Schulter schauen, ob euch jemand zuhört.

 

Volk von Israel, stell dir vor … ihr könntet beweisen, dass Schwerter tatsächlich in Pflugscharen verwandelt werden können. Dass ihr wieder ein Licht unter den Völkern sein könnt.

Ihr werdet wieder stolz sein, ein Jude und ein Israeli zu sein.

 

Dr. Zeki Ergas, stammt aus einer türkisch-jüdischen  Familie und lebt in der Schweiz, ist Schriftsteller, Friedensaktivist und Generalsekretär des  internationalen PEN-Klubs in der Romanischen Schweiz und führendes Mitglied des Komitees der „Schreiber für den Frieden“.

 

Notizen: 1. „Stell dir vor“ ist natürlich der Name des berühmten Liedes der Beatle von John Lennon. Und der folgende Satz hat diesen kurzen Aufsatz inspiriert: „du magst sagen ich bin ein Träumer – aber ich bin nicht der einzige; ich hoffe, eines Tages wirst du dich uns anschließen und die Welt als ganzes auch“.

 

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(dt. Ellen Rohlfs)

 

 

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