NEW YORK - In Nazi Deutschland gab es eine wöchentliche
antisemitische Zeitung, genannt „Der Stürmer“. Geleitet von
Julius Streicher, war sie bekannt als eine der bösartigsten
Verfechter der Judenverfolgung in den 1930-ern.
Woran sich jeder bei „Der Stürmer“ erinnert,
waren dessen makabren Karikaturen über die Juden, das Volk, das
weitreichender Diskriminierung und Verfolgung während dieser Ära
ausgesetzt war. Seine Abbildungen bestätigten alle der
geläufigen Stereotypen der Juden: eine Hakennase, sexbesessen,
habgierig.
„Lassen Sie uns sagen … inmitten all diesem Tod
und Zerstörung platzten zwei junge Juden in die
Hauptgeschäftsstelle der Redaktion von „Der Stürmer“, und
töteten die Mitarbeiter, weil diese sie gedemütigt, degradiert,
erniedrigt und beleidigt haben“, fragte Normal Finkelstein, ein
Professor der Politikwissenschaft und Autor zahlreicher Bücher,
darunter: „The Holocaust Industry“ und „Method and Madness“ (die
Holocaust-Industrie und Methode und Wahnsinn) „Wie würde ich
darauf reagieren?“, sagte Finkelstein, der Sohn eines
Holocaust-Überlebenden ist.
Finkelstein zeichnete eine Analogie zwischen
einem hypothetischen Angriff auf die deutsche Zeitung und dem
tödlichen Angriff vom 7. Januar auf die Hauptredaktion des
satirischen Magazins Charlie Hebdo, bei dem 12 Menschen getötet
wurden, darunter der Herausgeber und prominente Karikaturisten.
Die Wochenzeitung ist bekannt dafür, kontroverses Material zu
drucken, darunter auch abfällige Cartoons über den Propheten
Mohammed in 2006 und 2012.
Der Angriff löste eine globale massive
Protestwelle aus, Millionen (Menschen) in Frankreich und der
ganzen Welt, die auf die Straße gingen, um die Pressefreiheit
unterstützen mit dem Ruf: „Ich bin Charlie“, in Französisch
oder Deutsch.
„Was die Charlie Hebdo-Karikaturen des Propheten Mohammed
zustande brachten, war keine 'Satire', und was sie hervorriefen,
waren keine 'Ideen' ,“ sagte Finkelstein.
„Satire ist, wenn man sie entweder gegen sich selbst richtet,
veranlasst, dass er oder sie zweimal darüber nachdenken, was man
tut und sagt, oder gegen Menschen gerichtet, die Macht und
Privilegien haben“, sagte er.
„Aber wenn jemand am Boden zerstört, verzweifelt, mittellos ist,
wenn Sie sich über ihn lustig machen, wenn Sie sich über einen
obdachlosen Menschen lustig machen, das ist keine Satire“, sagte
Finkelstein.
„Das ist - ich gebe ihnen das Wort - Sadismus. Es gibt einen sehr großen Unterschied zwischen
Satire und Sadismus. Charlie Hebdo ist Sadismus. Es ist keine
Satire!“
Das „verzweifelte und verachtete“ Volk von heute seien die
Muslime, sagte er, in Anbetracht der Anzahl muslimischer Länder,
die von Tod und Zerstörung geplagt sind, wie im Fall von Syrien,
Irak, Gaza, Pakistan, Afghanistan und Yemen.
„Zwei junge Männer, verzweifelt und ohne jegliche Hoffnung,
agieren aus dieser Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit heraus
gegen diese politische Pornographie, die sich nicht von (der
Zeitung) 'Der Stürmer' unterscheidet, die mitten in all diesem
Tod und all dieser Verzweiflung meint, es sei irgendwie nobel,
zu degradieren, zu erniedrigen, zu demütigen und zu beschimpfen.
Es tut mir leid, vielleicht ist es sehr politisch unkorrekt,
aber ich habe keinerlei Sympathie für die Mitarbeiter von
Charlie Hebdo. Sollten sie getötet werden? Natürlich nicht, aber
natürlich hätte Streicher nicht erhängt werden sollen. Ich hör
das nicht von vielen Menschen“, sagte Finkelstein.
Streicher war unter denen, die in Nürnberg vor Gericht standen
infolge des Zweiten Weltkrieges. Er wurde erhängt wegen dieser
Karikaturen.
Finkelstein sagte, einige könnten argumentieren, dass sie das
Recht hätten, sich sogar über verzweifelte und mittellose
Menschen lustig zu machen, und sie wahrscheinlich dieses Recht
hätten,. Er sagte: „Aber Sie haben auch das Recht, zu sagen, ich
möchte das nicht in mein Magazin setzen... Wenn Sie
hineinsetzen, übernehmen Sie dafür die Verantwortung. „
Finkelstein verglich die kontroversen Charlie Hebdo-Karikaturen
mit der „fighting words“-Doktrin (Kampfwörter), eine
Sprachkategorie, die gemäß amerikanischer Rechtssprechung unter
Strafe gestellt wird.
Die Doktrin bezieht sich auf bestimmte Wörter, die die Person,
an die sie gerichtet sind, dazu bringen, eine Gewalttat zu
begehen. Sie sind eine Sprachkategorie, die nicht vom Ersten
Zusatzartikel der Verfassung geschützt sind.
„Ihnen ist nicht erlaubt, Kampfwörter von sich zu geben, weil
sie einem Schlag ins Gesicht gleichen und das fordert Ärger
heraus“, sagte Finkelstein.
„Also, sind nun die Charlie Hebdo-Karikaturen das Equivalent von
Kampfwörtern? Sie nennen es Satire. Das ist keine Satire. Es
sind nur Epitheta, da ist nichts Lustiges dabei. Wenn Sie das
lustig finden, ist es auch lustig, Juden mit dicken Lippen und
mit einer Hakennase darzustellen.“
Finkelstein deutete auf die Widersprüche bei der Sichtweise der
westlichen Welt in Bezug auf die Pressefreiheit hin, indem er
das Beispiel des pornografischen Magazins Hustler, dessen
Verleger, Larry Flynt, von einem weißen rassistischen
Serienkiller 1978 erschossen wurde und gelähmt blieb, weil er
einen Cartoon druckte, der interrassischen Sex darstellte.
„Ich erinnere mich nicht daran, dass irgendjemand zelebrierte:
„Wir sind Larry Flynt“ oder: „Wir sind Hustler“, sagte er. Hätte
man ihn angreifen sollen? Natürlich nicht, aber niemand machte
dies zu einem politischen Prinzip der einen oder anderen Seite.
Der Westen öffnete seine Arme für die Charlie Hebdo Karikaturen,
weil die Zeichnungen gegen Muslime gerichtet waren und diese
verspotteten“, sagte er.
Die Charakterisierung der Muslime als barbarisch durch die
Franzosen ist hypokritisch in Anbetracht der Ermordung Tausender
von Menschen während Frankreichs kolonialer Besatzung von
Algerien und der Reaktion der französischen Öffentlichkeit auf
den algerischen Krieg in den Jahren 1954 bis 1962, laut
Finkelstein.
Die erste Massendemonstration in Paris gegen den Krieg „erfolgte
nicht bis 1960, zwei Jahre, bevor der Krieg vorüber war“, sagte
er. „Jeder unterstützte den französischen Vernichtungskrieg in
Algerien.“
Er sagte, das Apartment des französischen Philosophen Jean Paul
Sartre sei zweimal, in 1961 und 1962, bombardiert worden, sowie
das Büro seines Magazins „ Die Modernen Zeiten“, nachdem er sich
mit voller Kraft gegen den Krieg ausgesprochen hatte.
Finkelstein, der als „radikaler Amerikaner“ beschrieben wurde,
sagte, die Anmaßungen des Westens im Hinblick auf die Kleidung
der Muslime entblößten einen dramatischen Widerspruch, wenn man
an das Verhalten des Westens gegenüber den Ureinwohnern in
Ländern dächte, die sie während des Kolonialismus besetzt
hatten.
„Als die Europäer nach Nordamerika kamen, sagten sie, die
Ureinwohner Amerikas seien so barbarisch, weil sie nackig
herumliefen. Die europäischen Frauen trugen drei
Kleidungsstücke. Dann kamen sie nach Nordamerika und
entschieden, dass die Ureinwohner Amerikas rückständig waren,
weil sie alle nackig herumliefen. Und heutzutage laufen wir alle
nackig herum und sagen, die Muslime seien rückständig, weil sie
so viele Kleidungsstücke tragen“, sagte er.
„Können Sie sich etwas Barbarischeres vorstellen? Frauen zu
verbieten, Kopftücher zu tragen?“, fragte er mich, indem er sich
auf das Kopftuchverbot im französischen öffentlichen
Dienstleistungsbereich aus 2004 bezog.
Finkelsteins Werk, das die Juden anklagt, das Gedenken an den
Holocaust für politische Zwecke zu missbrauchen, und das Israel
wegen seiner Unterdrückung der Palästinenser kritisiert, hat ihn
zu einer kontroversen Persönlichkeit gemacht, sogar in der
jüdischen Gemeinde.
Seine Anstellung als Professor in der DePaul-Universität im
Jahre 2007 wurde abgelehnt, nach einem groß veröffentlichten
Kleinkrieg mit dem Akademikerkollegen, Alan Dershowitz, einem
glühenden Unterstützer Israels. Dershowitz soll angeblich auf
die Verwaltung von DePaul, einer römisch-katholischen
Universität in Chicago, Einfluss ausgeübt haben, damit sie seine
Einstellung ablehnt.
Finkelstein, der zur Zeit in der Sakarya Universität in der
Türkei lehrt, sagte die Entscheidung habe auf „offensichtlich
politischen Gründen“ basiert.
Aus dem
Englischen ins Deutsche übersetzt von Inga Gelsdorf