Raus aus der Uniform
– hinein in den Konflikt
Ein Interview mit Ilan Paz
Akiva Eldar, Haaretz, 14.5. 06
Vor erst wenigen
Wochen, hat Brigadegeneral Ilan Paz nach 28 Jahren Militärdienst, davon
sieben Jahre in der Westbank, eine Kehrtwendung in seiner Meinung
gemacht.
An einem
Samstagmorgen verließ er sein Haus in Kerem Maharal, um sich mit
Palästinensern im Ambassador-Hotel in Ost-Jerusalem zu treffen.
Seitdem er vor neun
Monaten seinen Urlaub begann, nahm er regelmäßig an Sitzungen teil, die
vom Israelisch-Palästinensischen Zentrum für Forschung und Information
organisiert wurden - als verzweifelten Versuch, den Kontakt zwischen
beiden Seiten aufrecht zu erhalten.
Bei den
vorausgegangenen Sitzungen verbrachte er die meiste Zeit damit, den
Klagen der palästinensischen Aktivisten zuzuhören und beschränkte sich
auf einen stummen Kommentar, wenn einer der Israelis etwas zugunsten des
Trennungs- oder Konvergenz-Planes sagte. Da er - der einmal der
Verwaltung der besetzten Gebiete vorstand und vorher als
Brigadekommandeur in Jenin und Ramallah zuständig war - jetzt aber nicht
mehr durch seine Khakiuniform unter Zwang steht, konnte er nun frei
und ungebremst sprechen.
Rückkehr der Fatah?
Ein Witz.
„Der Konvergenzplan
wird nicht einmal in 20 Jahren durchgeführt werden“, sagte der schlanke
Offizier, der einmal vertretender Kommandeur der Seestreitkräfte war. „
Die gefährliche Verbindung einer humanitären Krisis, mit Chaos im
Inneren, Massakern und Qassams wird Israel zwingen, wieder in die
Westbank und womöglich auch in den Gazastreifen einzumarschieren. Dies
bedeutet Krieg, einschließlich der Einberufung von Reservisten, Verlust
an Leben und enorme wirtschaftliche Unkosten.“
„Nach den
Oslo-Verträgen trägt Israel die volle Verantwortung für die besetzten
Gebiete“, sagte er. „Wenn die palästinensische Behörde zusammenbricht,
können wir nicht nur daneben stehen und zuschauen. Etwa 3 Millionen
Menschen sind am Rand des Hungerstodes dazu Anarchie und Gewalt“.
In seinem
1.Interview, das Paz nach der Entlassung aus der Armee gab, sagte er,
„der Neuaufbau einer militärischen Verwaltung würde 12 Milliarden NIS im
Jahr kosten“ . Dies gründet sich auf eine Einschätzung, die das Büro des
Koordinators für IDF-Aktivitäten in den besetzten Gebieten vor zwei
Jahren aufgestellt hatte. Er könne nicht verstehen, welches Interesse
Israel haben kann, die palästinensische Behörde zusammenbrechen zu
lassen. Die Fatah zur Macht zurückzubringen? Diesen Gedanken findet er
lachhaft.
„Die Erfahrung
zeigt, dass innenpolitische Krisen und Not eine Bevölkerung im Elend
nicht dahin bringt, mit dem Feind, den man für die Ursache des Elends
hält, einen Dialog zu beginnen. Dies wird nur den Kampf gegen den Feind
verstärken,“ sagt Paz. „Wenn es kein Geld für das Schulsystem der
palästinensischen Behörde gibt, wo wir einigen Erfolg hatten,
provokatives Material aus dem Curriculum herauszufiltern, dann werden
die Schüler ins Hamas-Schulsystem wechseln, das weiterhin von
islamistischen Quellen finanziert wird“.
Wenn Experten
außerdem behaupten, dass Abu Mazen und Fatah nicht in der Lage waren,
Hamas zu bekämpfen, solange sie an der Macht waren, wie sollten sie
jetzt die Kontrolle über Hamas bekommen, während die Fatah in Auflösung
begriffen ist?
Den Waffenstillstand
aufrecht halten
Selbst wenn ein
Kompromiss sich mit einer rejektionistischen Politik als notwendig
erweist, sollte Israel über die alltäglichen Dinge des Lebens mit Hamas
in einen Dialog treten und den Waffenstillstand einhalten.
Doch selbst ein
Status quo mit der Hamas wird die Chancen für den einseitigen
Konvergenzplan nicht vergrößern. Wenn wir das Gebiet nicht einer Gruppe
übergeben, die mit uns das Interesse einer Zwei-Staatenlösung mit den
Grenzen von 1967 teilt, wird die Situation außer Kontrolle geraten. Wer
kann uns versprechen, dass dann nicht Qassams auf Kfar Safa fallen?
Keine Mauer wird die Palästinenser der Westbank oder des Gazastreifens
auf die andere Seite des Planeten bringen. Selbst ein 80 m hoher Zaun
wird eine hochfliegende Rakete nicht stoppen,“ fährt er fort.
Paz kennt die
Siedler auf der Westbank und ihre Stärke. Auch ihm galt der Hass ihrer
politischen Gestalten und der Fanatiker unter ihnen. „Die Evakuierung
der Orte wie Kiryat Arba, Elon Moreh, Shilo und Eli würde der
Evakuierung von Gush Kativ überhaupt nicht ähnlich sehen,“ sagt er. „Man
kann die religiöse und historische Verbindung der Siedler zum Land von
Judäa und Samaria nicht mit der Verbindung zum Gazastreifen vergleichen.
Eine Evakuierung dieser ideologischen Siedlungen bringt uns alle in
Gefahr und an den Rand eines Bürgerkriegs.“
Das Problem liegt
nicht in der Fähigkeit, solch eine Mission durchzuführen. Er zweifelt
nicht daran, wenn die Armee oder die Polizei den Befehl erhält, dann
werden sie die Aufgabe zu ende führen. „Wir müssen uns allerdings
fragen, ob sich das Risiko lohnt, eine tiefe soziale Kluft zu schaffen
und einen riesigen wirtschaftlichen Preis zu zahlen – und all dieses,
ohne die Sicherheitssituation zu verbessern, ja, sie vielleicht sogar zu
verschlimmern. Und dies ohne internationale Unterstützung und ohne
Verbesserung der Chancen, mit den Palästinensern ein Abkommen zu
erreichen.
Über was für ein
Abkommen reden Sie? und mit wem? Da gibt es doch keinen Partner, mit
dem man reden kann.
„Die Zeit ist reif,
um die Behauptung, Abu Mazen sei ein schwacher Führer und deshalb
kein Partner, neu zu überprüfen. Wir spielten eine Schlüsselrolle beim
Aufbau dieses Bildes. Ich kann einen früheren Generalstabschef zitieren,
der sehr bedauerte, dass wir ihm gegenüber nichts taten, was ihn
gestärkt hätte. Wir hätten die Möglichkeit gehabt, ihn zu stärken. Wenn
wir ihm nur die Schlüssel zum Gazastreifen gegeben hätten, statt sie
auf die Straße zu werfen oder wenn wir ihm wenigstens die zivile
Kontrolle über die Gebiete gegeben hätten, die wir im Norden evakuiert
haben.“
Zu einem Tango
gehören zwei
„Auf diese Weise
hätten wir verhindern können, dass die palästinensische Öffentlichkeit,
die Evakuierung der Siedler aus dem Gazastreifen als Sieg der Hamas
gesehen hat. Die Wahlergebnisse in den besetzten Gebieten wären dann
vielleicht auch anders ausgefallen. Für einen Tango braucht man zwei. So
lange wir sagen, Abu Mazen und die Fatah seien für uns keine Partner,
welchen Grund sollten die Palästinenser dann haben, sie zu wählen?
Wenn wir ihn als unsern Partner aufgebaut hätten, hätte ihn das in den
Augen seines Volkes gestärkt, dessen größter Teil daran interessiert
ist, den Konflikt zu beenden.
Paz erzählte:
nachdem Abu Mazen zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, hätte ihm ein
ranghohes Mitglied seines Büros erzählt, dass es der größte Erfolg von
Abu Mazen gewesen sei, den Surda-Kontrollpunkt in Ramallah zu öffnen.
„Man kann sich nicht vorstellen, wie ihn das in den Augen der
Öffentlichkeit aufgebaut hat“, sagte er. Ich behaupte nicht, dass
Kontrollpunkte oder Sperrzeiten nicht notwendig seien, aber diese
Aktivitäten sollten ausgewogener gehandhabt und die kulturellen und
psychologischen Aspekte der anderen Seite berücksichtigt werden. Ein
benachbartes Volk zu degradieren, bringt nichts Gutes.
„Es stimmt, Abu
Mazen ist kein charismatischer Führer. Und er zögert, Teil interner
Kämpfe zu sein. Wir wollten, dass er Hamas bekämpft. Er aber verstand
die Grenzen seiner Macht. Er verstand, ein frontaler Kampf würde nicht
Gutes bringen. Er zog es vor, mit anderen Mitteln die Ruhe zu bewahren.
Der Waffenstillstand mag für uns vielleicht nicht annehmbar gewesen sein
– aber es war länger als ein Jahr, dass die Hamas an keinem Terrorakt
teilgenommen hat.“
Hat Fatah nun den
Preis für die Korruption bezahlt?
Ich ignoriere nicht
die Tatsache, dass Korruption beim Sturz von Fatah auch eine Rolle
gespielt hat – der maßgebliche Faktor war aber ihre Unfähigkeit, mit
Israel eine Übereinkunft zu treffen. Der diplomatische Prozess ist der
einzige Vorteil, den sie gegenüber den rivalisierenden Parteien hatte.
Fatah hätte größere Anstrengungen machen können, um Ordnung
herzustellen, aber ich kann Ihnen sagen, dass die Kräfte der
palästinensischen Behörde praktisch keinen einzigen Schritt ohne unsere
Hilfe und Genehmigung machen konnte. Nicht einmal in Zone A , wo sie
eigentlich die volle Kontrolle gehabt hätte. Wir erlaubten einfach
nicht, dass das System funktioniert, und für längere Zeit erlaubten wir
nicht einmal, dass bewaffnete Polizisten die Gerichte, Gefängnisse und
Banken schützen oder in Dörfer gingen, um Familienstreitereien zu
schlichten.
Glauben Sie, dass es
in absehbarer Zukunft noch möglich ist, eine Übereinkunft zu erreichen?
„Es gibt einen
palästinensischen Partner für ein Abkommen, der für eine Mehrheit der
israelischen Öffentlichkeit annehmbar wäre – doch ohne die
Verwirklichung des Rückkehrrechtes, aber auch ohne die Verwirklichung
des ganzen Plans über die Siedlungsblöcke z.B. das E-1-Projekt ( bei
Maale Adumim) . Jahrelang haben wir den Konflikt arafatisiert – und nun
ist Arafat tot, und die Probleme sind dieselben geblieben. Wir müssen
endlich zu einer Lösung kommen, und die muss mehr oder weniger mit dem
Clinton-Entwurf und dem Genfer Abkommen identisch sein. Die Frage ist
nur, wie viel Blut muss bis dahin noch vergossen werden?“
Und wenn uns klar
geworden ist, dass Abu Mazen, nachdem wir uns ernsthaft darum bemüht
haben , mit ihm zu verhandeln, uns keine Ware liefern kann, dann können
wir uns hinter defensive Grenzen zurückziehen. Aber bevor jeder andere
einseitige Schritt gemacht wird, müssen wir - um unser selbst willen -
einen wirklichen Versuch unternehmen, den Konflikt zu beenden.
Als Paz am Fernsehen
die Siedler beobachtete, wie sie sich selbst im Shapira-Gebäude in
Hebron verbarrikadierten, erinnerte er sich an einen Besuch des
Generalanwalts Menachem Mazuz.
„Wir breiteten alle
Probleme vor ihm aus wie z.B. dass die Kinder nicht bereit waren, ihre
Namen zu nennen oder Fingerabdrücke zu geben. Es ist nicht akzeptabel,
dass auch nach einem Jahr noch keine Lösung für den Unterschlupf dieser
Leute gefunden worden war, wo sie tun und lassen können, was sie wollen.
Ich glaube, da gibt es nur eine Lösung, die Siedler dort rauszuholen –
aber was macht man am nächsten Morgen? Anderthalb Jahre lang erlaubten
die Siedler der Maon-Farm den Kindern aus dem nächsten Dorf Umm Tuba
nicht, zur Schule zu gehen, ja sie griffen sie sogar dann an, wenn sie
von der Armee begleitet wurden. Wie viele wohnen denn auf der Maon-Farm?
Können die denn nicht gestoppt werden?
(dt. Ellen Rohlfs) |