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Stunk machen

Kobi Ben Shimon, Haaretz, 5.9.08
http://www.haaretz.com/hasen/objects/pages/PrintArticleEn.jhtml?itemNo=1018282

  

„Ein schrecklicher Gestank – der Geruch von  verwesenden toten Tieren,“ sagt der linke Aktivist Dr. David Nir entrüstet. Seit drei Jahren hat er an den Protest-Demos gegen die Trennungsmauer teilgenommen. Aber darauf war er nicht vorbereitet: vor drei Wochen  bei einer Demo im Westbankdorf Na’alin machte er persönlich die Erfahrung mit dem Debut von Boash – dem Stinktier/ Skunk – einer neuen Methode, um Demonstrationen aufzulösen, die von der israelischen Polizei entwickelt worden war..

„Mit den Gummi ummantelten Stahlkugeln, den Tränengasgranaten und den Wasserwerfern hatten wir Erfahrungen, daran waren wir gewöhnt. Aber plötzlich kamen zwei Grenzpolizisten mit seltsamen  Paketen auf ihrem Rücken und begannen die Demonstranten mit einer Flüssigkeit zu besprühen“, sagte Nir. „Es war schrecklich. Einige Leute wurden vollkommen durchnässt. Zum Glück war es mir gelungen, etwas am Rande zu bleiben, und so bekam ich  nicht  zu viel davon ab, aber der Geruch blieb auch an mir. Er wurde von meiner Haut aufgenommen. Es  war wirklich sehr unangenehm. Ich konnte den Gestank nicht aushalten.“ …

„Eine Woche nach der Demo in Na’alin, kam ein weißer LKW zu der Demo in Bilin,“ fährt Nir fort. « Er näherte sich uns, und wir versuchten, Distanz zu halten.“ Der LKW hielt  neben dem Zaun an , „dann hörten wir den Motor, wie er stärker wurde, um kondensierte Luft zu schaffen, die die Stinkspraykanonen antrieb. Und dann kam es: starke Güsse von einem faul riechenden Spray, der uns überschüttete und diejenigen direkt traf, die innerhalb eines Radius von 30-50 Meter standen und nicht weggingen. Da der Wind die selbe Richtung hatte wie der Spray aus den  „Kanonen“ wurden die meisten von uns in Gestankdämpfe eingehüllt, die auch in die Lungen drangen. Auf dem Weg zurück nach Tel Aviv ließen wir die Fenster offen. Aber wir konnten den Gestank nicht los werden, auch nicht als wir uns mit Deodorant besprühten. Es gibt keine Worte, dies zu beschreiben. Es ist der schlimmste Gestank, den man sich vorstellen kann. Es ist eine Erfahrung, die dem Springen in eine Klärgrube gleich kommen würde. Die Palästinenser nennen dies einfach ‚Shit’.“

 

Die Grenzpolizei führte das Skunk als  ein neues Mittel im Dienst der Polizei ein, das jeden Demonstranten um sein Leben laufen lässt, weil es ein schrecklicher Gestank ist“, erklärt die israelische Polizei stolz auf ihrer Website am 17. August etwa eine Woche, nachdem sie dieses das erste Mal  ausprobiert hatte.

Inzwischen sind die Hersteller des neuen stinkenden Produktes auf der  Beit Shemesh-Polizei-Station zufrieden: mit ihrer Erfindung wurde ein kleines Chaos geschaffen. Generalmajor Yaki Azulai von der Israel-Polizeioperationsdivision, der für die Einheit gegen Terror und öffentliche Störung zuständig ist, sagt, die Entwicklung des neuen Mittels habe vor drei Jahren begonnen: „Unser Ziel war es, ein besseres Mittel zu schaffen, das der Polizei bei Massendemonstrationen hilft. Die israelische Polizei prüft ständig Mittel, die sie gebrauchen kann. Manchmal finden wir etwas auf dem Markt und manchmal müssen wir selbst etwas entwickeln.

 

Jahrelang wurden Hunderte  von Vorschlägen zur Entwicklung von nicht tödlichen Waffen von der Polizei untersucht. Nach den Vorfällen vom Oktober 2000, bei denen 13 arabische Israelis durch scharfe Schüsse von der Polizei getötet wurden, verstärkten sich die Bemühungen solche (nicht tödlichen) Waffen ins System aufzunehmen. Erst letzte Woche veröffentliche die israelische Polizei eine internationale Neuheit für  „Geräte  in der Entwicklung oder originelle Ideen für die Entwicklung von weniger tödlichen Waffen.“

 

Nun ist der Skunk die neue Hoffnung für die Grenzpolizei geworden, die entlang des Zaunes/der Mauer stationiert wurde: „Wir betrachten dies als eine neue und effektive Abschreckungskraft,“ sagt Azulai. „Bis jetzt benützte die Polizei im Grenzgebiet vor allem Pfeffergas, Wasserkanonen und berittene Polizei, aber wir schauen nach weniger tödlichen Mitteln. Das Skunk wurde aus der Notwendigkeit nach Mitteln heraus entwickelt, die den Demonstranten so wenig  Leid als möglich  zufügen, die den Schaden begrenzen und den Kontakt zwischen Demonstranten und Polizisten verunmöglichen. Wir haben nicht die Absicht, jemandem Leid zuzufügen. Die Polizei respektiere das Recht zur Demonstration, aber wir haben die Verantwortung, die öffentliche Ordnung zu erhalten, Wir gehen dazwischen, wenn Demonstrationen außer Kontrolle geraten, wie im Falle von Na’alin und Bil’in, wo Demonstranten systematisch versuchen, den Zaun oder mechanische Geräte zu beschädigen versuchen.  ( Die Demos in Naalin und Bilin sind gewaltfrei !!! ER)

 

(Zusammenfassender Bericht der Übersetzerin: David Ben Harosh ist im nationalen Hauptquartier in Ramleh  verantwortlich für die Entwicklung dieser neuen Abschreckungswaffe Skunk: eine Flüssigkeit nur aus organischen Stoffen. Die Zusammensetzung ist geheim und einzigartig, die Hauptkomponenten seien Hefe und Protein.

Ein Gesundheitstrank? Ja, man könne es trinken – das einzige Problem ist, dass es einen schrecklichen Geruch hat.

Wird es auch innerhalb der Grünen Linie verwendet?

Skunk sei nicht für Bilin und Naalin entwickelt worden. Es soll später auf jeder Polizeistation gelagert werden. Doch im Augenblick gibt es noch Probleme damit: die ganze Polizeistation stinkt danach, selbst wenn es in fest verschlossenen Containern lagert….)

 

Symbolische Dimension

Den schrecklichen Gestank zu neutralisieren, ist zur Obsession der Demonstranten von Bilin und Naalin geworden.

Ein paar Tage nach der ersten Anwendung von Skunk gab es schon allerlei Legenden, wie  man mit diesem ungewöhnlichen Gestank umgehen muss, um ihn los zu werden“ sagte Kobi Snitz, ein Professor für Mathematik am Technion (Haifa) und ein Aktivist bei den Anarchisten gegen die Mauer. „Ich hörte von vielen Versuchen der Leute, um den Gestank los zu werden: man versuchte mit Essig, mit feuchtem Salz , mit einem Bad im Meer. „ Mit einer halben Stunde im Meer erreichte ich mehr als unzähligen Duschen mit Seife…“

Ahad Huja, 52,  berichtet: „ Ich näherte mich einem der Polizisten, um ihm zu sagen, dass wir Erwachsene sind, die eine friedliche Demo abhalten wollen. Da besprühte er mich mit dieser Substanz; nie in meinem Leben hatte ich so etwas Ekelhaftes gerochen. Ich war sehr gedemütigt. Ich wurde den Gestank nicht los. Ich ging schnell nach Hause, wechselte meine Kleidung und duschte mich. Aber nichts half. Das ganze Haus stank danach. Der Gestank ging in alles, in die Nahrung, in die Wände ,,, die Kinder wollten nichts mehr essen. Nach mehreren Duschen versuchte ich, meinen Körper mit Chlor zu reinigen. Auch das half nichts … Noch nach einer Woche   konnte jeder schon aus einiger Entfernung den Gestank an mir wahrnehmen“.

Dr. Ilan Shalif, ein Psychologe aus Tel Aviv, war auch überrascht davon, wie selbst die Wände seiner Dusche den Gestank annahmen und noch tagelang festhielten …

„Ich war bei einer Demo am Rücken getroffen. Zuerst dachte ich, mit einmal Duschen  ist alles überstanden … heute weiß jeder,  der mit Skunk in Berührung kommt, er wird es in Zukunft wie Feuer meiden. Eine Mischung von Seife und Salz half etwas. Aber wie bekommt man den Gestank aus den Haaren heraus? Fragte er sich.

Sarit Michaeli von  der Menschenrechtsorganisation B’Tselem: „Es mag legal sein, aber es stinkt. Die Tatsache, dass man Leute mit solcher Flüssigkeit am Freitag  ansprüht, lässt die Frage hochkommen: würde man dasselbe auch gegenüber jüdischen Siedlern am Freitag tun? Ich kann mir das nicht vorstellen. Ich denke, das sollte man keinem antun. Aber der begrenzte Gebrauch von Skunk gegen Palästinenser und  ( jüd.)Aktivisten vom linken Flügel ist etwas, worüber berichtet werden sollte. Meiner Meinung nach liegt hier eine starke und beunruhigende  symbolische Dimension . Hauptsächlich weil bis heute Skunk vor allem nur gegen gewaltfreie Gruppen angewandt wurde, die mit niemandem zusammenstießen und vom Zaun weit entfernt waren. Wozu wurden sie also angesprüht? Um sie zu beschmutzen? Um sie zu bestrafen?  Diejenigen, die damit markiert werden, werden sehr gedemütigt. Dieser Spray schafft eine neue Dimension der Demütigung, die  es vorher bei den Demonstrationen nicht gegeben hat.

 

„Ein Experimentierlabor“ nennt Kobi Snitz   die Dörfer Bil’in und Na’alin.

Einerseits hat uns Skunk wirklich sehr überrascht, aber andrerseits war ich auch nicht überrascht, als noch eine neue Waffen gegen uns Demonstranten gerichtet wurde“, sagte er . Bil’in und Na’alin sind in  Experimentierlabors für die israelischen Sicherheitskräfte verwandelt worden. Die Demonstranten waren für verschiedene Waffen schon  zu Versuchskaninchen  geworden. (Wie auch der Gazastreifen – wie Gideon Levy einmal schrieb ER)

 Während der letzten sechs Monate versuchten sie es mit  Schwammkugeln, die aus kurzer Entfernung abgeschossen wurden,  dann mit Salzkugeln, die sehr schmerzhaft sind, wenn sie mit offenen Wunden in Berührung kommen, mit Pfeffergas und sogar mit  einem neuen Gerät Tza’aka (Schrei). Dies ist tatsächlich ein großer Lautsprecher, der auf einem LKW angebracht ist und  schreckliche, betäubenden Lärm von sich gibt, der nicht nur die Ohren, sondern auch das Gehirn beeinträchtigt.“

Aber die Polizei war mit  dem Schreilärm nicht zufrieden und kam damit nicht mehr zurück… All diese Versuche bleiben Versuche; es gibt  keinen Ersatz für das Übliche der Grenzpolizei: Tränengas und Gummi ummantelte Stahlkugeln.

 

„So sehr sich die Grenzpolizei auch selbst wegen der neuen, nicht tödlichen Waffen rühmt, so werden die Demonstrationen nicht weniger tödlich,“ fährt Snitz fort, „Sie werden weiter Gummikugeln wahllos in die Menge der Demonstranten abfeuern . Der Versuch, Skunk als ein  humaneres Mittel darzustellen, ist absurd. Nachdem ich erfahren habe, wie die Grenzpolizei vorgeht, fühle ich mich dank Skunk keineswegs sicherer.“ …

 

Aber trotz der beschwichtigenden  Erklärungen von Ben Harosh, ….. seine neue Erfindung wird die Demonstrationen in der Westbank nicht beeinträchtigen. In der Tat haben die Demonstranten schon einfache Ausweichtaktiken gefunden.

„Wir haben gelernt, Distanz zu den Skunks zu halten“, sagt Nir. „das Skunk ist eine Abschreckung in gewissen Augenblicken, wenn man zur Demonstration kommt. Aber im Prinzip macht es keinen Unterschied. Der LKW fährt langsam; man hat also die Möglichkeit, einen gewissen Abstand zu halten. Die einzige Veränderung, die stattgefunden hat, ist, dass wir uns in große Plastiksäcke hüllen. Wir dachten auch schon daran, Schirme und Regenmäntel mitzubringen.

 

Wenn ich dies abschließend betrachte, hat die Einführung von Skunk in der Frontlinie der Polizeikräfte die Geschichte nicht verändert. Alles geht weiter wie gewöhnlich. Das Skunk stellt die Besatzung  nur in ein absurdes Licht – abgesehen von den Geldsummen und  Bemühungen , die in die  verschiedenen Arten  jämmerlicher Überwachungsmittel gesteckt werden. Es ist Unsinn zu denken, dass diese Substanz die Ideologie von jemandem  verändern wird. Es ist nur eine andere geringfügige Ablenkung vom Hauptproblem: unser Protest gegen die Besatzung. Es ist nur eine andere jämmerliche Erinnerung - falls es jemand vergessen haben sollte - an den Gestank der Besatzung.“

 

(dt. und stark gekürzt, Ellen Rohlfs, ER)

 

 

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