Arabische und palästinensische
Vereine in Berlin
Offener
Brief
An
den Menschenrechtsrats der Vereinten
Nationen
Fact Finding Mission on the Gaza
Conflict
Sehr
geehrter Mr. Goldstone,
wir
sind Palästinenser und Araber, die
in Berlin leben. Mit diesem Brief
wollen wir Ihnen unseren tief
empfundenen Dank für die große
Arbeit aussprechen, die Sie und Ihr
Team in den vergangenen Monaten in
Gaza geleistet haben
Viele
von uns haben Verwandte und Freunde
in Palästina, viele auch ihre
Familie in Gaza, und die Tage des
israelischen Massakers gegen die
Bevölkerung dort waren für uns aus
der Ferne schier unerträglich, so
hilflos vor den Fernsehapparaten
sitzen zu müssen, die Zerstörungen
und Bombardierungen, die Toten und
Verletzten zu sehen, Menschen in
Interviews zu erleben - und nicht
helfen zu können, nicht zu wissen,
ob man am nächsten Tag die Freunde
und Verwandten am Telefon erreichen
wird.
Wir
waren in Sicherheit und unendlich
verzweifelt und - wie Sie wissen -
waren wir es nicht zum ersten Mal.
Es gab
auf der ganzen Welt große
Solidaritätsdemonstrationen, und
Augenzeugen berichteten uns aus
Gaza, es gab die "Free-Gaza-Schiffe"
von Zypern aus und die Versuche von
Ärzten, an der ägyptischen Grenze
nach Gaza zu den Menschen zu
gelangen, um ihre Leben zu retten.
Sie riskierten ihr eigenes Leben und
wurden dafür sogar geschmäht von
israelischer Seite. Für uns sind sie
Helden wie viele andere auch: Dazu
gehören das International Solidarity
Movement die internationalen
Friedenskräfte, die in Gaza blieben,
um zu helfen und Zeugen zu sein,
auch für Ihren Bericht.
Wir
Palästinenser müssen Ihnen nicht die
Kriege und Anlässe aufzählen, bei
denen uns seit 1947 Unrecht geschah.
Und wir müssen Ihnen auch nicht noch
einmal sagen, wie sehr die Welt
bisher geschwiegen hat zur Tragödie
unseres Volkes.
Menschenrechtsgruppen haben
kontinuierlich über die
Lebenssituation unter israelischer
Besatzung berichtet.
Wir
zählten unsere Toten, pflegten
unsere Verletzten, unsere Schreie
hörten die Verantwortlichen nicht -
Straflosigkeit war bisher die
Reaktion der Herrschenden auf
Israels kriegerische Aggressionen,
oft unterstützt von einem
amerikanischen Veto bei Abstimmungen
in der UNO.
Aber
seitdem Sie die schwere Aufgabe
übernommen haben, mit einem Team die
Untersuchung der Kriegsverbrechen in
Gaza durchzuführen, wo Sie die
minutiöse Vorarbeit der
palästinensischen, israelischen und
internationalen
Menschenrechtsgruppen und der Ärzte
als Basis für Ihre Untersuchung
vorfanden, ist unsere Hoffnung
gestiegen, dass es für die Täter
keine Straffreiheit mehr geben wird.
Sie
wußten, dass Ihr Bericht genau wie
der von Richard Falk zuvor auf
Widerstand in Israel stoßen würde,
und trotzdem haben Sie sich auf die
Suche nach der Wahrheit gemacht,
nicht nur für die betroffenen
Palästinenser, sondern um der
Gerechtigkeit willen.
Sie und
Ihr Team haben nicht nur die drei
Wochen des Überfalls auf Gaza vom
27. Dezember 2008 bis zum 18. Januar
2009 rekonstruiert, sondern Sie
haben auch die vorausgehenden sechs
Monate des Waffenstillstands seit
Juni 2008 beschrieben. Sie haben die
israelische Besatzung in all ihren
Auswirkungen für die Palästinenser
in Gaza und der Westbank untersucht,
Sie haben Menschenrechtsverletzungen
in Israel während des Massakers
beschrieben, darunter die Verhaftung
von Demonstranten, die sich gegen
die Offensive in Gaza wandten,
sowie die Verhöre und Erpressungen
bekannter Politiker oder Studenten.
All dies wurde in unseren Medien
verschwiegen.
Sie
haben minutiös die einzelnen
Ereignisse und Verfehlungen
festgehalten, und zwar immer von
beiden Seiten, d.h. auch manche
Menschenrechtsverstöße der
Palästinenser in Gaza und der
palästinensischen Autonomiebehörde
in der Westbank.
So ist
Ihnen und Ihrem Team eine genaue
Darstellung der Lebenssituation
eines unter Besatzung und in
Entrechtung lebenden und leidenden
Volkes gelungen. Die Menschen in
Gaza sind seit drei Jahren
zusätzlich unter Belagerung, manche
nennen Gaza ein großes
Freiluftgefängnis. Dem stellen Sie
die internationalen Menschenrechte
gegenüber und notieren, wo sie
verletzt, mißachtet werden, die
Besatzungsmacht vielleicht nicht
einmal weiß, dass sie den
Palästinensern zustehen – genauso
wie ihnen selbst auch.
Sie
halten fest, wer den
Waffenstillstand nicht einhielt:
Israel, als es die Belagerung nicht
wie vereinbart beendete. Wer den
Waffenstillstand brach: Israel in
der Nacht vom 4. auf den 5. November
2008, als sechs Palästinenser von
der Armee getötet wurden. Es war der
Beginn einer Eskalation. Fünf Monate
lang hatte es keine
selbstgefertigten Raketen der Hamas
auf die Israelis gegeben.
Schließlich der Beginn des Überfalls
an einem hohen jüdischen Feiertag
zur Mittagszeit mit der
Bombardierung von 24
palästinensischen Polizeistationen
(9 am nächsten Tag), wobei 248
Polizisten getötet wurden, und der
Bombardierung des Gefängnisses,
wodurch auch Kriminelle freikamen-
die Ordnungshüter wurden getötet und
die Rechtsbrecher befreit, um gleich
zu Beginn des Überfalls ein
zusätzliches Chaos zu schaffen.
Hier
ein Beispiel: Sie zeigen auf, dass
Polizisten keine Kombattanten,
sondern Zivilpersonen sind, weil sie
als Ordnungshüter des zivilen Lebens
der Bevölkerung tätig sind. Erst
seit den Oslo-Verträgen gibt es in
Palästina überhaupt eine bewaffnete
Polizei. Da Israel sie als Teil der
in ihren Augen „terroristischen
Hamas“ betrachtete, hielt man sie
für „legitime Ziele“. Das widerlegen
Sie mit Zitaten des internationalen
Rechts und der Genfer Konventionen.
Selbst wenn einige Kämpfer von
Milizen in die Polizei integriert
wurden, dürfen nicht alle
angegriffen werden. Die
palästinensischen Polizisten waren
zum Beispiel auch für die Verteilung
von Hilfsgütern zuständig.
Sie
gehen jeder israelischen
Kriegsbehauptung nach und widerlegen
sie: Es ist nicht wahr, dass von
einer UN-Schule aus Raketen
abgeschossen wurden, es stimmte
nicht, dass es Waffen in einer
Moschee gab, es war eine Lüge, dass
Hausbewohner ihre Angehörigen
absichtlich auf die Hausdächer
schickten, damit nicht bombardiert
wurde. Es war eine Lüge, dass sich
Hamasleute in Krankenhäusern
versteckten – alle diese Gebäude
wurden bombardiert, es gab viele
Tote und Verletzte.
Wieder
ein Beispiel: Sie zeigen auf, mit
welcher Grausamkeit eine Moschee
bombardiert wurde, als viele Betende
und Schutz Suchende dort waren. Die
israelische Armee behauptete, in der
Moschee seien Waffen versteckt. Wäre
es so gewesen, hätte das israelische
Militär – schlimm genug – die
Moschee bei Nacht bombardieren
können, wenn sich dort keine
Menschen zum Gebet aufhalten. Die
Raketen drangen direkt durch den
Eingang der Moschee ein und töteten
viele Betende, darunter Frauen und
Kinder. Sie stellen fest: Hätte es
Munition in der Moschee gegeben,
hätte es Nachexplosionen geben
müssen – die gab es nicht.
Israel
hat immer wieder behauptet, die
Hamas würde Zivilisten als
menschliche Schutzschilde
mißbrauchen. Dafür fanden Sie keine
Beweise, wohl aber beschreiben Sie
mehrere sehr grausame Behandlungen
von Palästinensern, die als
menschliche Schutzschilde der
israelischen Armee benutzt und
gequält wurden:
Ein
Mann wurde geschlagen und gezwungen,
in einem Haus nach Kämpfern zu
suchen, sie zum Aufgeben
aufzufordern, andernfalls würden er
und seine Familie für sie getötet.
Sie und Ihr Team beschreiben die
Qualen dieses einzelnen Menschen,
dessen Namen Sie nennen, mit einer
solchen Genauigkeit. Ihre Sprache
ist ein menschliches Zeugnis des
Mitgefühls mit jedem leidenden und
gedemütigten Menschen. Auch der drei
palästinensischen Männer, die dem
Mann halfen und in dem Haus zu Tode
kamen.
Sie
beschreiben das Schicksal einer
Großfamilie, der Samounis, die 29
Angehörige bei diesem Massaker
verloren hat, und heben hervor, dass
es Palästinenser sind, die immer in
Freundschaft mit Israelis gelebt und
gearbeitet haben.
Sie
geben allen Opfern, die Sie
exemplarisch herausheben, Namen und
Würde und schreiben sie in das
Gedächtnis der Welt ein und zur
Mahnung gegen jeden Krieg.
Es ist
ein Buch der Tragödie, ein Buch der
Wahrheit, zu dem alle Menschen in
Gaza beigetragen haben. Denn Sie
hatten zwei öffentliche Hearings,
die auch im Fern-sehen übertragen
wurden. Sie haben die zerstörte
Infrastruktur gesehen und die
Menschen in ihren zerstörten Häusern
besucht, Sie haben die zerbombten
Kranken-häuser gesehen und von den
erschossenen Helfern und Ärzten
gehört und sich ihr Schicksal
beschreiben lassen. Alle Ihre
Informationen stammen aus erster
Hand.
Dafür
führten Sie 188 Interviews.
Zusätzlich arbeiteten Sie mehr als
300 Berichte von insgesamt 10.000
Seiten durch, sahen über 30 Videos
und 1200 Fotografien.
Außerdem lasen Sie medizinische
Berichte über die Verletzungen von
Opfern, Sie machten forensische
Analysen von Waffen und Munition,
sprachen mit den vielen mutigen
Journalisten, die aus Gaza unter
Lebensgefahr berichteten, allerdings
nicht für Deutschland. In
Deutschland wurden keine Nachrichten
des arabischen Fernsehens übernommen
und der in Israel akkreditierte
Journalist des 1. Fernsehen z.B.
blieb in Shderot im Süden Israels
und ließ sich „briefen“, selten
benutzte er das Bildmaterial eines
palästinensischen Kameramannes aus
Gaza, aber dann textete er es
selbst. Wenn wir hier in Deutschland
auf die Straße gingen im Januar,
waren unsere Herzen schwer und die
Bilder gingen uns nicht aus dem
Kopf, aber deutsche Demonstranten
auf der Straße wußten oft nicht
genug Bescheid und Passanten
glaubten meistens der israelischen
Propaganda.
Natürlich gab es Ausnahmen, aber wir
hatten es schwer, unser Wissen und
unsere Trauer mitzuteilen, denn es
gab niemanden, der die Situation so
beschrieb wie Sie und Ihr Team es
nun getan haben. Und dafür danken
wir Ihnen, solange wir leben.
Sie berichten über die Aussagen der
israelischen Soldaten, die zugaben,
Befehle ausgeführt zu haben, die als
Kriegsverbrechen angesehen werden
müssen. "Breaking the Silence" ist
eine Gruppe von Soldaten, die schon
seit Jahren über Verfehlungen
während ihres Militärdienstes
berichten. Nun haben sie auch
Soldaten über das Massaker in Gaza
interviewt und ihre Aussagen zum
Teil ins Internet gestellt, die sich
mit Ihren Untersuchungen decken.
Diese
Soldaten haben Vorbilder: Die
"Winter Soldiers" in Amerika, die
über den Krieg in Vietnam
berichteten, was zu vielen
Verweigerungen und schließlich zum
Ende des Krieges führte.
Amerikanische Soldaten, die heute
öffentlich über Verbrechen im Irak
berichten, nennen sich in dieser
Tradition auch "Winter Soldiers“.
Wehrdienstverweigerung ist in Israel
weder jungen Mädchen noch jungen
Männern erlaubt, sie müssen zwei
beziehungsweise drei Jahre zum
Militär - eine viel zu lange Zeit
für junge Menschen, so lernen sie,
das Militär als Teil ihres Lebens zu
akzeptieren. Aber auch hier gibt es
Ausnahmen; junge Menschen gehen
lieber ins Gefängnis als zum
Wehrdienst. Sie nennen sich „Refuseniks“
oder „Shministims“ (Hebräisch für
Zwölftklässler) und haben sich mit
amerikanischen
Kriegsdienstverweigerern vernetzt,
um eine internationale
Widerstandsbewegung gegen staatlich
getragene Besatzungsgewalt
aufzubauen – von Palästina bis zum
Irak und Afghanistan. 150
israelische Studenten erklärten
jetzt in einem Brief ihre
Verweigerung. Palästinenser haben
keine Armee, auch das stärkt ihr
pazifistisches Verhalten.
Wir
Araber in den Ländern außerhalb
unserer Heimat möchten zum Frieden
in Palästina beitragen. Unsere
Hauptaufgabe in unserer zweiten
Heimat besteht darin,
Solidaritätsarbeit zu leisten,
Spenden und Medikamente zu sammeln
und über die Situation im besetzten
Palästina zu berichten.
Die
Menschen dort sind in unseren
Herzen, an erster Stelle die
Leidenden in Gaza und die über 11000
Gefangenen in israelischen
Gefängnissen, darunter Frauen,
Kinder und Jugendliche. 335
Gefangene sind ohne jede Anklage
inhaftiert und damit auch ohne
rechtliche Verteidigung, manche von
ihnen bereits seit Jahren. Auch
darüber und über die
menschenunwürdigen Haftbedingungen
haben Sie berichtet.
Nun
endlich wird auch hier in den
Zeitungen darüber geschrieben. Es
hat den Anschein, als sei ein
Vorhang weggezogen worden und das
wahre Gesicht der israelischen
Besatzung ist sichtbar geworden. Der
Versuch Israels, sich straflos als
Besatzungsmacht im Recht zu fühlen,
bekommt Risse, und das in vielen
Jahren gezeichnete Feindbild der
Palästinenser verändert sich: Die
Forderung nach Gleichheit und
Menschlichkeit, nach einem Ende der
längsten Besetzung eines Landes in
der neueren Geschichte wird wieder
lauter.
Gleichzeitig werden reaktionäre
Kräfte in Israel durch die neue
rechte Regierung bestärkt, die
Siedler treten in Jerusalem dreister
auf, besetzen Häuser, bedrohen
Betende in der Al-Aqsa-Moschee und
Felsendom-Moschee auf dem Al-Haram
al-Sharif. Jeden Tag werden Menschen
in der Westbank verhaftet, jeden Tag
werden Olivenbäume zerstört, wird
palästinensisches Land für weitere
illegale Siedlungen enteignet. Die
Regierung enteignet und vertreibt
palästinensische Hausbesitzer in
Jerusalem und trotz internationaler
Proteste bemüht sie sich nicht um
die Beendigung des Siedlungsausbaus.
Israelische Politiker und Militärs
leugnen den Wahrheitsgehalt Ihres
Berichtes und begehen weiterhin
völkerrechtswidrige Taten. Und das
allerschlimmste ist für uns, dass
die Belagerung von Gaza immer noch
andauert. Nach all den
Grausamkeiten, die Sie beschrieben
haben, nach dem Massaker, bei dem
über 1400 Menschen starben (darunter
410 Kinder) und bei dem fast 6000
Menschen verletzt wurden. Viele von
ihnen können bis heute nicht adäquat
behandelt werden, da es an
medizinischen Geräten, Rollstühlen
und Medikamenten fehlt. Zu wenige
Patienten können in den umliegenden
Ländern behandelt werden.
Medizinische Hilfslieferungen aus
aller Welt läßt Israel oft nicht zu
den Hilfsbedürftigen.
Israelische Politiker behaupteten zu
Beginn des Überfalls auf Gaza, sie
müßten ihre Bevölkerung vor dem „Raketenbeschuß
der Hamas“ schützen. Wir hörten aus
Gaza das Argument: „Wir sind
belagert. Wir werden nicht
schweigend verhungern.“ Der Kampf
gegen die Besatzungsmacht ist
völkerrechtlich erlaubt. Die
Palästinenser weigern sich, eine
Gleichsetzung einer Notwehrsituation
wie die der Menschen in Gaza mit der
hochausgerüsteten israelischen Armee
zu machen, die einen Überfall auf
eine unbewaffnete Bevölke-rung unter
Belagerung plante und mit modernsten
tödlichen Waffen verübte, mit
Phosphorbomben, die schrecklichste
Wunden bei denen hinterlassen, die
einen Angriff überhaupt überleben,
mit uranangereicherten Raketen,
deren Überreste langfristig Krebs
erzeugen können.
Die
Hamas hatte eine Verlängerung der
Waffenruhe vorgeschlagen. Israel
ging nicht darauf ein. Heute gibt es
keine Raketen mehr, aber die
Belagerung bleibt bestehen.
Auch
Sie setzen die Gewalt der
hochgerüsteten israelischen Armee,
der Sie vor-werfen, eine ganze
Bevölkerung kollektiv bestraft zu
haben, nicht mit den
selbstgefertigten Raketen der
palästinensischen Kämpfer gleich:
Sie beschreiben die Auswirkungen von
Raketen auf die israelische
Zivilbevölkerung im Süden des Landes
zwar auch als ein mögliches
Kriegsverbrechen, aber Sie benennen
jede Menschenrechtsverletzung für
sich. Sie erwähnen auch die
Menschenrechtsver-letzungen der
Autonomiebehörde bei Demonstrationen
in der Westbank und die Gefangenen.
Jede beteiligte Seite ist
aufgefordert, eine unabhängige
Kommission zu gründen, um die
Vorwürfe zu prüfen und die Täter zu
bestrafen.
Die
palästinensische Seite hat eine
solche Untersuchung zugesichert. Die
Hamas in Gaza hat mit Ihnen
zusammengearbeitet, Ihre Arbeit
unterstützt und nicht kontrolliert.
Israelische Verantwortliche
verweigerten Ihnen jegliche
Unterstützung: Weder konnten Sie
über die israelische Grenze nach
Gaza einreisen, noch konnten Sie
während Ihres Aufenthaltes von Gaza
in die Westbank reisen, um die
palästinensische Autonomiebehörde zu
befragen. Sie waren auf
Telefongespräche angewiesen und auf
Treffen in Amman sowie auf ein
Extra-Hearing in Genf, wo auch
Israelis über die
Menschenrechtsverletzungen in Israel
bei den Demonstrationen während des
Überfalls auf Gaza im Januar
berichteten. Sie konnten sich auch
kein eigenes Bild von den äußeren
Schäden der israelischen Bevölkerung
im südlichen Israel machen, Israel
erlaubte es Ihnen nicht.
Nun
behaupten israelische Politiker und
Militärs, der Bericht sei einseitig,
fehlerhaft und ungerecht. Wenn wir
kritische Beiträge lesen, merken wir
schnell, ob jemand einen Blick in
Ihren 575 Seiten dicken Report
geworfen hat – häufig ist das nicht
der Fall. Bis heute wurden Ihnen und
Ihrem Team nicht eine Ungenauigkeit,
nicht ein einziger wirklicher Fehler
nachgewiesen. Ihr Report steht im
Internet. Jeder, der Englisch lesen
kann, könnte wissen, was Sie
wirklich geschrieben haben.
Der
Resolution für eine Abstimmung im
amerikanischen Repräsentantenhaus
gegen Ihren Bericht haben Sie mit
der Widerlegung von 14 Punkten
widersprochen. Trotz-dem wurde
schließlich gegen Ihre bedeutende
Arbeit gestimmt und Sie wurden nicht
gehört, wie Gegner der Resolution
verlangt hatten.
Wir
sahen Sie in Interviews, in denen
Sie von der Warmherzigkeit und der
Freund-lichkeit der Menschen in Gaza
berichteten und von den Alpträumen,
die Sie nicht verlassen werden bis
an Ihr Lebensende, weil Sie so viel
Tragisches und Grausames hören und
sehen mußten.
Und
dabei sind Sie und Ihre drei
Mitarbeiter Zeugen der schlimmsten
Kriege unserer Zeit gewesen und
haben Menschenrechtsverletzungen und
Kriegsverbrechen in verschiedenen
Ländern untersucht. Sie alle Vier
haben sich der Hoffnung verschrie-
ben, dass eine Welt ohne Gewalt,
Krieg und Rüstung möglich ist.
Sie
selbst haben in Ihrer Heimat
Südafrika die Verbrechen der weißen
Polizei und des Militärs an der
schwarzen unterdrückten Bevölkerung
während der Apartheid, der
Rassentrennung, als Richter mit
untersucht. Die damalige Kommission
trägt Ihren Namen. Es war Nelson
Mandela, der erste schwarze
Präsident Südafrikas, der Sie 1994
bat, mit Ihren Erfahrungen aus
Südafrika an den Internationalen
Gerichtshof nach Den Haag zu gehen.
Nach dem Ende der Apartheid waren
„Wahrheits- und
Versöhnungskommissionen“
eingerichtet worden, vor denen Täter
ihre oft grausamen Handlungen
eingestehen mußten, ehe sie frei
waren. Desmond Tutu ist eine
Symbolfigur für diese große
menschliche Geste der Opfer an die
einstigen Täter.
Sie
waren Chefankläger im
Jugoslawien-Tribunal, haben den
Krieg in Bosnien erlebt. Für den
UN-Sicherheitsrat untersuchten Sie
den Völkermord in Ruanda, Schweden
bat Sie um eine unabhängige
Untersuchung der
Menschenrechtsverletzungen im
Kosovo. In Argentinien suchten Sie
nach den Spuren untergetauchter
Nazis. Sie sind Professor und
schrieben das Buch „For Humanity:
Reflections of a War Crimes
Investigator“. Im April beauftragte
Sie der UN-Menschenrechtsrat in Genf
mit der Untersuchung von
Kriegsverbrechen und
Menschenrechtsverletzungen in Gaza.
Es war
Nelson Mandela, der einmal sagte,
die Südafrikaner werden erst dann
wirk-lich frei sein, wenn auch die
Palästinenser frei sein werden.
Die
pazifistische palästinensische
Bewegung Al Mubadara, die der Arzt
und Politiker Mustafa Barghouti
zusammen mit dem verstorbenen
Schriftsteller und Professor Edward
Said gründete, knüpft an die
gewaltlosen Erfahrungen der
Südafrikaner an. Mustafa Barghouti
rief vor sieben Jahren Pazifisten
nach Palästina, um bei dem
gewaltlosen Kampf gegen die
israelische Besatzung mit zu helfen.
Desmond Tutu war oft in Palästina.
Dieser gewaltlose Kampf gegen die
Mauer in Dörfern wie Bil’in und
Nil’in, die Sie auch in Ihrem Report
erwähnen, wird langsam weltbekannt.
Israelisches Militär reagiert mit
Härte, einige palästinensische und
internationale Friedensaktivisten
wurden verletzt, mehrere sogar
getötet wie die 23jährige
Amerikanerin Rachel Corrie. Trotzdem
helfen uns junge und ältere Menschen
aus vielen Ländern der Welt und
berichten über unser Schicksal,
manche haben auch Bücher darüber
geschrieben. So werden auch die
Gruppen bekannt, die gemeinsam für
Gerechtigkeit und ein Ende der
Besatzung kämpfen.
Sie
sind ein Zeuge dafür, dass
Menschlichkeit in Südafrika gesiegt
hat. Und Sie haben es erreicht, dass
Kriegsverbrecher bestraft wurden.
Wir hoffen, dass Sie ein weiteres
Mal in Ihrem Leben dazu beitragen
können, einen gerechten Frieden
vorzubereiten, diesmal im Nahen
Osten. Ohne erneute Gewalt. Sie
glauben bis heute, dass Israel auch
eine Unabhängige Kommission
einrichten wird, um eigene
Kriegsverbrechen aufzudecken und zu
verfolgen. Sie hoffen auf ein
Umdenken in der israelischen
Gesellschaft.
Der
UNO-Menschenrechtsrat in Genf hat
eine Resolution verabschiedet und
Ihren Report an die
UNO-Vollversammlung weitergeleitet,
wo er am 4. und 5. November
diskutiert und mit großer Mehrheit
verabschiedet wurde.
Wir
Araber und Palästinenser leben in
Deutschland, dessen Vertreter in der
UNO-Vollversammlung gehalten war,
mit „Nein“ zu stimmen. Wir kennen
viele Menschen, die dieses „Nein“
beschämt. Sie sind unsere Hoffnung.
Wenn in
späteren Jahren in der Region
lebende Kinder in den Schulen über
bedeutende Menschen unserer Zeit
lernen, werden sie neben den Namen
Mahatma Gandhi, der auch in
Südafrika wirkte, Martin Luther King
und Nelson Mandela den Namen Richard
Goldstone hören und über den
Juristen erfahren, der den
Grundstein legte für eine Welt ohne
Krieg. Und dafür verehren wir Sie
schon heute.
Herzliche Grüße an Sie und Ihre
Mitarbeiter.
Arabische und palästinensische
Vereine in
Berlin 9.
November 2009
UN Menschenrechtsrat
Professor Richard Goldstone
Professor Christine Chinkin
Mrs. Hina Jilani,
Advocate
Colonel Desmond Travers, Director
UN
Menschenrechtsrat Genf Schweiz
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