Als die Soldaten
einmarschierten, fürchteten wir das Schlimmste
Eyad
El-Sarraj, Gaza-Stadt
Kann es denn noch
schlimmer werden? Nach einer entsetzlichen Woche sind die Israelis noch
einmal bis vor unsere Hausschwelle gekommen. Und dabei hatten wir doch
schon so viel Angst und Schrecken erlebt.
Als die israelischen
Luftangriffe begannen, stritten meine Frau und ich uns gerade über Linsen.
Sie sagte, wir könnten zum Mittagessen keine Linsensuppe haben, weil es in
den Läden gar keine Linsen mehr gibt. Auch keinen Reis und kein Mehl.
Plötzlich gab es einen betäubenden Knall, dem eine Reihe von Explosionen
folgten, wie ich sie bis jetzt nicht erlebt habe. Unser Haus bebte, unsere
Fenster klirrten.
Voller Panik rannten wir
in den kleinen Flur. Meine Schwägerin, die in der oberen Etage wohnt, kam
verzweifelt zu uns, weil ihre kleine Tochter noch nicht von der Schule
zurück war. Sari, ein Junge aus der Nachbarschaft, klopfte an unsere Tür und
bat um Unterschlupf. Wir zitterten, als er uns erzählte, dass er mit einem
Taxi auf seinem Heimweg von der Schule war und es plötzlich einen
donnerartigen Knall gegeben hätte. Der Taxifahrer hätte schnell angehalten
und sei davon gerannt. Die Mitfahrer seien in alle Richtungen geflohen.
Sari wäre auch ziellos herumgelaufen. Die Explosionen schienen ihn zu
verfolgen, sagte er. Dann kam er zu Leuten, die blutend auf der Straße
lagen. Er ging zu einem Mann, um ihm zu helfen, und berührte seine Hand.
Doch diese war nur ein Stück verbranntes Fleisch. Jemand rief ihm zu,
wegzugehen. Also rannte er weg.
Die Nachrichten kamen
übers Telefon und das Fernsehen: mehr als 200 Leute waren getötet und viel
mehr verletzt worden – in weniger als 10 Minuten. Die Zahlen stiegen und
die Beerdigungsszenen füllten den Fernsehschirm. Anscheinend hatten F
16-Flugzeuge mehr als 100 t Bomben auf das überbevölkerte Gaza geworfen und
mehr als 300 Ziele bei einer Mission abgeworfen. Die Piloten müssen
zurückgemeldet haben, dass sie ihre Mission erfüllt hätten. Aber nie
berichteten sie über das Leid und den Schmerz der unschuldigen Leute und
über die Angst, die ihre Piloten-Kämpfer mitten in die Herzen der Kinder
gesät haben.
Noor meine Stieftochter
war den ganzen Tag über still. Dann brach sie abwechselnd in Weinen und
hysterisches Lachen aus. Sie ist an sich ein wunderbares Mädchen mit
künstlerischer Begabung. Sie möchte Gedichte schreiben.
Am Montag klingelte das
Telefon. Es war mein Freund Salem, der mich um Rat fragte. Seine vier Kinder
im Alter zwischen 5 und 11 machten alle in der vergangenen Nacht wieder ins
Bett. Schon vor langer Zeit hatten sie damit aufgehört.
Drei Tage, nachdem der
Angriff begann, wurde berichtet, dass Prof. Fawaz Abu Sitta von der
Al-Azhar-Universität hier getötet worden sei. Der Schutt eines neben
seinem Haus stehenden hohen Ministeriumsgebäude habe nach einem
Bombardement seine kleine Villa zugedeckt. (Inzwischen erfuhren wir, dass
er und seine Frau Anke und seine alte Mutter aus dem Keller lebend gerettet
werden konnten. Seine Kinder leben in Deutschland und Ägypten ER)
Das Gemetzel geht weiter.
Auch die humanitäre Krise, die durch die israelische Belagerung des
Gazastreifens verursacht wurde: es fehlt an Medikamenten, an Brot, Mehl,
Gas, Strom, Brennstoff und fast an allem anderen.
(dt. Ellen Rohlfs)
,
The Washington-Post, 4.Januar 2009
www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2009/01/02/AR2009010202195.html?sub=AR
|