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Anerkannter palästinensischer Schauspieler
Mohammed Bakri steht in Israel vor Gericht
wegen des Dokumentarfilmes „Jenin, Jenin“
Der
palästinensische Schauspieler und Direktor
Mohammed Bakri ist einer von Israels
bekanntesten Bürgern. Aber seitdem er einen
Dokumentarfilm über Israels Angriff, 2002
auf die Westbankstadt Jenin gedreht hat,
stand er tatsächlich auf der schwarzen Liste
in Israels Kinos, und jetzt steht ihm
wegen dieses Filmes möglicherweise
Gefängnisstrafe bevor.
Er hat in
über einem Dutzend israelischer und
internationaler Filme als Schauspieler
mitgewirkt: „Hanna K“ von Costa Gavras, und
er ist wohl bekannt als Theaterschauspieler
und Direktor. Doch seitdem er einen
Dokumentarfilm über Israels Angriff auf
Jenin 2002 gedreht hat ….
Im April
2002 tötete das israelische Militär 52
Palästinenser, zerstörte 150 Gebäude und
schloss das Flüchtlingslager zwei Wochen ab.
Mehrere Menschenrechtsgruppen klagten Israel
an, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Die
UN sagte ihre Untersuchungsmission ab,
nachdem Israel ihnen den Zugang verweigerte.
Bakris Dokumentation „Jenin, Jenin“ war
einer der ersten, der die Geschichten der
Bewohner des Flüchtlingslagers während des
israelischen Angriffs erzählte. „Bewohner
des Lagers Jenin: „Keiner in der Welt hat
solche Grausamkeiten begangen. Sie
zerstörten die Häuser übe r den Köpfen der
Kinder. Sie kamen mit ihren Panzern und
F-16-Flugzeugen und kämpften gegen
Steinewerfer. Wie kann man das erklären? Die
Welt hat nur taube Ohren dafür. Das ist
nicht in Ordnungr.“
Obwohl der
Film internationale Anerkennung fand, wurde
der Film anfänglich gesperrt bis der
israelische Oberste Gerichthof ihn freigab.
Dann wurde Bakri von fünf israelischen
Soldaten verklagt, die bei dieser
militärischen Operation in Jenin beteiligt
waren. Sie behaupten, dass Bakri
Informationen über sie gefälscht haben soll.
Die Gerichtsverhandlung beginnt im
September.
Interview
mit Amy Goodman (AG) mit Mohammed
Bakri (MB):
AG:
Ich fragte ihn, wie er dazu kam, diesen Film
zu drehen.
MB:
Manchmal ist man leider gezwungen, etwas zu
tun, was man nicht in seinem Programm hat.
Ich bin Schauspieler. Niemals habe ich
daran gedacht, einen Dokumentarfilm zu
drehen. Mein Beruf ist Schauspieler auf der
Leinwand und auf der Bühne.
Während der
Invasion des Flüchtlingslagers in Jenin, die
am 29.März 2002 begann, spielte ich im
Theater. Wir führten ein Stück von Llorca
auf. Und gleichzeitig geschahen
unglaubliche Dinge auf der Westbank,
einschließlich in Jenin. So haben wir, eine
Menge Leute, Hunderte, Juden und arabische
Israelis dagegen demonstriert. Wir
demonstrierten am Kontrollpunkt nördlich von
Jenin mit Slogans wie „Stoppt den Krieg!“
„Stoppt das Massaker!“ „Stop“ und alle Arten
von Friedensslogans. Und plötzlich kam ein
israelischer Soldat auf uns zu, schaute uns
böse an, zog sein Gewehr, eine M16, und
begann, auf uns zu schießen. Mein Kollege,
der in meinem Spiel ein Schauspieler war,
wurde erschossen. Seine Hand explodierte.
Das machte mich wahnsinnig; denn -so dachte
ich - wenn dieser Soldat sich uns
israelischen Bürgern gegenüber so benimmt,
uns , die wir nur demonstrieren, wie mag er
sich dann im Lager verhalten ? In diesem
Augenblick dachte ich mir: ich muss dorthin
gehen und einen Film über das drehen, was
dort geschieht, weil keiner weiß, was dort
geschieht. Jeder dachte, dass dort im Lager
viele Dinge falsch laufen, und zwar
Verbrechen.
Nach zwei
Wochen also oder auch weniger, als die
Invasion beendet war, schlich ich mit einem
Kameramann und einem Tonaufnehmer dorthin,
und wir drehten vier Tage lang nonstop.
Alles was wir sahen. Ich filmte die Häuser,
die Leute, die noch alle unter Schock
standen. Sie wollten uns ihre Geschichten
erzählen. Auch ich war geschockt, als ich
das sah und hörte. Ich konnte nicht denken
und nicht fühlen. Ich war nur zutiefst als
Mensch gedemütigt, nicht als Palästinenser,
nicht als Direktor oder Schauspieler – nur
als Mensch. Wie können Menschen nur so etwas
tun, was sie im Lager getan haben? Also
filmte ich die Leute und filmte alles. Und
ich traf viele Leute, junge, alte, Frauen
und Kinder. Und ich machte mein Filmgerät an
und fragte: was ist geschehen? Nur dies
fragte ich. Und jeder erzählte nonstop
Geschichten über das, was er empfand, was er
sah, was er hatte. Und der Film wurde in
Israel verboten,
AG
: Aus welchem Grund? MB: Er wurde
verboten. Sie sagten, der Film sei
einseitig, einseitige Ansichten; der Film
sei Propaganda; er würde Terror
unterstützen..
Und sie
wissen, ich bin in Israel ein bekannter
Schauspieler. Ich drehte viele Filme. Mein
Film: “Jenseits der Mauern“, 1984, vertrat
Israel und erhielt den amerikanischen Oskar.
Ich bin als berühmter Schauspieler in
Israel bekannt. Und plötzlich wurde ich
ihrer Ansicht nach ein Bin Laden . Sie
massakrieren mich in den Medien, im
Internet, im Fernsehen und in den Zeitungen.
Und wissen Sie, plötzlich fühle ich mich
betrogen. Ich bin ein guter Bürger. Ich
arbeite im Theater, im israelischen Theater.
Ich spiele in vielen Stücken und Filmen mit.
Und all meine Filme reden über Koexistenz,
Liebe und Frieden und Träume - über eine
wirklich gute Lösung für jeden. Ich habe
kein Problem mit Israelis oder mit Juden.
Ich habe auch kein Problem mit Israel als
Staat. Ich habe ein Problem mit der
Besatzung. Und mein Film war gegen die
Besatzung. So - und jetzt zahle ich den
Preis. Ich weiß, was mir Angst macht, dass
ich mich selbst frage : man behauptet,
Israel sei der einzige demokratische Staat
im Nahen Osten. OK, gut. Warum tun sie dann
das, wenn wir in einer Demokratie leben.
Können Sie sich vorstellen, dass Michael
Moore in Amerika einen Film dreht und dann
ins Gefängnis kommt? …Er machte viele Filme,
und sie sind alle gegen den Mainstream und
er wurde nie bestraft. Er muss dafür keinen
Preis zahlen. Er ist ein sehr berühmter,
sehr reicher Mann und sehr erfolgreich. Wo
also ist in Israel Demokratie?
AG:
Mohammed Bakri, ich sah Nachrichten bei BBC.
Dort wurde gesagt: Fünf Reservesoldaten
belangen einen israelisch-arabischen
Filmdirektor gerichtlich und klagen ihn an,
er habe Soldaten verleumdet, die in der
Schlacht um das Jeniner Flüchtlingslager
gekämpft hätten. Sie klagen Mohammed Bakri
an , er habe sie verleumderisch porträtiert
und er habe im Film „Jenin, Jenin“ ihre
Kameraden als Kriegsverbrecher dargestellt.
Die Soldaten verklagen auch zwei israelische
Kinos, die den Film, nachdem er freigegeben
wurde, gezeigt hatten. Sie verlangen über
eine halbe Million Dollar. Einer der
Reservisten sagte zur isr. Tageszeitung
Haaretz: Wir erhielten ein
Notstandseinberufungsbefehl, und wir
kämpften, um unsere Häuser zu sichern. Wir
kämpften langsam einen Tag um den anderen,
um unter der zivilen Bevölkerung keinen
Schaden anzurichten. Der stellt uns als
Kriegsverbrecher dar.“ Was sagen Sie dazu?
MB:
Ich weiß, dass sie unter dem Slogan „Krieg
gegen den Terror“ ihr Heimatland
verteidigen. Aber sie kämpfen nicht für
ihre Heimat. Sie kämpfen für die Siedlungen.
Sie kämpfen, um die Besatzung aufrecht zu
erhalten. Sie müssen nicht dort sein. Sie
haben in der Westbank nichts verloren – auch
nicht im Gazastreifen. Dies Land wurde 1967
besetzt. Also ist dies für mich kein
palästinensischer Terror.
Ich bin auch
gegen Selbstmordattentate, die überall in
der Welt geschehen - nicht nur in
Palästina. Ich bin ein Mensch und darum
halte ich dies auch nicht für richtig. Es
ist unmenschlich, unschuldige Menschen zu
strafen – egal wo sie sind.
Aber
gleichzeitig straft Israel das ganze
palästinensische Volk. Die Leute die hier
sind, sind gewöhnlich unschuldige Menschen.
Das ist also nicht richtig. Mit
Selbstmordattentaten gegen die Besatzung zu
kämpfen, ist nicht der richtige Weg. Aber
dies ist auch nicht die richtige Weise,
Terroristen zu bekämpfen, indem man die
ganzen Häuser zerstört und durch eine solch
grausame Invasion.
AG:
Ihr zweiter Film heißt: „Since you left“ –
sagen Sie etwas dazu!
MB:
Nun der 2. Film erzählt über mein Leben seit
2002 bis heute. Seit dem ich den Film
„Jenin, Jenin“ drehte bis heute erzähle ich
meinem besten Freund und meinem besten
Mentor – meiner Meinung nach der beste
palästinensische Autor ( Emil Habibi), der
die bekannte Novelle „Der Peptimist“
geschrieben hat und die in viele Sprachen
sogar ins Japanische und Chinesische
übersetzt wurde … Ich machte aus der Novelle
ein Theaterstück für einen Schauspieler und
reiste damit in viele Länder…Ich erzählte
ihm, was mir - seitdem er uns durch seinen
Tod verlassen hat - in meinem Land
geschehen ist.
AG.:
Erzählen Sie von Ihrem Anwalt und was Sie
jetzt durchmachen und über diese
ungewöhnliche Beziehung, die Sie mit ihm
haben.
MB.:
Ich habe diesen Anwalt gern. Ich achte ihn
sehr. Ich habe eine hohe Meinung von ihm.
AG:
Er ist in Israel sehr bekannt? MB: es
ist der bekannteste Anwalt. Er verteidigt
gerade den Präsidenten Israels … AG:
Sullivan. MB: Er ist mein Freund und
mein Partner … er ist ein Opfer des
Holocaust. Seine Mutter war
Holocaustüberlebende …Ich hoffe, dass ich
mit ihm noch viele Filme drehen kann, die
die israelische Gesellschaft berühren …
AG
Sie
wollen also nach Israel zur
Gerichtsverhandlung zurückkehren. MB:
Ja. AG: Was erwarten Sie nun?
MB:
Nun ich bin optimistisch. Ich hoffe. Ich
fühle mich wie in einem Buch von Kafka. Denn
diese Soldaten, die mich verklagen, werden
in meinem Film „Jenin,Jenin“ nicht gezeigt.
Sie werden auch nicht mit Namen genannt und
ich weiß gar nicht einmal, wer sie sind.
Ich weiß nicht, wer hinter ihnen steht. Ich
weiß nicht, was sie von mir wollen…AG:
Müssen diese nicht ihren Namen nennen?
MB:
Nein. Man machte drei Filme in Israel: Der
eine ist „Jenin, Jenin: das Massaker an
der Wahrheit“ – gegen meinen
Film. „Der Weg nach Jenin“ und „Tagebuch
der Soldaten in Jenin“ - drei Filme –
wie eine Antwort auf meinen Film. Alle drei
Filme wurden in den Hauptkanälen des isr.
Fernsehens mehr als einmal gezeigt. Alle
waren gegen meinen Film. Mein Film wurde
verboten und in Israel nicht mehr gezeigt.
AG: Wurde das Verbot nun aufgehoben?
MB: Nein, man hat ihn zwar frei
gegeben – aber keiner will ihn sehen, da
alle auf Grund der Medien glauben, es sei
eine Vergeltung. Dies ist nicht wahr. Es ist
eine Lüge. Ich bin Schauspieler und ich
schaue in Ihre Augen und kann Ihnen sagen,
was sie empfinden. Ich kann Sie nicht
anlügen. Das ist meine Weltsicht und so ist
mein Film „Jenin, Jenin“. Sie mögen ihn
nicht, weil er die andere Seite der Wahrheit
zeigt.
AG:
Wurde der Film überall in der Welt gezeigt?
MB: Nein. AG: Außerhalb
Israels?
MB:
Nein , er wurde nirgendwo auf der Welt
gezeigt. Er war für den 1.April 2003 im
Programm ARTE vorgesehen, mit dem ich einen
Vertrag habe. Einen Tag vorher wurde ich
angerufen, und man sagte mir: „Es tut uns
leid, aber Ihr Film kann morgen nicht
gezeigt werden.“ Ich fragte: „Warum?“ Bis
heute habe ich keine Antwort erhalten. Also
wurde der Film in Israel und überall in der
Welt verboten. Und ich habe das Gefühl, dass
Israel die Welt besetzt hält.
AG:
Sie sind ein israelischer Palästinenser, ein
israelischer Araber. Was heißt das für Sie
und Menschen außerhalb Ihres Landes. MB:
Ich bin ein Bürger in Ihrem Land und
gleichzeitig befinde ich mich nur in einer
Ecke. Ich bin Palästinenser und ich bin
Israeli. Ich liebe mein Land und liebe seine
Menschen … AG: Wo wurden sie geboren?
MB : In einem kleinen Dorf im Norden
Galiläas, und ich lebe noch immer dort. Ich
glaube, dass viele gute Israelis nicht
wissen, was wirklich in den (besetzten)
Gebieten vor sich geht. Und ich glaube,
einige wollen das auch gar nicht wissen. Ich
möchte aber, dass sie es wissen. Das ist es,
was ich will. Deshalb tue ich, was ich tue.
Und wenn ich noch einmal „Jenin“ drehen
würde, dann würde ich es genau wieder so
tun. AG: Sie sind hierher (USA)
gekommen und haben hier Vorstellungen
gehabt. Was denken Sie, wie hier über das,
was in Israel und den besetzten Gebieten
geschieht, berichtet wird?
MB:
Es ist Gehirnwäsche. Man weiß hier nichts
von dem, was dort geschieht. Ich gebe nicht
den Amerikanern die Schuld, aber ihrer
Regierung.
AG:
Wenn wir beobachten, was sich im
Gazastreifen und auf der Westbank entwickelt
– und nun die Verurteilungen – zwei Völker,
drei Staaten – was denken Sie darüber?
MB:
die Lage ist extrem schwierig. Ich denke,
wenn man zwei Brüder, die sich sonst gut
vertragen, ein Jahr lang in einen Raum
sperrt und sie nicht hinausgehen lässt, dass
sie sich dann gegenseitig umbringen. Wenn
sie nichts zu essen haben, wenn sie keine
Würde und keine Freiheit haben, wenn sie
nichts haben, für das es sich zu leben
lohnt, dann töten sie einander. Und genau
das geschieht jetzt dort.
AG:
Welches ist die Rolle eines Künstlers in
diesen Zeiten? Welche Rolle sehen Sie als
einer der berühmtesten Schauspieler in
Israel jetzt für sich? MB: Nicht
still zu sein. Zu reden und zu zeigen und
nicht apathisch zu sein. Engagiert zu sein
und nicht wegzugehen. Ehrlich zu sein.
AG:
Wenn Sie nun zurück gehen wegen dieser
Gerichtsverhandlung – könnte man sie für
schuldig erklären und verhaften? MB:
Sicher. AG : Welche Strafe könnte es
sein?
MB:
Wenn man mich für schuldig erklärt, werde
ich sagen, dass ich diesem Gesetz nicht
traue und ich diese Justiz nicht
akzeptiere. Ich werde dann eher ins
Gefängnis gehen, als für diese Lügen einen
Schekel zahlen.
AG:
Und warum nicht im Ausland bleiben und nicht
zurückkehren? …MB: Ich verstehe
nicht recht.
AG:
Warum wollen Sie in dieses Land
zurückkehren? MB. Es ist mein Land. Ich
will in meinem Land sein, AG: Sie
haben sechs Kinder. Wie fühlen sich diese
und Ihre Frau? MB: sehr schlecht.
Sie machen sich große Sorgen. Sie haben
Angst , weil es ein politischer Prozess ist.
Es ist kein richtiger Prozess. Es ist eine
Fiktion. Ich fühle mich wie bei Kafka – ich
sagte schon. Wenn Sie Kafka lesen, bekommt
man Angst. Hier geschieht etwas Falsches,
und man kann es sich nicht erklären, was
hier passiert. Und ich bin davon überzeugt,
dass eine Menge Leute wissen, dass dies eine
Fiktion ist, wie ein Komplott. Aber wie soll
man das beweisen? Wenn ich für schuldig
erklärt werde, weiß ich nicht, was ich tun
soll.
(
www.democracynow.org)
(dt. und gekürzt: Ellen
Rohlfs) |