(Märkische Allgemeine
23.6.2002)
Ex-Arbeitsminister
Norbert Blüm kritisiert die Politik Israels und Ariel
Scharons.
Im Gespräch mit Ralf Schuler erneuert
er seine Vorwürfe.
Sie haben
Israel einen "Vernichtungskrieg" gegen die Palästinenser vorgeworfen - am
Tag des schwersten Selbstmordanschlags seit langem. Kein glücklicher
Zeitpunkt, oder?
Blüm: Welcher
Zeitpunkt wäre denn ein "glücklicher" gewesen? In der jetzigen Situation
gibt es in Israel und Palästina überhaupt keine glückliche Zeit. Jetzt ist
nicht Zeit für Taktik. Ich sage: Schluss mit der Gewalt. Wenn die
Hass-Eskalation so weitergeht, sehe ich jede Chance auf einen Frieden
schwinden. Beide Seiten brauchen den Frieden. Keine Mutter, kein Vater
will die Kinder verlieren - weder durch Selbstmord-Attentate noch durch
israelische Scharfschützen. Meinen Respekt haben die Palästinenser, die
dieser Tage einen Aufruf gegen die Attentate veröffentlich haben. Und
meinen Respekt haben die israelischen Soldaten, die den Befehl zur
Einberufung verweigern.
Also keine
einseitige Kritik an Israel?
Blüm: Ich habe laut und
deutlich gesagt, dass ich beide Seiten zum Frieden auffordere. Richtig ist
aber auch, dass ich mich gegen die Politik Scharons wende. Das halte ich
nicht nur für erlaubt, sondern für meine Pflicht. Es geht um
Menschenrechte, und da sortiere ich nicht. Ich habe mich für
Menschenrechte in Chile eingesetzt, in Südafrika, im Sudan und Myanmar.
Wenn Scharon in dieser explosiven Situation das größte Siedlungsprojekt
aller Zeiten verkündet, gießt er Öl ins Feuer.
Was soll Israel tun?
Stillhalten?
Blüm: Es beginnt mit der
Beachtung von UN-Resolutionen. Das ist die höchste Autorität, die wir auf
der Welt haben. Wir haben nicht viel moralische Institutionen; wir sind
darauf angewiesen, dass die bestehenden geachtet werden. Wie soll die
Autorität der UN gegenüber dem Irak Gewicht haben, wenn sich Israel
ungestraft über die Resolutionen hinwegsetzen darf?
Was glauben Sie, welche
Stimmung in Deutschland herrschte, wenn hier immer wieder Passanten oder
Schulkinder in die Luft gesprengt würden?
Blüm: Ich will gar nicht
ausschließen, dass auch ich dann versucht wäre, an der Gewalt-Schraube zu
drehen. Aber meine Vernunft sagt mir, dass das nicht die Antwort sein
kann. Ich erkenne in den Militär-Aktionen Scharons auch keine
Anti-Terror-Einsätze.
Die Mörder des israelischen
Tourismusministers werden von Arafats Leuten festgenommen und spazieren
wenige Tage später wieder frei durch die Autonomie-Gebiete. Fällt es da so
schwer, Verständnis für Israels Vorstöße zu haben?
Blüm: Ich habe keine
Einwände, wenn Israel gegen Terroristen vorgeht. Aber Kinder sind keine
Terroristen. Israelische Soldaten erschießen gezielt Kinder. Israel fällt
Oliven-Bäume, die die Lebensgrundlage von Zivilisten sind. Wassertanks
werden gesprengt - welche Terroristen fängt man damit?
Israel versucht einen
Sicherheitsstreifen zwischen sich und die Palästinenser zu legen, um das
Einsickern von Attentätern besser kontrollieren zu können...
Blüm: Mütter mit sterbenden
Kindern erhalten keinen Zugang zum Krankenhaus - ist das
Terror-Bekämpfung?
Die Strategie der
Selbstmord-Attentäter richtet sich ausschließlich und ausdrücklich gegen
unschuldige Zivilisten. Das wird man der israelischen Armee nicht
unterstellen können - so unentschuldbar einige Entgleisungen sind.
Blüm: Deshalb verabscheue
ich auch die Selbstmord-Attentate.
Hat die
deutsche Außenpolitik im Nahen Osten Defizite?
Blüm: Da ist
mir vieles zu abgewogen und leise. Die Spirale der Gewalt muss jetzt
durchbrochen werden.
INTERVIEW MIT NORBERT BLÜM - -
stern.de - 2002-06-18 15:23:06