Als wir von dem Massaker
erfuhren
Sabra und Shatila - damals in Dortmund
von Viktoria Waltz
Wir hatten damals, vor 20 Jahren, an der Universität in
Dortmund noch ein Palästina-Komitee, zumeist gehörten
palästinensische Studierende dazu. Es ging aber sowohl
bei den deutschen wie bei den palästinensischen
Mitgliedern bergab - wegen Meinungsverschiedenheiten,
die aus dem Vertrag zwischen Ägypten und Israel und den
diversen Friedensplänen resultierten.
Sabra und Schatila war für viele ein Schock, auch für
uns, die sich seit langem mit Palästina beschäftigt
hatten. Die Berichte brachten eine neue Welle der
Solidarität, nachdem wir uns lange nur in unserem
eigenen akademischen Kreis bewegt hatten. Ganz neue,
junge Leute kamen aus der Stadt hinzu.
Ich erinnere mich an endlose und hitzige Diskussionen in
typischen Kneipentreffpunkten über Demonstrationen,
Aktionsformen und Parolen. Es gab drastische Vorschläge
der einen - auf der Strasse mit roter Farbe Blut zu
demonstrieren, und anderer, denen alles zu weit ging,
wenn Israel als faschistischer Staat, als
imperialistisch oder als Schlächter beschrieben werden
sollte.
Es gab dann die Demos, es gab Veranstaltungen und auch
eine neue Komitee-Bildung. Da mischten aber die Neuen,
Jungen nicht weiter mit. Die 'Organisationen' nahmen
sich der Sache an, MLer, DKPler - es wurde wieder zu
einer Sache des Linienstreits, wie man Palästina
unterstützen sollte.
Wir - zumeist Leute aus der Uni und der Fachhochschule,
schlossen uns erneut unter dem Mantel des WUS (World
University Service) zusammen, denn viele hatten die
Richtungsstreitereien schon zu lange mitgemacht und
wollten die 'Normalbürger' überzeugen. Sie versuchten
z.B. in der Auslandsgesellschaft und in der
Volkshochschule mit Veranstaltungen weiter zu machen und
begannen mit Projekten wie: Incubator für das Shiffa
Krankenhaus in Gaza, Dorfpraxis in der Nähe von Dura,
Zahnarztausbildung. Das hing auch sehr von unseren
eigenen Interessen und Qualifikationen ab.
Ich selbst habe ein besonders erschütterndes Erlebnis in
Erinnerung. Es gab eine Konferenz in Bonn, organisiert
von der palästinensischen Vertretung, auf der Arafats
Bruder, Arzt im Palästinensischen Halbmond in Libanon,
Bilder von den grausamen Vorfällen mitbrachte und direkt
und erschütternd berichtete. Aber er sprach auch von der
heroischen Selbsthilfe und Überlebensfähigkeit, von den
Frauen, die Brot buken, Wasser beschafften, Blut
spendeten und die uns als die wahren Heldinnen
erschienen. Das machte alles wieder erträglicher,
politischer.
Aber dann hat ein japanischer Journalist berichtet, der
zufällig direkt und sofort nach dem Angriff auf die
Lager dort fotografiert hatte. Wir sahen Details vom
gerade noch stattgefundenen Leben, von Spielzeug,
Wohnungsresten, Körpern - bleibend war die Grausamkeit
des Geschehens gezeichnet. Ich kann mich jetzt so gut
daran erinnern, weil ich bei den Bildern aus Jenin, die
ich im April in Jerusalem gesehen habe - in den
Berichten arabischer Sender -, sofort daran gedacht
habe, weil ich Situationen wiedererkannte. Und ich
glaube nicht, dass die UN Recht haben, wenn sie Israels
Information akzeptieren, dass es nur wenige Tote gab,
und die eben von keinem Massaker sprechen.
Dr. rer. pol. Viktoria Waltz arbeitet als Dozentin an
der Fakultät Raumplanung der Universutät Dortmund