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Früherer israelischer
Geheimdienstchef vergleicht
Marwan Barghouti mit Mandela
Philip Weiss -
02.10.2016
Vor einigen Monaten hat der
frühere Chef von Mossad,
Efraim Halevy, Israel mit
einem Interview in Al
Jazeera schockiert: er sagte,
die Besatzung bringe die
palästinensische Gewalt
hervor, und Benjamin
Netanyahu mißbrauche den
Holocaust bei dem Versuch
diese Realität zu leugnen;
und jetzt hat Ha'aretz
Halevy dazu gebracht, seine
Analyse in einem
beeindruckenden Interview
mit Dalia Karpel auszuweiten.
Im wichtigsten Moment des
Interviews vergleicht Halevy
Marwan Barghouti mit Nelson
Mandela als ehemaligem
Terroristen, mit dem das
Land verhandeln musste, um
Frieden zu machen: der Mann,
den Israel einen Terroristen
nennt, ist in Wirklichkeit
ein Freiheitskämpfer der
anderen Seite, und – Israel
praktiziert Apartheid.
Barghouti, 57 Jahre alt,
wurde 2002 inhaftiert und
wegen der Leitung der
zweiten Intifada angeklagt.
[...] die amerikanische
Presse tut nichts, um
Ha'aretz bei seinen
Bemühungen um eine
Reformierung der israelische
Gesellschaft zu unterstützen,
nicht einmal nachdem
leitende Angestellte (von
Ha'aretz) für ihre Arbeit
Todesdrohungen erhalten.
Aber zu Barghouti: Halevy
spricht offen über die
Demütigung und Korrumpierung
palästinensischer Führer (Politiker)
durch Israel. Und dass
Israel nicht diktieren kann,
wer Führer in Palästina sein
sollten.
Mit wem sollte Israel
sprechen? Mit wem möchten
sie anfangen?
"Israel hat keine Wahl. In
der Vergangenheit wurden
Versuche gemacht, in die
Situation Palästinas zu
intervenieren und Führer zu
krönen – denn die alte
Führungsschicht ist von
Israel abhängig...
Aber frühere Versuche den
Partner für Gespräche zu
bestimmen, sind gescheitert.
Manche sagen, (der frühere
Fatah-Chef) Mohammed Dahlan
sei der Partner - wir
könnten die Situation
arrangieren, er wäre jemand,
mit dem man sprechen könnte.
Meiner Meinung nach müssen
wir mit Personen sprechen,
die wir nicht von ihren
Rollen im Geheimdienst in-
und auswendig kennen."
Bitte, erklären Sie das.
"Ein Israeli, der als Chef
des Geheimdienstes Shin Bet
gedient hat und auf seinem
Schreibtisch dicke Akten
über einen palästinensischen
Politiker oder Militärführer
hat, der vor Gericht stand
und zu einer Haftstrafe in
einem israelischen Gefängnis
verurteilt worden ist, wird
nicht imstande sein, mit
diesem palästinensischen
Führer aus einer Position
der Gleichheit heraus zu
sprechen. Die Palästinenser,
die für einen Dialog mit
Israel geeignet sind, sind
Leute, die nicht in Kampf
und terroristische
Aktivitäten involviert waren
und nicht in ihrer
Unterwäsche /in ihren
Verhörräumen) gesehen haben.
Für einen palästinensischen
Kandidaten für den Dialog
ist es auch nicht erwünscht,
dass er Vertretern des Shin
Bet gegenüber gesessen ist,
die ihn rund um die Uhr
bearbeitet haben."
Ist Marwan Baghouti ein
Partner?
"Wenn der palästinensische
Führer Barghouti – der zu
fünf mal lebenslänglich und
40 weiteren Jahren wegen
Planung von terroristischen
Aktionen verurteilt worden
ist – die Person ist, die
die Palästinenser gewählt
haben, müssen wir mit ihm
sprechen. Wenn Israel die
Bedingungen für die
Ernennung des als Führer
gesuchten Palästinensers
setzt, wird es nicht
funktionieren. Nelson
Mandela, der frühere
Staatsmann und
Nobelpreisträger, war auch
ein Terrorist, und mit ihm
wurde verhandelt, während er
noch im Gefängnis war. Man
fing schon Jahre, bevor der
eingekerkerte Führer der
Öffentlichkeit gezeigt
wurde, an, Beziehungen zu
ihm zu pflegen. Vor einigen
Monaten traf ich jemanden,
der an den
top-secret-Gesprächen
beteiligt war, die in den
80er Jahren mit Vertretern
Mandelas in England
stattfanden - und das wurde
bis heute nicht vollständig
offen gelegt. Wenn Sie zu
einer Regelung (Einigung)
kommen wollen, ist die
einzige Person, mit der man
sprechen muss, eine, die auf
der anderen Seite die Zügel
in der Hand hat."
Und nicht nur Barghouti,
auch Haniyeh, Meshal,
Nasrallah.
Und was ist mit
Hamas-Führern wie Ismail
Haniyeh?
"Wir müssen mit ihm sprechen,
und auch mit dem Chef des
politischen Büros der Hamas,
Khaled Meshal, und seinem
Vertreter Dr. Moussa Abu
Marzuk. Mit Hassan Nasrallah
(Führer der Hisbollah) sind
die Dinge viel komplizierter.
Nasrallah ist auch Iran,
aber wenn die israelische
Regierung denkt, dass sie
eine Vereinbarung mit dem
Libanon erreichen will, und
Hisbollah ist ein Komponent
der libanesischen Regierung,
müssen wir auch mit ihm
sprechen. Wenn nicht, werden
wir in einen weiteren Krieg
kommen."
Es wird hier davon
ausgegangen, dass Israel den
Krieg Verhandlungen vorzieht,
es ist das, was der Staat
kennt. Es sollte auch darauf
hingewiesen werden, dass die
Nachrufe, als Mandela vor
drei Jahren starb, eine
zentrale Tatsache übergingen,
der sich Halevy voll bewußt
ist: Der Afrikanische
Nationalkongress und seine
Verbündeten haben auf den
Terrorismus zurückgegriffen.
Mandela selbst sagte, dass
"Sabotage", wie er Akte des
gewalttätigen Widerstands
nannte, die sich gegen
strategische Ziele richteten,
notwendig waren, um die
weissen Südafrikaner zu
überzeugen, dass sie "auf
der Spitze eines Vulkans"
saßen. Er schrieb in Der
lange Weg zur Freiheit,
schwarze Afrikaner
realisierten, dass der ANC
keine Organisation des
passiven Widerstands mehr
war, sondern eine starke
Lanze, die den Kampf in das
Herz der weissen Macht
tragen würde. "
Und dann bezweifelt Halevy
Benjamin Netanyahus Verstand:
Frage: In seiner Rede vor
der UN-Generalversammlung
wiederholte Netanyahu das
Mantra: "Die Welt muss
unseren Kampf gegen den
Terrorismus unterstützen."
Soll ihrer Meinung nach die
Sprachregelung, dass die
Hamas eine gnadenlose
terroristische Organisation
ist, und dass Frieden nur
dann kommt, wenn die
Palästinenser sich ihren
Extremisten entgegenstellen,
den status quo heiligen?
Antwort: "Ich verfüge nicht
über das Instrumentarium, um
eine authentische Analyse
der Sprecher durchzuführen,
um festzustellen, dass ihre
Schlussfolgerungen als
Vorwand dienen."
Er bietet aber diese Analyse
der "Politik" Netanyahus:
"Netanyahu möchte ein Groß-Israel,
aber er ist nicht imstande,
die (besetzten
palästinensischen, Ü.)
Gebiete zu halten. Wenn es
dort einen Ausbruch von Wut
und Messern gibt, wie in den
letzten Wochen, reagiert er
wie jemand, dem man die
Unterhose herunter gezogen
hat. Er weiß nicht, was er
tun soll. Unsere Fähigkeit,
die Situation aufrecht zu
halten, wird vom
Sicherheitsstandpunkt aus
ausgehöhlt. Die Episode mit
Elor Azaria (der Soldat, der
im März in Hebron einen
außer Gefecht gesetzten
Palästinenser getötet hat)
ist ein weiteres Glied in
einer Kette kleiner Glieder,
willkürlich und hartnäckig.
Es ist keine Situation, in
der du sagst: "Weil ich die
Macht habe, lege ich eine
Politik fest und fange an,
sie umzusetzen". Es wird
keine Politik umgesetzt. Es
wird nichts getan.
Alles wird beibehalten;
beizubehalten ist keine
Politik."
Halevy sagt, weil Israel
nichts von der Besatzung
versteht, steht es vor
seiner größten Krise. Dazu
gehört 1956, 1967 und 1973 –
und (auch) dieses Mal ist
die Krise selbst gemacht:
"Wir erleben die größte
Krise seit Beginn des
Staates. Ich kann mich nicht
an eine Zeit erinnern, in
der wir so sehr einer
bedeutenden Führung mit
Rückgrat beraubt waren. Wenn
ich auf die politische
Landschaft in Israel schaue,
sagen wir auf 15 (senior)
Personen, in der Regierung
und in der Opposition – sehe
ich kein Reservoir von
Personen, die den Staat
tragen."
Ja, die israelische Führung
dreht durch. Und du wirst
davon nie in der
amerikanischen Presse
erfahren. [...]
Quelle
Übersetzung: K. Nebauer |