Kinder werden geschlagen und gefoltert
Jonathan Cook,
Counterpunch, 17.6. 09
Die Rechte der palästinensischen Kinder werden nach einem neuen
Bericht routinemäßig von Israels Sicherheitskräften verletzt:
Schlagen und Folter sei allgemein üblich. Zusätzlich werden Hunderte
von palästinensischen Kindern jedes Jahr strafrechtlich belangt ohne
eine richtige Gerichtsverhandlung; Familienbesuche werden ihnen
verweigert.
Die Untersuchungsergebnisse von „Defence for Children
International“ (DCI) kommen nach den Enthüllungen der
israelischen Soldaten und ranghoher Kommandeure: es sei eine
„normale Prozedur“, in der Westbank palästinensische Zivilisten,
einschließlich Kinder zu terrorisieren.
Oberst Itai Virob, Kommandeur der Kfir Brigade, gab letzten Monat
bekannt, dass zur Erfüllung einer „Mission“ auch „Aggressivität
gegen jeden Bewohner im Dorf gehört“ Zu Verhören gehören Ohrfeigen,
Schläge und Fußtritte, sagte er.
Als Folge davon wurde Gabi Ashkenasi, der Chef der bewaffneten
Kräfte aufgefordert, vor dem israelischen Parlament zu erscheinen,
um das Verhalten der Soldaten abzuleugnen. Schläge seien „absolut
verboten“ sagte er den Gesetzesgebern.
Oberst Virob machte seine Aussagen während einer Gerichtsverhandlung
zur Verteidigung zweier Soldaten, einschließlich seines vertretenden
Kommandeurs, der angeklagt worden war, Palästinenser im Dorf Qaddum,
nahe Nablus, geschlagen zu haben. Einer sagte vor Gericht, „die
Soldaten seien zu Aggressionen in der IDF-Armee erzogen worden“.
Oberst Virob schien seine Beobachtung zu bestätigen, als er sagte,
es wäre Taktik, das Dorfleben während Militärmissionen „aus dem
Gleichgewicht zu bringen“ und dass die meisten Angriffe „gegen
Leute seien, die nicht beteiligt seien“.
Letzte Woche wurden weitere Enthüllungen von Misshandlungen von
Palästinensern, einige jünger als 14, im israelischen Fernsehen
ausgestrahlt. Dabei wurde Material verwendet, das von
Dissidenten-Soldaten gesammelt wurde und das ein Teil des „Das
Schweigen brechen- Projektes“ sei, das sich mit besonders schlimmer
Brutalität der Armee befasst.
Zwei Soldaten, die im Harub-Bataillon dienten, sagten, sie seien
Zeugen von Schlägen im Westbankdorf Hares, südwestlich von Nablus,
gewesen. Es war bei einer Operation im März gegen das Steine werfen.
Viele der Festgehaltenen waren aber Unbeteiligte, sagten die
Soldaten.
Während einer 12 stündigen Operation, die nachts um 3 Uhr begann,
wurden 150 Verhafteten mit verbundenen Augen, die Hände hinter dem
Rücken so fest mit Nylon gefesselt, dass die Hände blau wurden. Die
schlimmsten Schlägereien fanden in den Schultoiletten statt, sagten
die Soldaten.
Nach den Zeugenaussagen eines Soldaten wurde einem etwa 15 jährigen
Jungen „eine solche Ohrfeige gegeben, dass er zu Boden fiel. Er
fügte noch hinzu, dass viele seiner Kameraden nur deshalb
(Palästinenser) mit den Knien stoßen, weil sie Langeweile haben. Sie
müssen 10 Stunden dort ( am Kontrollpunkt) stehen und haben nichts
zu tun, also schlagen sie die Leute zusammen.“
Das Bild von im Dienst stehenden Soldaten bestätigt die
Untersuchungsergebnisse von DCI, die feststellten, dass viele Kinder
bei allgemeinen Hausdurchsuchungen nach Unruhen oder während
nächtlicher Überfälle auf die Wohnhäuser aufgelesen wurden.
Sein Bericht von 2008 schließt eine Auswahl von Zeugenaussagen von
Kindern ein. Sie beschreiben, wie sie von israelischen Soldaten
geschlagen und von Verhörenden gefoltert wurden.
Ein Zehnjähriger, Ezzat H. beschreibt eine Durchsuchung des Hauses
seiner Familie durch die Armee wegen einer ( angeblichen) Waffe. Er
sagte, ein Soldat hätte ihn geohrfeigt und während zwei Stunden
Verhörs wiederholt herumgestoßen, bevor ein anderer Soldat mit dem
Gewehr auf ihn zielte: „Das Gewehr war nur wenige Zentimeter von
meinem Gesicht entfernt. Ich hatte so große Angst, dass ich zu
zittern anfing. Der Soldat machte sich über mich lustig.“
Ein anderer Junge, Shadi,15, sagte, er und seine Freunde wurden
gezwungen, sich in einem Orangenhain in der Nähe Tulkarems
auszuziehen, während sie von den Soldaten mit Steinen beworfen
wurden. Dann wurden sie mit den Gewehrkolben geschlagen.
Jamal K., 14, beschrieb, wie er zu einem Militärlager mitgenommen
wurde, wo man über ihn herfiel, ein Seil um seinen Hals legte, als
ob man ihn erhängen wollte.
Yehuda Shaul von „das Schweigen brechen“, sagte, die Soldaten
behandeln jeden Palästinenser, der älter als 12 oder 13 ist, wie
einen Erwachsenen.
„Es ist das erste Mal, dass ein hochrangiger Soldat (Oberst Virob)
sich uns anschloss und das Problem ansprach – wenn auch nicht
absichtlich – dass die Anwendung von physischer Gewalt gegen
Palästinenser keine Ausnahme sondern Taktik sei. Vor ein paar Jahren
hätte kein ranghoher Offizier den Mut gehabt, dies zu sagen,“ sagte
er.
Der DCI-Bericht betont auch die systematische Anwendung von Folter
während der Verhöre durch die Armee, die Geheimpolizei, den Shin Bet,
um von den Kindern Geständnisse zu erpressen, oft im Zusammenhang
mit dem Steine werfen.
Islam M., 12, sagte, er wäre mit kochendem Wasser bedroht worden,
das man ihm übers Gesicht schütten wollte, wenn er nicht eingesteht,
Steine geworfen zu haben. Dann wurde er in einen Dornbusch gestoßen.
Ein anderer Junge, Abed.S.,16, sagte, dass seine Hände und Füße in
Form eines Kreuzes einen Tag lang an die Wand eines Verhörraumes
gebunden wurden und dass er dann 15 Tage lang in Einzelhaft gewesen
sei.
Im
letzten Monat drückte ein Panel unabhängiger Experten des
UN-Komitees gegen Folter seine tiefe Betroffenheit über Israels
Behandlung Minderjähriger aus.
Nach dem DCI-Bericht werden jedes Jahr 700 Kinder in Israels
Militärgerichten verurteilt, den Kindern über 12 wird der Zugang zu
Anwälten bei Verhören verweigert.
Im
Bericht steht noch, dass die Verhörenden während des Verhörs den
verhafteten Kindern routinemäßig die Augen verbinden, die Hände
fesseln und besondere Techniken anwenden, einschließlich Ohrfeigen
und Fußtritten, Schlafentzug, Einzelhaft, Drohungen dem Kind und
seiner Familie gegenüber und das Kind für lange Zeit aufhängen.
Solche Praktiken wurden 1999 vom Obersten Gerichtshof verboten,
wurden aber von israelischen Menschenrechtsgruppen ( auch später
noch) ausführlich dokumentiert.
DCI sagt, dass es von Berichten mehrerer Kinder beunruhigt sei, die
von einer besonderen winzigen Zelle berichten, die No 36 genannt
wird, ein Haftzentrum bei Haifa. Die Zelle habe keine Fenster, keine
Luftzufuhr, ihre Wände sind dunkel und ein wenig Lichtschimmer gibt
es 24 Stunden am Tag.
In
95 % der Fälle werden die Kinder auf Grund von unterzeichneten
hebräisch geschriebenen Bekenntnissen, die nur wenige verstehen
können, verurteilt.
Einmal verurteilt, werden die Kinder - bei Verletzung des
Völkerrechts - in Gefängnissen in Israel fest gehalten, der Besuch
von Familienangehörigen wird ihnen verweigert, und sie erhalten so
gut wie keine Schulbildung.
DCI kritisiert auch eine „Kultur der Straflosigkeit“ gegenüber dem
Shin Bet und bemerkt, dass nicht eine von 600 Anklagen wegen Folter
gegen die Verhörenden während der 2. Intifada aufgenommen wurde und
zu einem Prozess vor Gericht geführt hat.
Yesh Din, eine israelische Menschenrechtsgruppe berichtete im
November 2008, dass Soldaten zu selten wegen illegalen Verhaltens
ein Disziplinarverfahren erhalten.
Armeedaten von 2000 bis Ende 2007 decken auf, dass die
Militärpolizei in nur 78 von 1268 Fällen Anklage erhoben hat. Die
meisten Soldaten erhielten nur geringe Strafen.
Akademische Studien unterstellen, dass israelische Soldaten
routinemäßig seit vielen Jahren Gewalt gegen palästinensische
Zivilisten, einschließlich Kindern ausüben.
Ende 2007 waren Israelis von den Aussagen geschockt, die die
klinische Psychologin Nufar Yishai-Karin von 21 Soldaten gesammelt
hatte, mit denen sie ihren Militärdienst während der frühen
90er-Jahre geteilt hatte.
Die Soldaten erzählten ihr von Vorfällen, wo zufällige Passanten
erschossen oder angegriffen worden waren. In einem der
erschreckendsten Zeugnisse sagte ein Soldat, er sei Zeuge gewesen,
wie sein Kommandeur einen vier jährigen Jungen angegriffen habe, der
im Gazastreifen mit Sand gespielt habe.
Er
brach ihm das Handgelenk hier, brach ihm das Bein hier und begann,
ihm auf den Magen zu treten – drei mal und dann ging er … Am
nächsten Tag ging ich mit ihm auf eine andere Patrouille und die
Soldaten begannen, dasselbe zu machen.
Solche Enthüllungen mehrten sich seit „Das Schweigen brechen“ 2004
die Aufmerksamkeit auf die Misshandlungen der Armee gegenüber den
Palästinensern auf sich zog.
Jonathan Cook,
Schriftsteller und Journalist in Nazareth. Seine letzten Bücher sind
„Israel and the Clash of Civilisations: Irak, Iran and the Plan to
remake the Middle East. (Pluto Press) und “Disappearing Palestine:
Israel’s Experiments in Human Despair” (Zed Books.
Seine Website:
www.jkcook.net
(
dt. Ellen Rohlfs)
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