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Israel: Noch 20 Jahre - vielleicht  auch weniger?
Lawrence Davidson
Eine Analyse  

 

Kürzlich hielt ich einen Vortrag zum palästinensischen Antrag auf Aufnahme [in die UNO]. Im Publikum befand sich ein hier lebender aus Rußland stammender Israeli, der höflich Anstoß an meiner Kritik israelischer Politik und israelischen Verhaltens nahm. Es ging ihm hauptsächlich darum, dass ich seiner Ansicht nach die Israelis nicht glaubwürdig kritisieren könne, da ich ihre Erfahrungen nicht mitgemacht hätte und nicht wüsste, was sie wissen, oder – um es etwas familiärer auszudrücken – ich sei nicht in ihren Schuhe gegangen. „Die Israelis bemühen sich seit mehr als 60 Jahren um eine Lösung des israelisch-palästinensischen Dilemmas. Wo nehmen Sie also Ihre Kenntnis her, sie zu kritisieren und ihnen zu sagen, was sie tun sollten?“ Dies ist ein alter und oft vorgebrachter Einwand, und wenn man ihn berücksichtigen würde, liefe es darauf hinaus, dass eine von außen kommende Vermittlung prinzipiell unmöglich ist.

 

Meine Antwort war ziemlich dezidiert: gerade weil die Israelis so lange in diesem Dilemma verstrickt seien und darüber hinaus sich selbst und anderen ihre versteckten expansionistischen Ambitionen als „Sicherheits“-Erfordernis verkauften, seien die meisten unfähig, sich eine gerechte und ausgewogene Lösung überhaupt vorzustellen. Sie bräuchten daher dringend Leute, die von außen und relativ objektiv ihr Verhalten kritisierten.

 

Im Grunde leben die meisten Israelis in einer „geschlossenen Informationsumwelt“. Das ist so trotz ihrer Behauptung, sie hätten schließlich eine freie Berichterstattung. Die Medien mögen formal frei sein, aber sie werden dennoch beherrscht von der zionistischen Ideologie des Landes und den politischen und gesellschaftlichen Annahmen, die diese Ideologie anbietet. Gegenteilige Ansichten mögen in der Tat existieren, dabei handelt es sich aber um seltene Ausnahmen oder Randerscheinungen. Die zionistische Interpretation der Welt ist derartig schlüssig, dass sie für die jüdischen Bürger Israels ein geschlossenes „Gedankengebäude“ errichtet und als solches die Koordinaten ihres Denkens bestimmt. Unter diesen Umständen kann nur jemand, der außerhalb dieses „Gedankengebäudes“ steht und hineinschaut, klar sehen (so wie einige wenige hellsichtige, fortschrittliche Leute am Rande der israelischen  Gesellschaft), was eigentlich vor sich geht, die selbstdestruktiven Aspekte Israels identifizieren und eine rationale Kritik vorbringen. Natürlich wird in den Ohren eines entschiedenen Israel-Ideologen, der gefangen ist im Innern dieses Gedankengebäudes, eine solche Kritik völlig abwegig und gefährlich klingen.

 

Man schaue sich beispielsweise die tapferen Bemühungen von Gideon Levy an [4], dem Journalisten von Ha’aretz, eine jener raren Persönlichkeiten in der Randzone des israelischen Journalismus. Irgendwie ist es ihm gelungen, sich den Auswirkungen dieses erdrückenden Gedankensystems zu entziehen oder – wie er es nennt [5] – „den Mechanismen der Gehirnwäsche, denen wir alle von früher Kindheit an unterworfen sind.“

 

Levy ist eine Ausnahmeerscheinung, weil er fähig ist, die einfachen Fragen zu formulieren, die nichtsdestoweniger von der überwältigenden Mehrheit nicht gestellt werden. Etwa den folgenden Kommentar, den er anlässlich der selbstverherrlichenden israelischen Feiern nach der Entlassung Gilat Shalits veröffentlichte: „Wer ist nicht gegen den Terrorismus und für Shalits Freilassung? Aber genau diese schluchzende israelische Gesellschaft stellte sich  keinen Moment mutig und ehrlich der Frage, warum Shalit überhaupt in Gefangenschaft geriet. Keinen Moment sagte sie sich mutig und ehrlich, dass es – falls sie auf dem einmal eingeschlagenen Wege fortfährt – noch viel mehr Gilad Shalits geben wird – tote oder lebende. Wieder und wieder hat sie Regierungen der Mitte oder der Rechten gewählt, die eine Garantie dafür sind, dass Shalit nicht der letzte gewesen sein wird....Niemand hat je darauf hingewiesen, dass Shalit der unvermeidliche Preis ist, den ein Staat bezahlen muß, der sich entschlossen hat, auf immer mit dem Schwert zu leben.“ In der Folge dieser öffentlich vorgetragenen Einsicht geriet Levy wiederholt in die Schusslinie der israelischen Armee, man drohte ihm an, ihn auf der Straße krankenhausreif zu schlagen, und Minister der Regierung forderten, daß er, als „Sicherheitsrisiko“, scharf überwacht werden solle. Im englischen Independent [5]  hieß es, Levy sei womöglich der „bestgehasste oder einfach der mutigste Mann in Israel“.

 

Manchmal ist die von außen kommende Kritik so unakzeptabel, dass sie unterdrückt werden muß. Ein schönes Beispiel ist kürzlich ans Licht gekommen. Es scheint, dass am 12. Februar 2009 der damalige CIA-Direktor (und gegenwärtige Verteidigungsminister) Leon Panetta eine geheime CIA-Studie [6] absegnete, die „den Untergang des zionistischen Israels innerhalb von zwanzig Jahren“ voraussagte, „wenn die allgemeinen politischen Trends sich fortsetzen“. Die primäre Annahme des Berichts war, „dass es unwahrscheinlich ist, dass die israelische Führung auch nur zu minimalen Konzessionen bereit ist, um zu einer Verständigung mit ihren Nachbarn und deren zunehmend desillusionierten und rasch wachsenden, Würde und Gerechtigkeit verlangenden Bevölkerungen zu gelangen.“

 

Diese Einschätzung von außen war politisch derartig unwillkommen, daß sie von Zionisten innerhalb der US-Regierung sofort unterdrückt wurde. Nach Berichten im Internet [6] existieren gegenwärtig nur sieben Kopien (zumindest eine muss in den Tiefen eines CIA-Depots vergraben sein). Obwohl eine weite Verbreitung des Reports verhindert wurde, ist er nicht vergessen worden. Als Leon Panetta sich also im Oktober 2011 aufmachte, um der israelischen Führung einen Besuch abzustatten, holte er den Report wieder hervor. In privaten Gesprächen sagte er den Israelis, daß die Zeit gegen sie arbeite und daß sie die Wahl hätten, entweder mit ihren palästinensischen und arabischen Nachbarn Frieden zu schließen oder ihre nationale Stabilität zu gefährden. In der Öffentlichkeit las sich seine Botschaft so: die Israelis mögen  einen militärischen Vorsprung haben, aber langfristig dürfte dies nicht ausreichen, um ihr Überleben zu sichern. Die Dinge ändern sich schnell im Nahen Osten, aber Israel paßt sich dieser sich wandelnden Wirklichkeit nicht an. Im Gegenteil, besonders in der diplomatischen Arena isoliert es sich zusehends  - eine  Situation, in der es nur verlieren kann. Zusätzlich versuchte Panetta der israelischen Führung klarzumachen, daß die finanzielle Unterstützung durch die USA sich, besonders in der gegenwärtigen Höhe, vermutlich nicht auf Dauer aufrecht erhalten lassen wird. Die Einstellungen gegenüber Israel in der amerikanischen Öffentlichkeit verändern sich, und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten könnten die amerikanische Unterstützung in der vorhersehbaren Zukunft untergraben.

 

Wie es heißt, reagierte die israelische Führung verärgert auf Panetta. Die herkömmliche zionistische Einstellung ist die, daß der Westen Israel wegen des Holocausts Unterstützung schuldet, und man erwartet vom Westen, daß er sie gewährt – unabhängig von den damit verbundenen Opfern und Unannehmlichkeiten.  Diese Haltung scheint immer noch - nicht nur in Israel, sondern auch im amerikanischen Kongreß (wo es eine ähnliche geschlossene Informationsumwelt gibt) - vorzuherrschen. Panettas Botschaft war, daß Israels Erwartungen das amerikanische Gefühl der Verpflichtung irgendwann überfordern könnten.

 

Israels Reaktion auf  ideologisch unakzeptable Botschaften ist natürlich nicht ungewöhnlich. Alle Nationen bemühen sich um die Etablierung eines für sie vorteilhaften maßgeblichen Narrativs und schärfen es den folgenden Generationen ein. Und die meisten tun dies mit Erfolg. Aber die anhaltende Intensität des nicht nachlassenden palästinenischen Widerstands hat das zionistische Narrativ der Israelis verwundbar gemacht, und anstatt sich den sich wandelnden Umständen anzupassen, schlossen sie die Wagenburg und beharrten auf ideologischer Reinheit. Sie haben sich neuerdings sogar bemüht, palästinensische Schulbücher zu zensieren [7], als ob ein solches Vorgehen die alltäglichen Erfahrungen palästinensischer Kinder auf der Straße aufheben könnte.

 

Halsstarrigkeit birgt im Falle Israel Risiken in sich. Panetta hob die regionalen Gefahren für Israel hervor, aber dies sind nicht die einzigen. Wie erwähnt, sind - wirtschaftlich gesehen - die Zeiten hier in den USA hart. Die Defizite sind hoch – womöglich hoch genug, um Auswirkungen auf den Verteidigungshaushalt zu haben. Täglich werden soziale und kulturelle Programme zurückgefahren. Und dennoch schüttet der Kongreß, unter dem hypnotisierenden Einfluß zionistischer Ideologen, jährlich Milliarden Dollar in die israelischen Kassen. Wie lange wird  es wohl nach Ansicht der verärgerten Männer in Jerusalem dauern, bis dies der amerikanischen Öffentlichkeit auffällt? Und wenn es dazu kommt, wenn die Hilfe für Israel ein Wahlkampfthema wird, dann werden die Politiker, von denen dieses Land so abhängig ist, die ihm seit Jahrzehnten die Treue halten, ganz schnell bereit sein, es im Stich zu lassen.

 

Aber das ist noch nicht alles. Zumindest ein Teil der Empörung  über die Abzweigung von Ressourcen für Israel wird zwangsläufig die Form des Antisemitismus annehmen. Das israelische Verhalten hat es fertig gebracht, den Nahen Osten, eine Gegend, die im Großen und Ganzen bis zum Auftauchen des Zionismus frei von Antisemitismus war, in eine potentielle Brutstätte für dieses widerwärtige Ressentiment zu verwandeln. Und vielleicht wird den Israelis dies auch im amerikanischen Hinterland gelingen. Das nennt man wohl einen Schuß, der nach hinten losgeht. Aber die führenden Männer in Jerusalem werden ihre Verantwortung dafür niemals zugeben. Sie haben schon immer gewußt, daß die Welt im Grunde genommen antisemitisch eingestellt ist, und dann werden sie lauthals verkünden, sie hätten Recht gehabt. Den Antisemitismus habe es immer schon gegeben, sogar im Herzen ihres wichtigsten Verbündeten. Hier zeigt sich die Realitäten verzerrende Kraft eines in sich geschlossenen Gedankensystems.

 

Übersetzung: Jürgen Jung

Prof. Lawrence Davidson ist Historiker an der West Chester University, Philadelphia. Ein Forschungsschwerpunkt: Middle East History und US-amerikanische Nahostpolitik

 

URL: http://www.truth-out.org/israel-twenty-years-and-counting-analysis/1319726618         [1] http://www.truth-out.org/print/8213
[2] http://www.truth-out.org/printmail/8213
[3] http://www.tothepointanalyses.com/
[4] http://www.haaretz.com/print-edition/opinion/shalit-is-returning-to-a-state-in-psychosis-1.390155
[5] http://www.independent.co.uk/news/world/middle-east/is-gideon-levy-the-most-hated-man-in-israel-or-just-the-most-heroic-2087909
[6] http://www.foreignpolicyjournal.com/2011/10/10/panetta-to-netanyahu-israel-may-not-survive-the-current-arabislamic-awakening/
[7] http://972mag.com/israeli-authorities-impose-censored-palestinian-textbooks-in-east-jerusalem/26137/
[8] http://www.truth-out.org/printmail
[9] http://www.truth-out.org/content/lawrence-davidson
[10]http://org2.democracyinaction.org/o/6694/p/salsa/web/common/public/signup?signup_page_KEY=2160
[11] https://members.truth-out.org/donate
[12] http://www.truth-out.org/?q=economic-reasons-israel-us-should-support-palestinian-statehood/1316619263
[13] http://www.truth-out.org/?q=palestinian-nonviolence-and-israels-reaction/1311859193

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