Wer ist
der eigentliche Terrorist im Nahen Osten?
Was genau wird verteidigt? Sind es die
Bürger Israels oder der israelische Staat?
Oren Ben-Dor, 26.7. 06 „The Independent“
Da seine Bürger
getötet werden, überzieht Israel den Libanon nun noch einmal mit Tod und
Zerstörung . Es versucht, diesen Horror als Notwendigkeit für seine
Selbstverteidigung darzustellen. Tatsächlich kann der gelegentliche
Beobachter dieser Granatangriffe auf Israels Städte wie Haifa und meine
eigene Heimatstadt Nahariya als gerechtfertigt betrachten.
Während Staaten
ihre Bürger verteidigen und schützen sollten, sollten Staaten, die ihrer
Pflicht nicht nachkommen, hinterfragt und wenn nötig neu geordnet
werden. Israel ist ein Staat, der, statt seine Bürger – Juden genau wie
Nichtjuden - zu verteidigen, alle in Gefahr bringt.
Was wird denn
durch Gewalt im Gazastreifen und im Libanon genau verteidigt? Sind es
die Bürger Israels oder der israelische Staat. Ich vermute das
letztere. Israels Souveränität gründet sich auf einer Ideologie der
Ungerechtigkeit, die Demütigung und Leid auf jene legt, die entweder
durch einen religiösen oder ethnischen Test als Nicht-Juden definiert
werden. Während Israel diese Ur-Unmoral verbirgt, wird sein Image als
Opfer begünstigt.
Gewalt zu
provozieren – bewusst oder unbewusst – gegen die man sich selbst wehren
muss, ist ein Schlüssel zum Verständnis der Opfermentalität. Indem
Israel solch eine tragische Spirale ( der Gewalt) auf Dauer (bewusst)
hält, ist Israel ein Terrorstaat ohnegleichen.
Viele, die diese
Unmoral des israelischen Staates verstecken wollen, tun dies durch
begrenzte Aufmerksamkeit gegenüber dem Horror der Besatzung ( der pal.
Gebiete) nach 1967 und reden von einer Zwei-Staaten-Lösung; denn einen
palästinensischen Staat zu billigen, billigt selbstverständlich die
Ideologie, die hinter dem jüdischen Staat steht.
Allein für die
Schaffung Israels waren Terrorakte notwendig. 1948 wurden die meisten
nicht-jüdischen einheimischen Bewohner aus dem Teil Palästinas
vertrieben, der Israel wurde (Ethnic cleansing). Diese Aktion wurde
sorgfältig vorausgeplant. Ohne dies wäre kein Staat mit einer jüdischen
Mehrheit zustande gekommen. Seit 1948 haben die „israelischen Araber“,
die Palästinenser, die sich der Vertreibung entziehen konnten, unter
ständiger Diskriminierung gelitten. Tatsächlich waren viele intern
vertrieben worden – angeblich aus „Sicherheitsgründen“ – in
Wirklichkeit, um ihr Land den neuen jüdischen Bewohnern zu vermachen.
Das
Holocaustgedenken und die jüdische Sehnsucht nach Erez Israel würden
sicher nicht ausreichen, um die ethnische Säuberung und Ethnokratie zu
rechtfertigen. Um eine Destabilisierung zu vermeiden, die eine ethische
Überprüfung nach sich bringen würde, muss der israelische Staat das
Kernproblem verbergen, indem es eine Opfermentalität unter israelischen
Juden pflegt.
Um diese
Mentalität zu erhalten und den Eindruck des Opferseins unter
Außenstehenden zu bewahren, muss Israel Voraussetzungen für Gewalt
schaffen – ( also provozieren laut Moshe Dayan). Wenn die Aussichten
der Gewalt gegen Israel weniger werden, bemüht es sich sehr, sie
wieder zu beleben: der Mythos, dass es ein friedensuchendes Opfer sei,
das „keinen Partner für den Frieden“ hat, ist ein wichtiger Teil der
Nebelwand, hinter der Israel seine ursprüngliche und andauernde Unmoral
verbirgt.
Israels
erfolgreiche Kampagne gegenüber Kritik - seiner anfänglichen und
anhaltenden Enteignung einheimischer Palästinenser - zum Schweigen zu
bringen, lässt den letzteren keine andere Möglichkeit außer die des
gewalttätigen Widerstandes. Nach der Wahl von Hamas – der einzigen
Partei, die in den Augen der Palästinenser ihre Sache nicht aufgegeben
hat – war die palästinensische Bevölkerung vom Gazastreifen und der
Westbank einer israelischen Kampagne der Aushungerung, Demütigung und
Gewalt ausgeliefert.
Der angebliche
„Rückzug“ aus dem Gazastreifen und die anschließende Blockade stellte
eine Chronik der Gewalt dar, die den Abschuss von Kassemraketen und die
Gefangennahme eines israelischen Soldaten einschließt und auch die
beinahe Wiederbesetzung des Gazastreifens sicher stellte. Wir werden
nun Zeugen von noch mehr Hass, noch mehr Gewalt, noch mehr Demütigung
und noch mehr kollektiver Strafen durch Israelis – dies alles verstärkt
die israelische Opfermentalität und nützt dem Heilige-Kuh-Status
israelischer Staatlichkeit.
Die Wahrheit
aber ist die, dass es niemals eine Teilung Palästinas auf annehmbarer
ethischer Grundlage hätte geben können. Israel war mit Hilfe von Terror
geschaffen worden, und es braucht Terror, um seine absolute Unmoralität
zudecken zu können. Sobald es einen Schimmer von Stabilität gab, ordnet
der Staat eine gezielte Tötung an, so wie die in Sidon, die dem
augenblicklichen Libanonkrieg vorausging, obwohl es genau wusste, dass
dies keine Sicherheit, sondern nur noch mehr Gewalt zur Folge hat.
Israels Einseitigkeit und die Spirale der Gewalt nähren einander.
Inmitten der
Gewalt und trotz des konventionellen Diskurses, der die Wurzeln dieser
Gewalt ( auch wieder) zudeckt, rufen uns die aktuellen Ereignisse dazu
auf, darüber nachzudenken. Je mehr wir diese Stimme zum Schweigen
verurteilen - um so gewalttätiger werden die aktuellen Ereignisse sich
zu Wort melden.
Im Hebräischen
ist das Wort „Elem“ ( gelähmtes Schweigen nach Unterdrückung oder
Schock) etymologisch mit dem Wort „Almut“ (Gewalt) verwandt. Das
Schweigen über den unmoralischen Kern der israelischen Staatlichkeit
macht uns alle zu Komplizen beim Entstehen von Terrorismus, der
eine Katastrophe drohend ankündigt, die die Welt aus- einanderreißen
könnte.
Der Autor ist
Dozent für Philosophie des Rechts und politische Philosophie an der
Universität von Southhampton, Britannien
(dt. Ellen Rohlfs) |