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Was denken Sie über Selbstmordattentäter?
 
Moshe Machover*, 9.3.05

 

Der übliche Beweggrund hinter dieser so häufig gestellten Frage ist keineswegs  naiv. Tatsächlich ist die Frage ziemlich eigenartig: warum  nach den „Bomben auf Beinen“ fragen, statt einfach nach den Bombern. Ist der Fragende wirklich daran interessiert, unsere Ansicht über den Unterschied zwischen Selbstmordattentätern und Nicht-Selbstmord-Bombern zu erfahren?

Ob ein Täter einer Bombenattacke bei diesem Akt Selbstmord begeht ist -- moralisch gesprochen – nicht das Hauptproblem. Worauf es ankommt, ist der Bombenangriff. Und warum die Frage auf den Bombenangriff beschränken? Kann unser Urteil über eine  wahllose Schießerei in eine Menschenmenge mit Maschinengewehren anders ausfallen als über die Explosion einer Bombe auf einem Platz voller Menschen?

Deswegen will ich mit dem Hauptproblem beginnen, das die Frage aufwirft: das wahllose Töten. Das 2. Problem des Selbstmordes bei solch einem Akt ist trotzdem auch von Bedeutung – ich will es nicht unter den Tisch fallen lassen. Ich werde mich später damit befassen.

Das wahllose Töten von unschuldigen Zivilpersonen ist  eine abscheuliche Tat und muss ohne Vorbehalt verurteilt werden. Wo der Mord Absicht  oder  voraussehbare Wirkung  an vielen unschuldigen Zivilisten ist, ist die Tat um so abscheulicher. Sie geschieht ohne Rücksicht auf das größere Ziel, in dessen Namen die Tat ausgeführt wurde. Solch eine  Gräueltat kann in keiner Weise gerechtfertigt oder entschuldigt werden, selbst wenn sie im Laufe eines gerechten (?? ER) Krieges oder bei einem Befreiungskampf gegen Unterdrückung begangen wird.

Doch gibt es einen Unterschied, was das Ziel und die Umstände betreffen – nicht was die Sträflichkeit der Tat selbst angeht – aber in Anbetracht zusätzlicher Schuld, die damit verbunden ist.  Eine in einem ungerechten Krieg oder im Dienste der Unterdrückung begangene Gräueltat ist doppelt verdammenswert - was sowohl das Ziel als auch die Mittel betreffen. Wenn andrerseits eine schlimme Tat von denen begangen wird, die sich gegen die Unterdrückung wehren  und dies im Laufe eines Befreiungskampfes geschieht, dann muss der Unterdrücker als jemand betrachtet werden, der an der Freveltat mitbeteiligt ist; denn der Unterdrücker sollte wissen, dass die, die durch ihre miserable Lage  zur Verzweiflung und Wut getrieben werden, wahrscheinlich mit  chaotischen, verzweifelten, wütenden Taten reagieren werden; dies entschuldigt die letzteren nicht – aber macht die ersteren zu ursächlichen Mittätern an den Gräueltaten.

 

 Innerhalb eines bewaffneten Konfliktes  wird ein Selbstmordattentat – ob durch Bomben oder andere Mittel – in fast allen Fällen von der schwächeren, oft von der unterdrückten Seite ausgeführt. Hinter der anfangs an mich gestellten Frage, meinen Kommentar zu Selbstmordattentaten zu geben, liegt die verborgene Absicht, mich mit der Gewalt der Unterdrückten zu befassen und die Aufmerksamkeit von der der Unterdrücker abzulenken. Wir sollten nicht darauf reinfallen. Doch verdient die Frage eine ehrliche Antwort.

 

Im Falle von willkürlichem Töten von zufälligen Opfern verändert der Selbstmord des Täters die Sache. Der Unterschied besteht nicht im Grad der Abscheu oder der Sträflichkeit der Tat, sondern im Charakter des Täters. Ein Soldat, der eine Rakete aus dem sicheren Helikopter oder von einem Panzer aus in ein dichtbevölkertes Gebiet abschießt, ist nicht nur ein Kriegsverbrecher, er ist auch ein Feigling. Ein Offizier oder Politiker, der aus der Sicherheit seines Büros solch einen Akt befiehlt, ist ein Erz-Kriegsverbrecher und ein Erz-Feigling. Doch ein Selbstmordangriff – so schrecklich er ist  - ist ganz sicher kein feiger Akt. In begrenztem Sinn – der keineswegs moralische Billigung bedeutet – kann dies sogar als heroisch  betrachtet werden. (Eine der Definitionen von „heroisch“ im WorldNet Dictionary der Princeton Universität ist „ extremen Mut zeigen, besonders bei Aktionen, die aus Verzweiflung und als letztem Ausweg unternommen werden“  und im kleineren Oxford Dictionary ist eine der Definitionen: „ die letzte Zuflucht zu kühnen, gewagten oder extremen Maßnahmen nehmen“. Mut hat keinen moralischen Wert an sich, er ist nur lobenswert, wenn er im Dienste des Guten steht.)

 

Im Gegensatz zur von westlichen Politikern und ihren Medienlakaien weit verbreiteten Propaganda ist der Selbstmordangriff keineswegs eine Erfindung islamischer Fanatiker oder einzigartig für sie. Tatsächlich ist er in vielen Kulturen weit verbreitet. In unseren Zeiten wurde er z.B. von den Tamil Tigers in Sri Lanka praktiziert. Das Kamikazebomben durch japanische Piloten im 2. Weltkrieg war in vieler Hinsicht diesem ähnlich.

 

Wichtig ist es jedoch auf die positive Haltung gegenüber einem extremen Akt dieser Art in der jüdisch-christlichen Tradition hinzuweisen. Ich erinnere an die Geschichte von Samson im biblischen Buch der Richter.

Samson, der die Philister terrorisierte, wurde von ihnen mit einem Trick gefangen genommen, (indem seine Geliebte als Falle benützt wurde – das erinnert an die Gefangennahme  des Nuclear- whistle-blower Mordechai Vanunu mit Hilfe einer attraktiven  Mossadagentin)

Das Ende der  Geschichte kann man im Buch Richter 16,21-30 nachlesen. ....

 

Die Geschichte der Selbstmordattacke auf Tausende von Männer und Frauen – die meisten zweifellos unschuldig – durch einen geblendeten und gedemütigten Samson wird  israelischen Kindern bis zum heutigen Tag als positive Tat gelehrt. Über die Hauptperson wird üblicherweise von „Samson dem Helden“ (Shimshon Haggibbor) gesprochen.

Im 17. Jahrhundert erging sich der revolutionäre englische Dichter, ein gläubiger Christ, in einer Lobeshymne über diese Selbstmordattacke. Am Ende seines großen Gedichtes sagt er:

„Oh teuer erkaufte Rache, doch ruhmreich!

Lebend oder sterbend erfülltest du

Das für dich vorausgesagte  Werk

Gegenüber Israel – und nun liegst du

Erschlagen unter den Gemordeten – selbstgetötet .....“

 

Natürlich müssen wir das Urteil aus dem Buch der Richter nicht akzeptieren ( nicht mehr als die Schöpfungsgeschichte der Genesis) Und sollten in dieser Sache Milton auch nicht blind folgen. Aber seien wir vorsichtig, oberflächlich und einseitig zu verurteilen ohne Empathie gegenüber den Elenden und Unglücklichen, die durch Unterdrückung und Demütigung zu so schrecklichen Taten getrieben werden.

 

*Prof. Emeritus Moshe Machover,  am King’s College in London, (Teil der Universität London) ist ein bekannter Mathematiker. Er verließ Israel in den späten 60ern, nachdem er einer der Gründer von Matzpen  war (Sozialistische Organisation in Israel), eine radikale linke Gruppe, die gegen die Besatzung von 1967 war , gegen ethnischen Nationalismus und für volle Gleichberechtigung von Juden und Arabern und für die Trennung von Kirche und Staat  kämpfte. Sie war auch von einer friedlichen Integration der Israelis im Nahen Osten überzeugt-

 Dt. Ellen Rohlfs

 

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