Wir
sind lebenslang Zionisten. Hier sind
die Gründe, weshalb wir uns
entschieden haben, Israel zu
boykottieren.
- Steven Levitsky and Glen Weyl, 23.
Oktober -
Steven Levitsky ist ein
Politprofessor an der Harvard
Universität. Glen Weyl ist Dozent
der Wirtschafts- und
Rechtswissenschaft an der
Universität von Chicago.
Wir sind lebenslang
Zionisten. Wie auch bei anderen
progressiven Juden basierte unsere
Unterstützung für Israel auf zwei
Überzeugungen: erstens, ein Staat
sei notwendig, um unser Volk vor
einem zukünftigen Desaster zu
schützen, und zweitens, jeder
jüdische Staat sei demokratisch und
mache sich die Werte der
universellen Menschenrechte zu
eigen. Für viele war das die Lehre
aus dem Holocaust. Undemokratische
Maßnahmen, die im Hinblick auf
Israels Überleben ergriffen wurden,
wie zum Beispiel die Besetzung der
Westbank und Gazas und die Ablehnung
der Grundrechte der dort lebenden
Palästinenser, wurden als
übergangsweise angesehen.
Jedoch müssen wir der
Realität ins Augen sehen: Die
Besatzung wurde zu einer
dauerhaften. Fast ein halbes
Jahrhundert nach dem
Sechs-Tage-Krieg geht Israel in eine
Art Apartheidsregime über, wovor
(bereits) frühere Führer gewarnt
haben. Die Siedlerbevölkerung in der
Westbank ist um das 30-fache
angestiegen, von ca. 12.000 im Jahr
1980 auf
389,000 heute. Die Westbank wird
zunehmend als Teil von Israel
behandelt, wobei die Grüne Linie,
die die besetzten Gebiete
demarkiert, aus vielen Landkarten
entfernt wurde. Der israelische
Präsident, Reuven Rivlin, erklärte
kürzlich, die Kontrolle über die
Westbank „ist kein Gegenstand einer
politischen Debatte. Es ist die
grundlegende Tatsache des modernen
Zionismus.”
Diese „grundlegende
Tatsache“ stellt ein ethisches
Dilemma für amerikanische Juden dar:
Können wir weiterhin einen Staat,
der ständig die Grundrechte eines
anderen Volkes missachtet,
akzeptieren? Doch stellt sich auch
ein Problem aus zionistischer
Perspektive: Israel hat einen Pfad
eingeschlagen, der seine wahre
Existenz gefährdet.
So wie im Fall von
Rodesien und Südafrika, wird Israels
permanente Unterdrückung der
Palästinenser es unvermeidbar von
westlichen Demokratien isolieren.
Nicht nur die europäische
Unterstützung für Israel
hatnachgelassen, auch die Meinung
der Öffentlichkeit in den USA, die
einst felsenfest zu sein schien,
hat begonnen, sich zu ändern,
besonders bei den Millenials.
Internationaler Paria-Status ist
sicher kein Rezept für das Überleben
von Israel.
Zu Hause verschärft
die Besatzung noch den
demographischen Druck, der droht,
die israelische Gesellschaft
auseinanderzureißen. Die Zunahme bei
der Bevölkerung der Siedler und der
Orthodoxen hat den jüdischen
Chauvinismus geschürt und die
wachsende arabische Bevölkerung noch
weiter entfremdet. In zunehmend
unversöhnlichere Gemeinschaften
getrennt, riskiert Israel, das
Minimum an Toleranz zu verlieren,
das jede demokratische Gesellschaft
erfordert. In diesem Zusammenhang
wird die Gewalt, wie die kürzliche
Angriffswelle in Jerusalem und der
Westbank zwangsläufig zu einem
Normalzustand.
Letztendlich bedroht
die Besetzung die Sicherheit, die
sie eigentlich garantieren sollte.
Israels Sicherheitssituation hat
sich seit den Kriegen in 1967 und
1973 dramatisch verändert. Der
Frieden mit Ägypten und Jordanien,
die Schwächung des Iraks und Syriens
und die aktuell überwältigende
militärische Überlegenheit Israels –
darunter seine (nicht deklarierten)
nuklearen Abschreckungswaffen -
haben jegliche existentielle
Bedrohungen durch seine arabischen
Nachbarn beendet. Sogar ein von
Hamas geleiteter Palästinenserstaat
konnte Israel nicht zerstören. Wie
sechs ehemalige Direktoren des
inneren Sicherheitsdienstes, Shin
Bet, in der Dokumentation von 2012,
“The
Gatekeepers,” (die Torhüter)
argumentierten, ist es die Besetzung
als solche, die in Wahrheit Israels
Sicherheit auf lange Sicht bedroht:
Die Besatzung zwingt Israel in einen
asymmetrischen Krieg, der Israels
internationales Ansehen erschüttert,
begrenzt seine Fähigkeit, regionale
Allianzen gegen resektiererische
Extremisten zu schmieden und, was
ausschlaggebend ist, bleibt das
Hauptmotiv für die palästinensische
Gewalt.
Indem Israels Führer
die Besatzung zu einer dauerhaften
gemacht haben, unterminieren sie das
Überleben ihres Staates.
Unglücklicherweise sind israelische
Bewegungen, um dieses Schicksal
abzuwenden, allmählich verschwunden.
Dank eines wirtschaftlichen Booms
und der temporären Sicherheit, die
der Zaun der Westbank und das „Iron
Dome missile defense system“
(Raketenabwehrsystem) verschafft,
sieht Israels säkuläre zionistische
Mehrheit keine Notwendigkeit, die
für einen dauerhaften Frieden
erforderlichen schweren Schritte zu
tun, wie zum Beispiel, ihre
Landsleute aus den
Westbank-Siedlungen zu entfernen und
den moralischen Makel von dem Leid
anzuerkennen, das Israel so vielen
Palästinensern angetan hat.
Wir sind an einem
kritischen Punkt. Der Zuwachs an
Siedlungen und die demografischen
Trends werden bald Israels
Möglichkeit, den Kurs zu ändern,
überlagern. Seit Jahr und Tag
unterstützen wir israelische
Regierungen – auch solche, mit denen
wir absolut nicht einverstanden
waren – in dem Glauben, ein sicheres
Israel handele seinen langfristigen
Interessen entsprechend. Diese
Strategie ist fehlgeschlagen.
Israels Unterstützer sind
tragischerweise seine „enablers“
(Triebfeder) geworden. Heutzutage
besteht ohne Druck von außen keine
realistische Aussicht, dass Israel
sich zu den harten Entscheidungen
durchringt, die sein Überleben als
demokratischer Staat sicherstellen.
Für Unterstützer von
Israel ist jede praktikable Art von
Druck schmerzlich. Die einzigen
Mittel, die plausibel die
israelischen strategischen
Kalkulationen erschüttern könnten,
wäre, die Hilfe und die
diplomatische Unterstützung der USA
zurückzuziehen und der Boykott und
Desinvestition bezüglich der
israelischen Wirtschaft. Wenn man
nur die Produkte, die in den
Siedlungen produziert werden,
boykottierte, hätte nicht genügend
Wirkung, um die Israelis zu
veranlassen, den Status Quo zu
überdenken.
Deshalb weigern wir
uns nur widerwillig, aber trotzdem
entschlossen, nach Israel zu
reisen, boykottieren Produkte, die
dort produziert werden und rufen
unsere Universitäten zu
Desinvestionen auf und unsere
gewählten Repräsentanten, die Hilfe
für Israel einzustellen. Bis sich
Israel ernsthaft für den
Friedensprozess engagiert, der
entweder einen souveränen
palästinensischen Staat errichtet
oder den Palästinensern in einem
Staat die völlige demokratische
Staatsbürgerschaft gewährt, können
wir nicht länger Regierungen
unterstützen, deren Aktionen Israels
langfristiges Überleben gefährden.
Israel ist sicherlich
nicht der schlimmste Verletzer der
Menschenrechte. Stellt nicht das
alleinige Boykottieren Israels, ohne
die anderen Staaten, die gegen das
Gesetz verstoßen, ein zweierlei Maß
dar? Doch, das tut es. Wir lieben
Israel und wir sind zutiefst um sein
Überleben besorgt. Wir investieren
nicht genauso viel Gefühl in das
Schicksal anderer Staaten.
Im Gegensatz zu
international isolierten Staaten,
wie zum Beispiel, Nordkorea und
Syrien, könnte Israel signifikant
von einem Boykott betroffen sein.
Die israelische Regierung könnte
ihren törichten Kurs ohne massive
US-Hilfe, Investitionen, Handel
sowie moralische und diplomatische
Unterstützung nicht beibehalten.
Wir erkennen, dass
einige Boykott-Vertreter aus
Opposition (und sogar Hass) gegen
Israel getrieben werden. Unsere
Motivation ist genau das Gegenteil:
Liebe für Israel und der Wunsch, es
zu retten.
Von dem
ethno-religiösen Fanatismus in
Südafrika angewidert, schrieb der
Gründer des Zionismus,
Theodore Herzl, “Wir wollen
keinen Burenstaat, sondern ein
Venedig.” Amerikanische Zionisten
müssen handeln, um Druck auf Israel
auszuüben, um Herzls Vision zu
bewahren — und es zu retten.
(Übersetzt von Inga Gelsdorf) |