Die
Kinder, die uns die Besatzung nicht vergessen lassen -
Yasemine Halevi -
Ein sechsjähriges palästinensisches Mädchen ist auf einer
Hauptstrasse im Norden Israels angefahren worden, als es um
Kleingeld bettelte. Sie ist eines von vielen Palästinensern, die
vom Westjordanland geschickt werden, wo es nur wachsende Armut
und Verzweiflung gibt.
Das (oben stehende) Foto ist das
Foto von Fatma aus Hebron. Sie ist sechs einhalb Jahre alt und
hat einen Ganztagsjob. Sie ist vor über einem Monat nach Israel
geschmuggelt worden und bettelt seither um Kleingeld an der Kafr
Kana-Kreuzung im Norden Israels. Sie schläft entweder in der
nahe gelegenen Moschee oder in der angrenzenden Stadt Barta'a –
es ist nicht ganz klar. Sie hat schon seit einer Weile nicht
mehr geduscht und ist die meiste Zeit hungrig.
Ihre Eltern bekommen von diesem
Job nur 30 bis 50 Shekel pro Tag, und es gibt viele wie sie. Bis
vor wenigen Monaten verkauften kleine Jungen an der Kreuzung
Feuerzeuge und Kugelschreiber, aber nach der letzten Gewaltwelle
wurden sie von mageren schmutzigen Mädchen ersetzt, die mit
traurigen Augen herumstehen und zerzaust und erschöpft
aussehen.
Viele, die durch Wadi Ara fahren,
sehen diese Kinder. Sie kennen dieses "Phänomen", das Herz tut
ihnen weh. Erst einmal sind Kinder, die an einer Hauptstrasse
herumlaufen, ständig gefährdet. Zweitens ist der Anblick einfach
schlimm. Natürlich sind das zynische, schamlose Eltern, die mit
ihren Kindern Geld machen. Aber vielleicht ist der Vater im
Gefängnis? Vielleicht ist er tot? Vielleicht gibt es nirgends
eine Mutter? Was, wenn sie auf der Strasse leben?
Was wissen wir? - Der
Israeli National Council for the Child rät, diesen Kindern kein
Geld zu geben, so dass nicht wieder kommen. Das ist die
klassische Antwort derer, die alles haben. Was, wenn diese
Kinder mißhandelt werden, wenn sie nicht genug Geld nach Hause
bringen? Vielleicht bekommen sie (dann) kein Essen? Und was ist
mit den 40 NIS, die sie nach Hause bringen, mit denen man ein
paar (Stück) Brote und einen Liter Brennstoff für den
eisigkalten Winter kaufen könnte? Der Rat tut mit dem sinkenden
Budget, das ihm von der israelischen Regierung zugewiesen wird,
sein Bestes, um für israelische Bürger zu sorgen. Die Polizei
kann nichts tun. Die Wohlfahrtsbehörden haben die Hände voll –
aber wenn jedes dritte Kind in Israel unter der Armutsgrenze
lebt, was sollen wir mit den Palästinensern tun?
Die Anwohner sind von dem Anblick
schockiert. Sie sind entsetzt über die herzlosen Zuhälter, die
ihr Geld mit kleinen Kindern machen. Man nimmt auch an, dass sie
ein wenig ältere Kinder als Subunternehmer anstellen, die auf
die kleineren aufpassen sollen. Die ersteren schlafen oft in der
Nähe unter einem Baum und haben ein Auge auf das, was geschieht.
In dieser Woche wurde Fatma
während ihrer Arbeit angefahren, offenbar rannte sie auf die
Strasse, als sie die Polizei kommen hörte. Sie wurde für ein
paar Tage ins Krankenhaus aufgenommen, wie durch ein Wunder hat
sie ohne größere Verletzungen überlebt. Und jetzt, wo sie
"entlassen" wird, muss man sich fragen: wohin?
Im Juli 2006 gab es eine
Versammlung des Special Committee for the Rights of the Child
unter dem Vorsitz von Shelly Yacimovich (Labor, Zionist Union)
mit der Knesset, um über das Phänomen der bettelnden Kinder an
den Kreuzungen zu diskutieren. Viele Leute kamen zu dieser
Versammlung, auch das Knessetmitglied Dov Khenin, der damalige
Wohlfahrtsminister Ya'akov Margi, Polizeioffiziere von Wadi Ara
und Jerusalem, Mitglieder des National Councils for the Child
und andere. Jeder wollte in dieser schlimmen Situation etwas
tun, und alle stimmten darin überein, dass das nicht möglich ist
ohne Geld bereit zu stellen, Ressourcen zuzuweisen und ohne die
Koordination aller zuständigen Behörden – einschließlich der
Palästinensischen Autonomiebehörde und palästinensischen Gruppen
der Zivilgesellschaft.
Es hat Versammlungen gegeben,
Positionspapiere sind geschrieben, Gesetze novelliert worden.
Die Wohlfahrtsbehörden haben es seither weiter schwer gehabt.
Die, die sich um die Schwachen kümmern, mussten Einschränkungen
hinnehmen. Der palästinensischen Gesellschaft geht es auch
schlechter; die Ressourcen sind knapp, die PA ist dabei zusammen
zu brechen, Apathie und Hass wächst. Die Armut bringt Eltern in
eine Lage, in der sie bereit sind, ihre kleinen Kinder zum
Arbeiten zu schicken. Was für eine Generation wächst hier heran?
Wir sind entsetzt, wir möchten
helfen, das Herz tut uns weh. Wer möchte so etwas schon sehen?
Warum haben wir Milliarden für eine Mauer ausgegeben, wenn nicht
dazu, uns vor einem solchen schlimmen Anblick zu schützen? Lässt
Israel einen Spalt in der Mauer, um diesen Kindern zu erlauben
für ihre Familien ein paar Shekel nach Hause zu bringen, damit
das Westjordanland nicht explodiert?
Und wenn Fatma zu ihrer Mutter in Hebron zurückkehrt, was für
ein Schicksal wird sie haben? Wird sie verkümmern,
oder wird sie für andere Zuhälter arbeiten und sich als
Bettlerin am Qalandiya oder Tulkarem-Checkpoint wiederfinden?
Möglicherweise wird sie von einem verirrten Gummigeschoss
getroffen, oder von Tränengas oder von Steinen? Vielleicht
werden andere Kinder grausam zu ihr sein? Je mehr ein
durchschnittlicher Mensch versucht nachzudenken, wie er diesen
Kindern helfen kann, umso mehr kommt er zu dem Schluss, dass er
es nicht kann. Man kann nichts tun außer die Situation laufen
lassen, diese Leute auf die Art überleben lassen, die sie selbst
wählen, solange es keine bessere Option gibt.
All das ist eine Seite der
Besatzung. Das ist sein Gesicht. Diese Dinge passieren ständig,
wir hören nur nicht davon. Und sie werden weiter passieren. Wer
diesen Kindern helfen will, muss verstehen, dass der erste
Schritt dazu die Beendigung der Besatzung ist. Wir können
schwerlich sagen, dass wir als Gesellschaft alles tun, was uns
möglich ist.
Quelle
Übersetzung: K.
Nebauer
The
children who won't let us forget the occupation
- A six-year-old Palestinian girl was run over on a main road
while begging for change in northern Israel. She is one of many
Palestinians sent over from the West Bank, where both poverty
and despair is only growing. - Yasmine Halevi
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