Recht
und Pflicht der Palästinenser zum Widerstand
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07.10.2017 -
Gideon Levy -
Stellt Euch
vor, Ihr seid die Palästinenser. Vielleicht
Einwohner von Ost-Jerusalem. Siebenundvierzig
schwierige Jahre liegen hinter Euch; vor Euch liegt
eine große, bedrückende Dunkelheit. Die israelische
Tyrannei, die Euch ein böses Schicksal bereitet,
erklärt arrogant, dass alles immer so bleiben wird.
Eure Stadt werde "für immer und ewig" unter
Besatzung bleiben. Der Verteidigungsminister, der
zweitwichtigste Mann in der Regierung, die Euch
unterdrückt, sagt, ein palästinensischer Staat werde
niemals errichtet werden.
Stell Dir vor, Du bist
Palästinenser und Deine Kinder sind in Gefahr. Vor
zwei Tagen haben Besatzungskräfte ein anderes Kind
getötet, weil es einen "Sprengkörper gezündet"
hätte. Die Worte "Tod den Arabern" sind in der Nähe
Deines Hauses gesprayt. Wo Du Dich hinwendest, darf
ein Grenzpolizist auf Dich schießen. Jede Nacht
können sie in Dein Heim einfallen. Du wirst nie als
menschliches Wesen behandelt. Sie werden Dich fertig
machen, demütigen, einschüchtern, vielleicht sogar
Dich inhaftieren, möglicherweise ohne
Gerichtsverfahren.
Es gibt nahezu 500
Gefangene in Administrativhaft. Wenn einer Deiner
Lieben inhaftiert ist, wirst Du immer
Schwierigkeiten haben, wenn Du ihn besuchen willst.
Wenn Dir das gelingt, wirst Du eine halbe Stunde für
ein Gespräch hinter einem Glasfenster bekommen. Wenn
Dein Angehöriger in Administrativhaft ist, wirst Du
nie wissen, wann er freigelassen wird. Aber das sind
Kleinigkeiten, an die Du Dich bereits allzu lange
gewöhnt hast.
Vielleicht hast Du
Dich auch schon an den Landraub gewöhnt. Jederzeit
kann ein Siedler auf Deinen Grund und Boden kommen,
Deine Baumpflanzung niederbrennen oder Deine Felder
in Brand setzen. Dafür wird er nicht vor Gericht
kommen; die Soldaten, die Dich angeblich schützen
sollen, werden tatenlos zusehen. Jeden Moment kann
eine Anordnung für den Abriss (Deines Hauses, Ü.)
oder für eine willkürliche Zwangsräumung auftauchen.
Und es gibt nichts, was Du machen kannst.
Stellt Euch vor, Ihr
seid Palästinenser. Ihr könnt Gaza nicht verlassen,
und es ist auch nicht leicht die Westbank zu
verlassen. Der Strand, weniger als eine Autostunde
von Deinem Haus in der Westbank entfernt, liegt
hinter dunklen Bergen. Ein Israeli kann viel
leichter nach Feuerland zwischen Argentinien und
Chile reisen als Du an den Strand von Ajami.
Es gibt keine Träume,
keine Wünsche. Deine Kinder haben nur eine geringe
Chance im Leben etwas zu erreichen, selbst wenn sie
auf die Universität gehen. Alles, was sie erwarten
können, ist ein Leben in Demütigung und
Arbeitslosigkeit.
Es besteht keine
Chance, dass sich diese Situation jemals rasch
ändern wird. Israel ist stark, es hat die USA in die
Tasche gesteckt, Eure Führung ist schwach (die
Palästinensische Autonomiebehörde) und isoliert
(Hamas), und die Welt verliert das Interesse an
Eurem Schicksal. Und was macht Ihr?
Es gibt zwei
Möglichkeiten. Die erste ist zu akzeptieren, Ihr
könnt Eingaben machen, aufgeben. Die zweite ist
Widerstand zu leisten. Das ist in der Tat Eure
zivile Pflicht. Da gibt es keine Diskussion. Das
Recht eines besetzten Volkes gegen die Besatzung
Widerstand zu leisten, ist im Naturrecht sicher
gestellt, in den Moralvorstellungen der Geschichte,
im Völkerrecht.
Die einzige
Einschränkung besteht für die Mittel zum Widerstand.
Die Palästinenser haben fast alles davon versucht,
zum Besseren oder zum Schlechteren – Verhandlungen
und Terror; mit einem Stein und mit Sprengstoff; mit
Zugeständnissen und Anschlägen; mit Demonstrationen
und Selbstmord. Alles vergeblich. Sollen sie
verzweifeln und aufgeben? Das ist in der Geschichte
nie geschehen, also werden sie weitermachen.
Manchmal werden sie legitime Mittel einsetzten,
manchmal schlechte. Es ist ihr Recht auf Widerstand.
Jetzt leisten sie
Widerstand in Jerusalem. Sie mögen die israelische
Herrschaft nicht, oder Menschen, die ihre Kinder
lebendig verbrennen. Sie mögen keine bewaffneten
Siedler, die mitten in der Nacht unter dem Schutz
des israelischen Rechts in ihre Wohnungen eindringen
und sie aus der Wohnung werfen. Sie mögen keine
Stadtverwaltung, die Dienstleistungen nach
nationaler Zugehörigkeit gewährt, oder Richter, die
über ihre Kinder entsprechend ihrer Herkunft Urteile
fällen. Sie werden verrückt, wenn das Haus eines
jüdischen Terroristen nicht zerstört wird, während
das Haus eines Palästinensers niedergerissen wird.
Sie möchten nicht,
dass Israel sie immer weiter tyrannisiert, also
leisten sie Widerstand. Sie schleudern Steine und
zünden (einen) Sprengstoff(gürtel) . So sieht
Widerstand eben aus. Manchmal handeln sie
mörderisch, aber sogar das ist nicht so schlimm wie
die Gewalt ihrer Besatzer. Es ist ihr Recht, es ist
ihre Pflicht.
Quelle
Übersetzung: K. Nebauer |