Das
Rückkehrrecht
Shmuel Amir, aus Hagada Hasmalit , 11.3.07 ( über VB)
„Wie kann
ich mich frei und sicher fühlen, wenn die palästinensischen
Flüchtlinge zurückkehren?“ fragte mich Jasmin nach einem Artikel,
den ich in Hagada Hasmalit auf Hebräisch schrieb. Sie fragte auch,
wie ich mir die Fortdauer Israels als unabhängigen jüdischen Staat
nach der Erfüllung des Rückkehrrechtes vorstellen würde. Und sie
wollte sofort eine Antwort. Hier ist sie.
Wir können
nicht so tun, als gäbe es unsere Geschichte nicht. Im Krieg von 1948
vertrieben wir 2/3 der lokalen arabischen Bevölkerung, das waren
etwa 700.000 – 800.000. Diese Zahlen ( wie alle hier vorkommenden
Zahlen) sind geschätzte Zahlen aus verschiedenen Quellen. Ihre Zahl
und die ihrer Nachkommen sind mehr geworden und haben etwa 4
Millionen erreicht. Man erinnere sich daran, dass die UN ihr Recht
der Rückkehr anerkennt oder das Recht auf Kompensation (UN-Res.
194). Das Rückkehrrecht von Menschen, die von ihrem Land vertrieben
wurden, ist im Völkerrecht verankert und steht im Einklang mit den
Prinzipien der universalen Ethik. Die Palästinenser selbst waren nie
damit einverstanden, auf ihr Rückkehrrecht zu verzichten. Und wir
Israelis haben einfach die Flüchtlinge und ihre Forderungen
ignoriert. In der Begeisterung, die dem Krieg und der Errichtung des
Staates folgte, war das allgemeine Gefühl: „Was geschehen ist, ist
geschehen.“ Und jetzt Schluss damit. Die Evakuierung der arabischen
Bevölkerung aus den Städten Jaffa, Haifa, Safed, Lod und Ramle wurde
mit einem Seufzer der Erleichterung vom jüdischen Yishuf
(Gemeinschaft) aufgenommen.
Nur später
wurde klar, dass die Dinge nicht so einfach liegen, wie es schien –
und dass wir das „Geschäft“ noch lange nicht beendet haben.
Wir schlugen
sogar vor – auf internationalen Druck hin – 100 000 Flüchtlingen die
Rückkehr zu gestatten (vorgeschlagen vom damaligen Minister für
ausländische Angelegenheiten Moshe Sharett, 1940). Man sollte daran
denken, dass diese Zahl vorgeschlagen wurde, als der ganze Jishuv
aus weniger als 1 Million Juden bestand. Wenn wir das in die heutige
Realität umsetzen würden, dann wäre es so, als würden wir 600.000 –
700.000 palästinensischen Flüchtlingen die Rückkehr erlauben. 1949
waren es nur 160.000 Araber, die die Nakba überlebten und in Israel
blieben. In andern Worten : wäre es den 100.000 Flüchtlingen damals
erlaubt worden, zurück zukehren, dann stellten die Araber heute ein
Drittel der Bevölkerung Israels dar.
Man sollte
sich also daran erinnern, dass die historische UN-Resolution von
1947 zur Schaffung eines jüdischen Staates aufrief – oder um
genauer zu sein – zur Teilung des Landes in zwei Teile – eine
Resolution, die begeistert vom Yishuf aufgenommen worden war – die
Araber wären dann 40% der Bevölkerung des jüdischen Staates gewesen.
Heute bin
ich davon überzeugt, dass wir das Rückkehrrecht der
palästinensischen Flüchtlinge anerkennen sollten und damit
einverstanden sein (im Rahmen eines umfassenden Friedensabkommens),
dass zwischen 50-10 000 Flüchtlinge pro Jahr in den nächsten zehn
Jahren zurückkehren dürfen. Der Rest wird eine faire Kompensation
erhalten, an der sich Israel beteiligt. Ich habe in verschiedenen
Quellen darüber gelesen, dass solch ein Vorschlag auch für die
Palästinenser annehmbar sei. Dann würde ein Situation geschaffen, in
der die Palästinenser 25 % der Bevölkerung darstellen. Heute sind es
19%.
Man muss
betonen, dass das Rückkehrrecht nicht nur eine Frage der physischen
Rückkehr der Flüchtlinge ins Land ist. Es ist auch – vielleicht
vorrangig – das Eingeständnis der Schuld Israels (und des
Zionismus’), ein anderes Volk entwurzelt zu haben.
Was die
Möglichkeit betrifft, dass Israel auch weiterhin ein unabhängiger
Staat ist, in dem sich seine Bürger auch nach der Rückkehr der
Flüchtlinge sicher fühlen, so vermute ich, dass die teilweise
Rückkehr der Flüchtlinge die Grundlage für einen wirklichen Frieden
und für Versöhnung mit den Palästinensern darstellt. Außerdem würde
es Israel in die Lage setzen, normale und friedliche Beziehungen mit
seinen arabischen Nachbarn aufzubauen.
Ein
Friedensabkommen unter diesen Bedingungen ist der realistischste
Weg, die Existenz und Unabhängigkeit Israels zu garantieren. Sonst
wären wir dazu verurteilt, weiter inmitten eines endlosen Krieges
zu leben. Es ist ein bittere Wahrheit, dass auf Dauer, angesichts
der Machtbalance im Nahen Osten, unsere Existenz in keiner Weise
abgesichert ist. Wir leben unter hundert Millionen Arabern und
Muslimen mit einem tiefen Nationalbewusstsein, in ihrem erbitterten
Kampf wütend gegen den westlichen Kolonialismus, von dem ihrer
Meinung nach Israel ein Teil ist. Unter der Voraussetzung, dass
hier Frieden herrscht, würde unsere Existenz hier viel sicherer sein
als jetzt. Ich kann mich noch an gute nachbarschaftliche Beziehungen
erinnern, die zu Zeiten des britischen Mandats zwischen Juden und
Arabern herrschten. Wer sagt denn, dass das Leben mit einer
nationalen Minderheit notwendigerweise ein Leben mit Kampf sei?
Soziale und kulturelle Kooperation zwischen zwei sich das Land
teilenden Völkern kann nur zur Bereicherung für beide führen.
Nationale
Minderheiten in verschiedenen Größen existieren in mehreren Ländern
und es scheint, dass ihr Leben nicht geringwertiger als das Leben
in Israel ist. Es scheint mir, dass für das spanische Volk z.B. sein
nationales Leben in keiner Weise eingeschränkt ist von der Existenz
der Katalanen oder gar der baskischen Minderheit. Auf jeden Fall
sind die Palästinenser in Israel eine Tatsache und Vorschläge nach
Liebermanscher und ähnlicher Art können das Land nur in ein Inferno
verwandeln.
Mir schwebt
ein Staat vor Augen, in dem Araber volle Partner sein werden,
während wir weiter unsere eigene hebräische Kultur entwickeln und
unsern Lebensstil wählen. Aber wir müssen sicher sein, dass wir
nicht wie heute, die Rechte der andern d.h. der arabischen Bürger
des Landes verletzen. Warum sollte die Anerkennung der Rechte der
Minderheit uns in irgend einer Weise für uns nachteilig sein? Im
Gegenteil, es versetzt uns in die Lage, eine tolerantere und
humanere Gesellschaft in unserer nationalistischen „Villa im
Dschungel“ aufzubauen (ein vom früheren Ministerpräsidenten Ehud
Barak geprägter Ausdruck), die auf einem schlafenden Vulkan sitzt,
der immer wieder auszubrechen droht.
Um in einem
solchen Staat zu leben, müssten wir bei unsern Ansichten über uns
und unsere Vergangenheit einige Veränderungen vornehmen. Wir würden
dann fähig sein, all unsere hartnäckigen Entschuldigungen beiseite
zu schieben, auch unsere scheinheiligen Posen der Überlegenheit
gegenüber unsern Nachbarn. Ich glaube, dass der Gedanke jüdischer
Ausschließlichkeit nicht notwendig für das jüdische Nationalleben
ist. Exklusivität ist nur für eine enge, fremdenfeindliche Art von
Nationalismus. Ich glaube an einen Nationalismus, der für
kulturellen Kontakt und Austausch mit andern ist, wie es bei allen
großen Kulturen in der Welt der Fall war. Sich von der Welt draußen
abzuschotten, führt nur zu Provinzialismus. Feindseligkeit gegen „
die anderen“ ist eine armselige Form von nationaler Bereicherung.
Meiner
Meinung nach kann innerhalb eines sog. Nationalstaates eine
Minorität blühen, wenn man ihr einen entsprechenden Lebensraum gibt.
Auf jeden Fall ist solch eine Situation verheißungsvoller als das,
was wir jetzt haben – in einem Staat zu leben, in dem eine größere
palästinensische Minderheit ihrer Rechte beraubt ist. Um dies auf
einen Punkt zu bringen, lass es mich so sagen: in einem Staat mit
einer größeren palästinensischen Minorität zu leben, als wir sie
heute haben, aber einer, die nicht feindselig gesinnt ist – in
einem Staat mit einer größeren palästinensischen Minderheit als wir
sie heute haben zu leben, die mit ihren Nachbarn in Frieden lebt –
das bedeutet für uns alle größere Sicherheit und Freiheit.
Das Ergebnis
wird zwar anders sein, als das was die frühen Zionisten vor Augen
hatten. Nachdem sie aber den europäischen Kolonialismus in sich
aufgenommen hatten, dachten sie, es sei nur selbstverständlich, ein
Land zu besetzen und über die einheimische Bevölkerung zu herrschen
– so wie es die Großmächte zu ihrer Zeit taten. Keiner hat je
etwas von Entkolonialisierung gehört.
Aber wir
können darauf hinweisen, dass meine „utopische“ Vision der
Beziehungen zwischen Juden und Arabern nicht so sehr weit entfernt
von dem ist, was Herzl in seinem berühmten „Altneuland“ schrieb.
Dort beschreibt er einen offenen und pluralistischen Staat, der
besonders tolerant gegenüber Arabern ist. Er schrieb dies zwar als
Antwort auf eine Behauptung – die vor hundert Jahren gemacht wurde –
dass es das zionistische Ziel sei, einen isolierten jüdischen
Nationalstaat zu schaffen. Unter den frühen Kritikern des Buches
war Ahad Ha’am, der als verhängnisvolle Prophezeiung schrieb, dass
ein solcher Staat nur auf der Grundlage existieren könnte, wenn die
Araber vollkommen verdrängt worden sind. Herzls utopischer
Zuckerguss über der zionistischen Idee schien Ahad Ha’am nicht zu
amüsieren. Aber Herzl sah ein, dass man eine zionistische Utopie
beschreiben musste, einen Staat, der den Standards der universalen
menschlichen Werte entsprach. Das Motto in seinem Buch war:
„Wenn ihr
wollt ist es kein Märchen“. Im traurigen Zustand, in dem sich Israel
heute befindet, klingt vielleicht die Idee der Versöhnung mit den
Palästinensern auf Grund des Rückkehrrechts auch wie ein Märchen.
Noch, wenn wir wollen …
(dt. Ellen Rohlfs)
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