Armageddon liegt direkt vor
uns
Rabbi Arik Asherman,
2.12.09 (Ohne
Quellenangabe)
Es ist 1:30 Uhr und ich
komme gerade aus Sheik Jarakh – Ich sehe Jerusalem
in Flammen und ich weiß, dass es mir mit Worten
nicht gelingen wird, den Horror zu übermitteln, den
ich dort sah oder die große Angst, die ich in meinem
Herzen spüre.
Heute hat der
Gerichtshof zu Gunsten der Siedler entschieden, die
einen weiteren Teil eines Hauses in Sheik Jarakh
übernommen haben. Während ein Anwalt von einigen der
Familien in den 80er-Jahren das jüdische Eigentum
als geschützten Mieterstatus (?) anerkannt hat,
wurde der Anbau, den die Familie al-Khurd an das
Haus gebaut habe, als illegal erachtet. Sie hätten
die „Besitzer“ fragen müssen, ob sie es tun dürfen.
Hat die Gerichtsorder den Anbau demoliert oder ein
Bußgeld verhängt? Natürlich nicht. Es wäre nun eine
logische Sache gewesen, wenn man die Siedler in den
Anbau hätte ziehen lassen.
Den ganzen Tag war die
Spannung spürbar, und manchmal ging sie in physische
Gewalt über. Die Leute schauten mich misstrauisch
an, um festzustellen, ob ich Freund oder Feind bin.
Bis ich nah genug herangekommen war, um erkannt zu
werden und die neu Hinzukommenden auf arabisch
begrüßte, die mich nicht kannten. Palästinenser von
Israelis und Internationalen unterstützt, setzten
sich dicht gedrängt um mehrere Feuer und
beobachteten genau, was um sie herum los war, als
arabische Musik die Siedler, die sich innerhalb
ihrer neuen Wohnung drängten, daran erinnerten.
Nasser Ghawi hat sich seit vier Monaten in eine
erbärmlich, schiefe Hütte auf der andern Seite der
Straße eingeschlossen, wo sechs Siedlerfamilien in
seinem Haus wohnen, wo ein ständiger Strom von
Besuchern ein und ausgeht. Er fragte mich, ob es
irgend eine Hoffnung gibt. Im allgemeinen bin ich
voller Optimismus selbst in den schwierigsten
Situationen. Hier konnte ich nur einige sinnlose
Platituden von mir geben, dass nach neuen legalen
Optionen gesucht werden müsse. Gestern fragte mich
Maya, unsere Vorsitzende, die die meiste Zeit in
Sheik Jarakh verbringt, wo denn die Gerechtigkeit
sei. Ich konnte ihr keine Antwort geben.
Plötzlich kam eine
Gruppe Siedler und ihre Unterstützer zum Ghawi Haus
und wurden mit Buhrufen und Beschimpfungen von
Seiten der Palästinenser begrüßt, die für ihren
kochenden Zorn und ihre Not ein Ventil suchten. Die
Siedlergruppe kam näher und wollte denen im Haus
gratulieren. Jeder sprang auf seine Füße und schlug
das Tor zu. Doch nun waren Siedler drinnen wie
draußen. Ich wunderte mich, dass kein Kampf
ausbrach. Die höhnischen Bemerkungen wurden lauter
und bösartiger. Einige spuckten die Siedler an. In
ähnlichen Situationen habe ich die Palästinenser zu
beruhigen versucht. Aber hier hatte ich das Gefühl,
dass ich nicht das Recht dazu habe und dass es nicht
gut sei. Nur auf einen einzigen Kommentar reagierte
ich, als jemand auf arabisch sagte, Hitler habe
seinen Job nicht zuende gemacht. Ich versuchte,
darüber nachzudenken, was ich tun könnte, wenn die
Dinge weiter eskalieren und fand keine Antwort. Die
Siedler starrten auf mich und meine Kipa und wussten
mich nicht einzuordnen .
Das erschreckendste
Anzeichen dafür, dass wir am Rand einer Feuersbrunst
stehen, war , dass die Polizei nicht gewaltsam
gegen die Palästinenser vorging und Leute
verhaftete, weil sie nicht richtig drein schauten,
wie es so oft in Sheik Jarakh geschieht. Ich sah
sogar einen der Offiziere, der den Weg für die
ankommenden Siedler frei machte, und einen
anknurrte, dass er es ja nicht wagen solle, einen zu
berühren. Bei andern Gelegenheiten wäre ich sogar
freudig überrascht gewesen. Aber hier war es ein
Zeichen dafür, dass selbst die Polizei wusste, dass
sie auf einem Vulkans sitzt, der gleich ausbrechen
kann.
Maya kommt an. Ich sage
zu ihr: es wird wie ein Wunder sein, wenn die
Nacht ohne ein Explosion vorbei geht.
Alle paar Minuten
später kommt eine Gruppe Siedler, schaut, lächelt.
Einmal kam ein Siedler und forderte die
Palästinenser auf, die laute Musik abzuschalten. Ich
habe Visionen über das, was geschehen könnte, wenn
er nur eine kleine Sache falsch macht oder etwas
zerschlägt. Ich denke an einen jüdischen Rat: „Tadle
niemanden, der gerade mitten in Problemen steckt.“
Er geht zurück, als Palästinenser schreien und an
die Fenster schlagen. Eine Frau wendet sich in ihrer
ganzen Länge an einen drusischen Offizier, der vor
der Tür des eroberten Raumes steht. Ich kann nur
erahnen, was sie immer wieder auf Hebräisch sagt:
„Ist das euer Rechtssystem?“. Ich kann nur mit einem
Wort antworten, das ich vor Jahren gelernt habe:
„nicht alles, was „legal“ ist, ist auch gerecht.“
Das Schlimmste ist,
dass ich nicht weiß, was ich raten kann. Israels
Demokratie ist bis jetzt ein Fehlschlag gewesen. Der
internationale Druck ist bis jetzt misslungen. Die
Gemeinschaft der Aktivisten hat bis jetzt auch
keinen Erfolg gehabt.
Auch wenn seine
schlimmsten Vorhersagen nicht eintrafen: die
Bewohner des Landes erhoben sich nicht wegen ihrer
Taten und zerstörten sie nicht, so verfluchte unser
Stammvater Jakob seine Söhne Simeon und Levi bis zu
seinem Sterbetag wegen ihrer gewalttätigen und
brutalen Racheakte (Im Tora-Abschnitt dieser Woche).
…
Ich hoffe, dass ich
unrecht habe. Worum geht es hier? Warum zornig,
aufgeregt und besorgt über noch einen hilflosen
Palästinenser zu sein, der über israelische
Ungerechtigkeit wütend ist?. Warum sollen Aktivisten
noch eine schlaflose, kalte Jerusalemer Nacht sich
um ein Feuer drängen? Warum sollten die politischen
höheren Ränge und die Gerichte aus ihrer Trägheit
aufwachen? Kann die internationale Gemeinschaft
wegen „ihres starken Protestes“ nicht mit sich
zufrieden sein?
Weil dies Jerusalem
ist. Wie ich vor anderthalb Wochen schon schrieb,
sah ich palästinensischen Zorn so stark aufkochen,
wie es gewöhnlich nicht geschieht. Weder die Drohung
mit Verhaftung noch die Anwendung von
überwältigender Gewalt schreckt ab. Das bedeutet
eine dritte Intifada. Das bedeutet, dass die
Weltgemeinschaft zu spät kommt, Israel zu einem
Einfrieren der Siedlungsbautätigkeit zu zwingen. Das
bedeutet, dass die Obama-Regierung bestenfalls
eine Witzfigur ist, und in vielen Teilen der USA
herrscht über ihn Hohn und Verachtung.
Ich sehe Jerusalem in
Flammen – ich sehe Armageddon direkt vor uns. Ich
sehe überall Besorgnis. Ich weiß, es werden zig auf
unsern Aufruf zu demonstrieren antworten – aber wir
benötigen Hundert Tausende. Die Diplomaten werden
dringende Berichte schreiben, aber wir brauchen
effektiven Druck. Die Friedens- und
Menschenrechtsgruppen werden sagen, dies ist
schrecklich – aber sie müssen aus ihren Häusern
herauskommen. Die Politiker werden sagen, das ist
etwas für die Gerichte, und dass sie sich nicht
einmischen können, während die Gerichte sagen, dass
das Gesetz Vorrang vor ihrem persönlichen Gewissen
habe. Die Polizei wird Notfallpläne vorbereiten.
Anfang November wurde
die Khurd-Familie aus einem Teil ihres Hauses
vertrieben. Am Dienstag zogen die Siedler ein. Als
diese schon in einem anderen Teil des Hauses der
Al-Khurd-Familie lebten, terrorisierten sie die
Familie monatelang, bis sie das ganze Haus in Besitz
nehmen konnten. Dies ist nun das fünfte Haus, das
von Siedlern in Karm al-Jaowni übernommen wurde.
Schließt euch einem
Marsch von West- nach Ost-Jerusalem an aus Protest
gegen die Ungerechtigkeit, die gegen das
palästinensische Volk begangen wird. ….
(dt. Ellen Rohlfs)
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