Kultur
und Opposition
Kultur ist
da von Bedeutung, wo sie die Frage der Zensur aufwirft. Dies
ist mein Ausgangspunkt bezüglich dieses Aufsatzes, und die Frage,
die ich mir stelle: Warum wird die Zensur bei uns so wenig
angewendet? Anders gefragt: Warum ist die israelische Kultur eine
Kultur von Jasagern?
Die Zensur
kommt immer dann, wenn es obszön wird. Im geschlechtlichen,
religiösen oder politischen Sinn. Und am Obszönsten ist es
natürlich, wenn die drei durcheinander gemischt sind. Dann
klappert die Zensurschere ganz aufgeregt.
Ich werde in
diesem Artikel einigermaßen viel von Theater sprechen, einerseits
weil dies mein Beruf ist, und andererseits weil dies, meiner
Meinung nach, eine Form hoher kultureller Entwicklung darstellt.
Drei
Sorten der Zensur
Außer der
Zensur ‘von oben’ ist natürlich
die effizienteste Zensur die Selbstzensur, und die macht
Überstunden in Israel. Man könnte natürlich
darüber
diskutieren, ob und inwieweit diese Selbstzensur bewusst oder
unbewusst ist, aber ich möchte den Herrn Freud nicht aus seinem
ewigen Schlag wecken. Eine andere Differenz scheint mir
relevanter: Wie Biermann so schön sagte: “Im Osten fragte ich:
’Wird’s verboten?’ Hier frage ich: ‘Wird’s verkauft?’
Und da
kommen wir auch schon zur dritten Art von ‘Zensur’, die vielleicht
den wichtigsten Teil der Frage ausmacht: der Druck des Konsens,
der immer noch sehr stark ist und immer noch tiefe Wurzeln hat.
Wer innerhalb dieses Konsens Kultur macht, oder mit anderen Worten
konstitutionelle Kultur
macht, hat volle Freiheit zu schöpfen, was er oder sie will. Aber
wer oppositionelle Kultur macht, hat es schwerer. Der
Kulturschaffende kann mutig sein (kommt zwar eher selten vor, aber
immerhin – es gibt’s), die Zensur drückt vielleicht zwei Augen zu
(was immer häufiger ist), aber das Publikum wartet schon mit der
Schere. Entweder du wirst ignoriert oder angegriffen.
Schauen wir uns
zu Beginn einmal ein paar Beispiele dieser drei Sorten an.
Die
offizielle Zensur
Die israelische Zensur ist
britisches Erbstück. Jeder Zeitungsartikel, jedes Theaterstück und
jeder Film muss durch die Scheren der Zensur.
Ich
erlaube mir hier, ein kurzes Filiton von
Hanoh Levin
zu übersetzen, vor allem darum, weil dieser umstrittener und
wichtiger Künstler so erstaunlich wenig aufs Deutsche übersetzt
wurde.
Aus dem Tagebuch eines Zensors
(nach der
Zensur des Stückes “Der Patriot” [Oktober 1982, Libanonkrieg. Der
Übersetzer])
Mein
liebes Tagebuch, wie jede Nacht – ein paar Worte vom Herzen, vor
dem Schlaf. Auch heute, mein Tagebuch, wie an jedem Tag, hab ich
eine Seele in Israel gerettet.
Er war eine tragische Figur in einem alten Stück, ein Neger, ein
General, mutig, aber pathologisch eifersüchtig. Er heiratete eine
weiße aristokratische Frau, die ihn liebte, aber unendlich litt
unter seinen jähzornigen Eifersuchtsausbrüchen, bis zum bittren
Ende, da er sie erwürgte. Mein liebes Tagebuch, ich weiß gar
nicht, woher mir plötzlich dieser Gedanke einfiel, aber gleich zu
Beginn des Stückes erkannte ich, ohne den geringsten Zweifel, den
schrecklichen Ursprung des Bösen: Die überschwelligen Gelüste des
armen Negers! Angesichts seiner Leiden konnte ich mein Erbarmen
nicht mehr zurückhalten, ich nahm die Schere, und gleich nach
seiner ersten Szene traten zwei türkische Soldaten auf und
schnitten ihm die Eier zusammen mit dem Penis ab. Nach einer
halben Minute hatte sich der arme Neger beruhigt, all seine
Eifersuchtsausbrüche während des Stücks waren wie weggefegt. Aber
jetzt, liebes Tagebuch, konnte ich die Frau natürlich nicht so
lassen, mit Gemahl ohne Geschlechtsteile, denn da könnte ihr ja
die Lust kommen und sie zum Betrug verführen. Darum hab ich nach
der nächsten Szene zwei weitere türkische Soldaten auf die Bühne
gebracht, die ihr die Brüste abschnitten, die Gebärmutter
herausrissen und die Klitoris abfeilten. Ach, mein Tagebuch, die
Liebesszene der beiden war jetzt süß und ruhig. Aber damit war die
Arbeit noch nicht beendet. Da war noch ein Intrigant, ein
Schwindler, der es auf das Eheglück der Beiden abgesehen hatte.
Mitten in seinem Monolog, da er seine Pläne dem Publikum preisgab,
stürmten noch zwei Soldaten auf ihn, Türken natürlich, die packten
ihn und schnitten ihm die Eier ab. Alle Motivation für Bosheit und
Unfug verschwand sogleich. So stand er jetzt, auf einer Bühne
voller türkischer Soldaten hinter ihm, schwach, apathisch und
passiv, beendete seinen Monolog mit Müh und Not und verschwand.
Sogleich begann
der zweite Akt, und unser Neger betrat nun die Bühne sauber, rein,
ohne Dummheiten im Kopf, ohne Genitalien, seine Lenden verbunden
mit sterilen Bandagen. Er setzte sich zu Tisch zum Teetrinken mit
seiner Frau, die ja auch, jetzt, verbunden war mit ähnlichen
Bandagen. Und so saßen sie beisammen, still, und tranken Tee,
während die türkischen Soldaten dahinterstanden und warteten, bis
mir gegen Schluss des zweiten Aktes nichts übrig blieb als das
Natürliche und Logische zu tun in ihrer Situation – sie zum
Judentum zu bekehren. Zuerst wechselte ich dem Neger die
Hautfarbe, dann brachte ich einen Rabbi, aber als dieser gerade
den Feldherrn in seinem Schloss in Zypern beschneiden wollte,
entdeckte ich, dass dies nicht mehr möglich war, nachdem ich dem
Neger die Geschlechtsteile abgeschnitten hatte. So fügte ich
sofort im dritten Akt eine zusätzliche Szene im Operationssaal
hinzu, zehn Ärzte transplantierten dem weißen Neger einen neuen
Penis, dann kam der Rabbi und beschnitt ihn, und sofort kamen noch
zwei türkische Soldaten, die ihm den beschnittenen Penis wieder
abschnitten. Wir haben da zwar ein bisschen übertrieben in diesem
Akt mit Genitalien, aber dafür hatten wir jetzt auf der Bühne
einen weißen Juden, koscher, vom Rabbi bestätigt, und ohne
Gemeinheiten im Sinn.
Der vierte Akt
begann mit Schwung. Unserm Juden gab ich einen schönen Bart, eine
Kippa, und so, als schöner Jude mit sanfter Stimme, wie konnte ich
ihn Kommandant in Zypern lassen? Was schert sich ein Jude um die
Türkenkriege? Sogleich machte ich ihn zum Hasan (Vorbeter) und gab
ihm einen neuen Namen – Ottl. Reb Ottl der Vorbeter. Und was soll
schon ein bekannter Vorbeter in Zypern? Da gibt’s ja gar keine
jüdische Gemeinde! Ich wollte auch die türkische Garde loswerden.
Blitzschnell, nach dem vierten Akt, brachte ich ihn nach Eretz
Israel, ihn und seine gute Frau, die mal Desdemona hieß, und heute
– Frau Dina bat Mina, lang soll sie leben.
Im fünften Akt,
liebes Tagebuch, befindet sich unser Paar auf einem Hügel in einer
Siedlung im Westjordanland. Und wer kommt plötzlich gen Abend, am
Schluss des Stückes? – Hugo, mal Jago, Hugo Kohn, zuvor linker
Journalist aus Argentinien, der wegen der antisemitischen
Verfolgung ein brennender Zionist geworden ist, ist zur Religion
zurückgekehrt, und gelangt zur neuen Siedlung gegenüber von
Dschenin mit seiner Frau – ehemals Emilia – jetzt Malka. Und so
stehn die vier am Ende des Stückes: Reb Ottl, Dina bat Mina, Hugo
und Malka, die Lenden verbunden mit sterilen Bandagen und aus dem
Mund strömen Psalmen. Die Bühne ist leer von Türken.
Liebes
Tagebuch, das wär’s für heut. Morgen muss ich ran an ein Stück
über einen dänischen Prinzen, mit Vatermord, Rachelust und was
auch immer. Ich denke, auch in diesem Fall lohnt es sich, zuerst
einmal die Eier abzuschneiden und alles zu beruhigen. Der Rest
kommt dann von selbst. Die Gebiete lechzen nach Siedlern! Gute
Nacht, liebes Tagebuch.
Uri
Shani, April 2003