Was hat
Ingeborg Bachmann mit Palästina zu tun?
Zu einem wunderbaren Buch von Viola Raheb
Von Rupert Neudeck 21.06.08
Über
Palästina, so scheint sich die Autorin Viola Raheb gesagt zu
haben, ist eigentlich alles gesagt. Alles ist nur noch
Wiederholung. Wenn der Prozeß des Endes der Besatzung und
des sich Hin-Quälens zu dem eigenen Staat der Palästinenser
noch mal so lange Zeit beansprucht, werden die Autoren immer
kleinere Texte schreiben. Am Ende werden sie mit Gedichten
enden. Das Büchlein der Viola Raheb hat 116 prall gesättigte
Seiten und ist eines der ehrlichsten, das wir uns in
Deutschland wünschen können. Dass ihn eine palästinensische
Österreicherin geschrieben hat, wird uns nicht stören.
Viola Raheb
ertappt uns, ohne dass wir beleidigt werden: Sie liegt im
Wiener Hospital nach einer OP. Es kommt jemand vom
psychologischen Dienst des Spitals, um ein kostenloses
psychologisches Gespräch anzubieten. Erst der Nachbarin,
dann ihr. Er lässt den Gutschein auf dem Nachtkasten, auch
weil sich die Viola Raheb nach der OP noch nicht bewegen
kann. Dann wünscht er alles Gute, zögert beim Herausgehen,
blickt erneut auf das Nachtschränkchen mit den Büchern und
fragt: „Lesen Sie Ingeborg Bachmann?“ Sie sagt Ja, und was
daran denn außergewöhnlich sei? Nein, überhaupt nicht, sagt
der Besucher, „es scheint mit Ihnen alles in Ordnung zu
sein“
Die Autorin
ist nicht nur Palästinenserin, sie kämpft diesen mühseligen
Kampf, der kein Ende kennt. „Wieviele Städtenamen müssen wir
uns als Palästinenser noch merken?“ stöhnt sie: Madrid,
Oslo, Washington, Camp David, Taba, Aqaba, Paris, Mekka.
Unzählige Konferenzen, die immer die „historische Chance“
ergreifen wollten. So viele Chancen, so viel Historisches
und nichts dahinter. Und jetzt noch Anapolis, mit dem
Weltrekord an Zeitraffer. Oslo sah 5 Jahre Interimperiode
vor, Anapolis bis Ende 2008.
Müde wird
sie, wenn sie manche Fragen hört: „Wie sieht es mit dem
Engagement von Frauen für den Frieden in ihrem Land aus?“
Eine Frage, die ihr bei jedem Vortrag gestellt wird. Es gibt
schon viele Frauen, die bis zur Erschöpfung dafür arbeiten
und die wir hier erleben: Sumaya Farhat-Naser, Faten
Mukarker, Viola Raheb. Dass Frieden schaffende Frauen ihr
persönliches Leben auf ein Minimum reduzieren, stört die
Fragesteller wenig. Heute würde ihr Engagement noch größer
sein, wenn sie sich „eine gewisse menschliche Müdigkeit“
zugestehen würde.
Sie macht
klar, dass Ihr Land jeden Abend durch irgendeine Rakete,
durch irgend eine Meldung bestimmt ist, die nichts Gutes
verheißt: „breaking news“. Palästina sei „nur Schmerz,
Trauer, Hoffnungslosigkeit und Tod“. Wenn sie bei einem
Vortrag etwas anderes präsentiert, sind die Landsleute
entsetzt. Ihr Mann komponierte ein Lied: „Ich wünsche uns
einen Tag/ohne Heldentaten/ohne Märtyrer/ ohne Verletzte/
einen ganz langweiligen banalen Tag“.
Nur so
etwas eignet sich nicht für einen Spendenaufruf.
Sie zeigt
in dem Büchlein auch die unendliche Strecke an Schikanen,
die die Welt, auch die europäische für jemanden bereithält,
der das Glück und Unglück hat, als Palästinenser geboren zu
sein.
Als die und
ihr libanesischer Mann Marwan 2002 beim Standesamt Wien die
Dokumente für die standesamtliche Eheschließung einreichen,
ist das wieder ein Staatsakt. Auf ihrer Geburtsurkunde (geb.
in Bethlehem) steht: „haschemitisches Königreich Jordanien“,
ihr Reisedokument ist palästinensisch, ihre
Staatsbürgerschaft gibt sie als „palästinensisch“ an. Der
Beamte ist korrekt: „Eine palästinensische
Staatsbürgerschaft gibt es nicht, wird auch von unserem
Computer nicht angenommen, also entweder sind sie
Jordanierin oder Israelin!“ Das ist dann wie die
Flüchtlingsgespräche von Bert Brecht, nur nicht lustig,
sondern ernst.
Also, sie
gehen nach Hause. Es wird ein Mann mit einem so langen Titel
angerufen, dass man sich ihn nicht merken kann, der
instruiert den Beamten. Danach muss Viola Raheb nur eine
eidesstattliche Erklärung abgeben: Sie sei nach der
Geburtsurkunde Jordanierin, für die Jordanier sei sie
Palästinenserin und deshalb habe sie einen palästinensischen
Pass, der aber von Österreich nicht anerkannt werde, weil es
keinen Staat Palästina gibt. Alles klar? Sie unterschreibt.
Nur der Computer ist noch unzufrieden. Was nämlich soll er
unter „Staatsbürgerschaft“ speichern? Es gibt ein
Wunderwort: „Unbekannt“, das löst das Problem: „Mit einem
Eintrag ’unbekannt’ dürfen wir endlich unsere Unterlagen
einreichen und einen Termin für die Trauung festsetzen“.
Das
Büchlein strotzt von solchen haarsträubenden Erkenntnissen.
Alle zeugen davon, wie schwer das Leben eines
Palästinenserin auf dieser Welt ist, auch im ordentlichen
Europa. Dorthin ist sie gezogen, weil sie mit ihrem Mann aus
Beirut nicht nach Palästina und in ihre Geburtstadt
Bethlehem hineingelassen wird.
Die
muslimischen und die christlichen Palästinenser verfügen
über das Potential an Versöhnung und Miteinander, das die
Welt noch einmal brauchen wird. Als der Papst in Bethlehem
im März 2000 war, war Viola Raheb Pressesprecherin auf der
Palästinenser Seite. Die Messe an diesem Platz war so
plaziert, dass sie vor dem Mittagsgebete für die Muslime an
der Umar Moschee am Krippenplatz enden sollte. Nun aber war
der polnische Papst wie üblich nicht pünktlich. Die
islamischen Gebetszeiten sind unänderbar. Als der Papst
seine Predigt begann, brach bei Viola der Schweiß aus: „Der
Muezzin würde in Kürze zum Gebet rufen müssen, mitten in der
Predigt. Was für eine Katastrophe!“
Doch der
Ruf verzögerte sich. Dann hörte sie das Amen von Papst
Johannes Paul II., und im gleichen Moment ertönte der Ruf
des Muezzin. Patriarch Michael Sabah, der die Messe weiter
zelebrierte, sagte:
„Der Papst
endete seine Predigt mit den Worten: Der Frieden sei mit
euch. Ein Ruf, den unsere muslimischen Geschwister in ihrem
Aufruf zum Gebet erwidert haben“.
Hoc
meminisse iuvabit, sagten die Römer dazu. Es lohnt sich,
sich an solche Geschehnisse zurückzuerinnern.
Viola
Raheb: Nächstes Jahr in Bethlehem. Notizen aus der Diaspora.
AphorismA verlag Berlin 2008 113 Seiten
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