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Die
professionelle Leidensgeschichte eines Historikers in Israel
Und:
warum er nicht mehr in Israel arbeiten kann.
Rupert Neudeck - 10.7.11
Die
US-Wissenschaftlerin Jennifer Hyman schreibt aus den USA an
Ilan Pappe: „So, hier haben wir sie, die neueste israelische
Hexenjagd mit ihrem allerabscheulichsten Zynismus – und dann
der Welt, Demokratie predigen…Ich habe Ihre e-mail-Adresse
af der Website der Universität Haifa gefunden. Als eine in
Südafrika geborene jetzt in den USA lebende Jüdin, die die
Apartheid bekämpft hat – besonderes ihr Eindringen in den
akademischen Bereich -, weiß ich, wie Einschüchterung und
Unterdrückung von Intellektuellen Hand in Hand gehen mit
umfassender staatlicher Repression. Ihr Fall ist so wichtig,
weil er ein Anschlag ist auf die akademische Freiheit, eine
Problematik, mit der sich viele Akademiker weltweit
identifizieren können“.
Ilan Pappe
sollte also 2007 nicht fortfahren, in Israel die
Vergangenheit der Vertreibung von 750.0000 Palästinensern
und die parallel sich ergebende Flucht von weiteren 100.000
aus ihren Dörfern, Häusern, Feldern, Heimatorten
herauszuarbeiten. Denn das schade der gegenwärtigen Politik
Israels und setzt Israel ins Unrecht.
Der Titel des
neuen Buches wirkt wie eine akademische Fingerübung, eher
langweilig. Zumal wenn man von Ilan Pappe noch den Titel des
ersten Buches erinnert, das 2006 in Deutschland herauskam:
„Die ethnische Säuberung Palästinas“.
Aber nach der
Lektüre muss ich sagen:
Das neue Buch
ist fast noch stärker als das erste, denn hier gibt Ilan
Pappe Auskunft über sein Leben und die Arbeitsbedingungen
eines Wissenschaftlers an der Universität Haifa und wie er
letztlich 2007 aus seinem Land herausgeekelt wird und nach
Großbritannien (Universität Exeter) gehen muss, um dort
weiter zu forschen.
Das Buch kommt
daher wie eine wissenschaftliche Studie. Begibt man sich ans
Lesen, erfährt man Dinge, die man nicht für möglich gehalten
hätte
Pappe kann nicht
für sich beanspruchen, dass er das alles schon ganz lange
gewusst hätte. Aber irgendwann fiel der Groschen, dann
allerdings mit Getöse.
Das
Faszinierende kommt im Epilog – und da fühle ich, wie mir
warm ums Herz wird: Pappe sagt, dass er von seiner
Erziehung und Herkunft her Jüdischsein und Moral
gleichsetze. Das tue er immer noch. Nicht im Sinne einer
Überlegenheit gegenüber anderen Positionen, sondern als „ein
angenehmes Erbe“, auf das er sich verlassen kann, wenn er
moralische Urteile fälle. Wer erinnert sich nicht an
‚unseren’ Prof. Rolf Verleger, wenn er solche Sätze liest?!
Das zionistische Projekt habe diese Art von Judentum und
diese Art von Moral missbraucht.
Juden hätten
diese Haltung, in der Jüdischsein und Moral eins sind, ja
auch in der Zeitgeschichte immer wieder beweisen: Im Namen
dieser Tradition hätten Juden eine aktive Rolle gegen die
Apartheid gespielt. Auch gegen den Rassismus in den USA,
Diktaturen in Südamerika usw. Der Zionismus begann als eine
- wie er schön sagt – „noble Antwort auf ein akutes und
reales Problem der jüdischen Existenz in Europa“. Aber diese
noble Impuls war verschwunden, als Palästina als das
zionistische Ziel gewählt wurde: „Es ging nicht mehr darum,
Menschen zu retten, sondern um Kolonisierung und
Enteignung“.
Aber bis heute
sei es in Israel nicht erlaubt, „eine akademische Diskussion
über den Zionismus als Kolonialismus zu führen“. Theodor
Herzl war in seiner Zeit ein Kolonialist. Zu seiner Zeit war
der Kolonialismus ein respektierter Begriff. Herzl habe oft
von der „Kolonisierung Palästinas“ als dem Masterplan des
Zionismus gesprochen.
Pappe gibt ein
erschreckendes Bild von den Medien in Israel. Die
militärische Sprache der Aufwiegelung sei in Radiosendungen
sehr im Schwange. Der populäre Moderator von solchen Call-in
Sendungen hieß Jojo Abudbul, den Pappe mit einem
Eingangssatz zu seinen Sendungen zitiert: „Wenn ich über die
Kriegsschiffe bestimmen könnte, würde ich Ramallah und
Bethlehem bombardieren und so viele Menschen wie möglich
sterben lassen.“
Armee Experten
hätten eine Rhetorik für Interviewer im Radio
zusammengebastelt, die „jeden Journalisten zum
Vernehmungsbeamten im Dienst der jüdisch-israelischen
Gemeinschaft“ machte.
Ethik des
Journalismus? Bewahre. Als Aryeh Golan bei einer
Morgensendung mit Ziya Abu Ein von der Palästinensischen
Autonomiebehörde sprach, beendete er das Gespräch: „Ihr
wollt Krieg, Ihr werdet Krieg bekommen. Israel ist ein
mächtiger Staat, wusstet ihr das?“. Abu Ein antwortete: “
Wir wollen Frieden!“ Palästinenser werden im den
israelischen Medien nach einem Medienanalytiker der
Universität Tel Aviv oft als „blutrünstig“ apostrophiert.
Im März 2002
habe man Reporter des Auslands zu einer Aktion im Rahmen von
„Operation Schutzschild“ eingeladen. In Tulkarem ging die
Armee in Begleitung von ausländischen Journalisten durch die
Stadt, man wollte dem Ausland das humane Gesicht der IDF
zeigen. Aber die Nahaufnahmen zeigten, wie Soldaten ihren
Weg von Haus zu Haus bahnen, die Männer erniedrigten und so
gut wie alles zerstörten. Eine solche PR- Aktion hat es
danach nie wieder gegeben.
Pappe widmet der
Katz-Affaire ein ganzes Kapitel. Das ist spannender als
alles was wir von den Plagiataffairen in und außerhalb des
deutschen Bundestages wissen, weil hier eine Fälschung sein
musste. Teddy Katz, Mitglied des Kibbutz Magal, südlich von
Haifa, wollte seine akademische Arbeit über die Vertreibung
der Palästinenser aus dem Dorf Zeyta schreiben, das Dorf,
auf dessen nicht mehr erkennbaren Trümmern der Kibbuz
aufgebaut wurde, in dem er aufwuchs. Er machte an die 90
Interviews, also Oral History pur, und behandelt auch das
Dorf Tantura, in dem Ende Mai 1948 durch jüdische Truppen
eine Zahl von (wahrscheinlich) 225 Palästinenser erschossen
wurde. Das wurde als unwissenschaftlich abgelehnt und scharf
kritisiert.
Das rührt nun an
die Heiligtümer und Arkana Geheimnisse der jüdischen Armee,
Die Kriegsveteranen der Alexandroni Brigade waren die
Ausführenden gewesen bei diesem Massenmord. Bisher waren
diese Kriegsveteranen immer nur gebeten worden, Geschichten
von ihren Heldentaten zu erzählen.
Pappe steht in
der Tradition von jüdischen Intellektuellen, die wir
Deutschen ja kennen – oder schätzen gelernt haben. Von
Martin Buber bis David Grossman und Uri Avnery. Er
beschreibt die zynische Aktion von Ministerpräsident Scharon
im Gaza Streifen. Nachdem Scharon mit viel Getöse 8.000
jüdische Wehrdorfbesatzer aus Gaza mit Gewalt herausholte,
gab es im Sommer 2006 die „Operation Sommerregen“. „Die
Armee stellte das Töten von Bürgern als Resultat schwerer
Kämpfe in dicht besiedelten Gebieten dar und nicht als Folge
israelischer Politik“.
Pappe wird nicht
müde darzustellen, dass es immer Menschen-verachtender
zugeht in Armee, Polizei und Politik Israels – wie in diesen
Tagen (9ff. Juli 2011) die Angst vor der Ankunft von 500
Besuchern beweist, die nur eines offen sagen wollen, was zum
Herauswurf aus Israel führt. Ich will in die besetzten
Gebiete und Palästinenser auf der Westbank besuchen.
Wie bei den
Operationen der ethnischen Säuberungen wurde „die Politik
des Völkermords gegen Gaza nicht in einem Vakuum formuliert.
Seit 1948 hätten die israelische Armee und die Regierung
immer wieder einen Vorwand gebraucht, um diese Politik zu
praktizieren“.
Das Buch
beschreibt die professionelle Leidensgeschichte eines
Historikers, der in der einzigen Demokratie des Nahen Ostens
als Historiker forschen will, das aber nicht tun kann. Er
wird gehindert.
Pappe zog aus
Haifa weg, wo er geboren ist, nach Kiryat Tivon, einem Ort,
den die Palästinenser Marj ibn Amr nennen. Er begann dort
eine Heimuniversität aufzubauen in seinem Haus. Er stellt
den Menschen, seinen Mitbürgern nur Dokumente vor, die sie
in der Regel nie kennengelernt haben. Ein Dokument
beschreibt das Treffen eines Militärkommandeurs in Haifa am
1. Juli 1948 mit den Führern der in Haifa gebliebenen
Palästinenser.65.000 arabische Bürger waren schon aus Haifa
vertrieben und 10.000 zusätzlich geflohen.
Die Notablen
sollten den Transfer der Araber in der Stadt Haifa aus ihren
angestammten Wohngebieten und ihren Häusern und Villen in
das Wohnviertel Wadi Nisnas, den ärmsten Teil der Stadt
erleichtern. Ihnen allen wurde gesagt, sie müssten bis zum
5. Juli umgezogen sein. Die Führer waren schockiert: Twafiq
Tubi, der später für die kommunistische Partei in der
Knesseth saß, sagte: „Wir verlangen, dass die Menschen in
ihren Häusern bleiben“. Ein anderer Teilnehmer rief: „Das
ist Rassismus.“
Als Ilan Pappe
diese Geschichte 70 Nachbarn in seiner Heimuniversität in
Kiryat Tivon vorträgt, waren die 70 Menschen schockiert, sie
hatten gemeint, sie wüssten schon alles über die eigene
Geschichte. Der Kommandant meinte: „Ich sehe, dass Sie hier
sitzen und mir Ratschläge erteilen. Ich befolge aber
lediglich Befehle. Ich muss sicherstellen, dass dieser
Befehl bis zum 5. Juli 1948 vollzogen ist“. Shebala Shalah
fragte den Kommandanten, weil er das immer noch nicht
glauben konnte: „Wenn einer Person ein Haus gehört, muss sie
es verlassen?“ Antwort: „Jeder muss gehen“.
Der Staat Israel
ist eben nur eine sog. Demokratie. Israel will sich schützen
auch gegen die Öffnung der Vergangenheit. Das Narrativ
Israels, das uns vorgetragen wird, ist immer eines, das nur
die Palästinenser beschädigt, die das Opfer wurden. Wenn die
UN-Generalversammlung in New York den neuen Staat Palästina
mit einer Verspätung von über 60 Jahren ausruft, dann kann
Ilan Pappe zurückkehren in sein Land.
Ilan Pappe:
Wissenschaft als Herrschaftsdienst. Der Kampf um die
akademische Freiheit in Israel. LaikaTheorie Verlag Hamburg
2011 189 Seiten
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