Die
2. Leseprobe aus Arn Strohmeyers neuem Buch
Antisemitismus – Philosemitismus und der
Palästina-Konflikt.
Hitlers langer verhängnisvoller Schatten
Umschlagentwurf Erhard Arendt
Gabriele Schäfer Verlag Herne - 17.80 Euro,
Der Zionismus braucht den Antisemitismus
- er ist ohne ihn nicht denkbar
Arn Strohmeyer
Judenhass
und Antisemitismus haben im Lauf der Geschichte
Furchtbares angerichtet. Deshalb muss man eigentlich
meinen, der Zionismus könne keinen größeren Feind haben
als den Antisemitismus. Dem ist aber nicht so, das
Verhältnis zwischen den beiden –Ismen ist sehr viel
komplizierter, denn es gibt auch eine größere Nähe
zwischen ihnen, weil der Zionismus rein
interessenorientiert ist. Wenn er den Antisemitismus für
seinen Vorteil einspannen kann, tut er es auch. Schon
der Begründer des Zionismus, Theodor Herzl, schrieb,
„dass die Antisemiten unsere Verbündeten und Freunde“
sein werden. Der Antisemitismus ist also ein prägendes
Element des Zionismus. So stellt zum Beispiel der
Historiker, Yakov Rabkin, einer der besten Kenner des
Judentums fest: „Die meisten Juden, die sich für ein
Leben in Israel entschieden haben, taten dies aus einem
wahren und imaginären Antisemitismus heraus.“
Wie eng
Antisemitismus und Zionismus zusammenhängen, sieht man
daran, wie sehr sich der Zionismus auf der Suche nach
einem neuen Judenbild selbst antisemitischer Vorurteile
bediente, was in der Verachtung und scharfen Ablehnung
der Diaspora zum Ausdruck kommt. Theodor Herzls Texte
über die Diaspora-Juden lesen sich zum Teil wie
antisemitische Pamphlete: Diese Juden – zusammengefasst
und charakterisiert in der Figur des „Mauschel – werden
als feige, devot und unterwürfig bis zur Kriecherei und
opportunistisch dargestellt.“ Der „neue“ Jude sollte
genau das Gegenteil repräsentieren: Er sollte
selbstbewusst, tatkräftig und stark in jeder Beziehung
sein – das Idealbild des Pioniers, der als Bauer,
Techniker oder Soldat den jungen Staat Israel aufbaut.
Die Verfolgungen, die Leiden und damit auch der
Antisemitismus werden für die Juden ein
identitätsbildendes Element: „Aus dem Antisemitismus
wird eine Leidenserwähltheit abgeleitet. Sie kommt darin
zum Ausdruck, dass Auschwitz aus allen anderen
Völkervernichtungen hervorgehoben wird.“
Der
Antisemitismus ist zu einem so wichtigen Teil des
Zionismus geworden, dass der israelische Schriftsteller
Abraham B. Yehoshua feststellte: „In einem gewissen
Sinne ist der Antisemitismus zum wichtigsten und
natürlichsten Bestandteil der Definition der jüdischen
Identität geworden.“ Dies gehe so weit, dass „vielen
Juden das Nichtvorhandensein von Antisemitismus
verdächtig und unnatürlich erscheint.“ Man muss hier
daran erinnern, dass der Zionismus von Anfang an eine
ethnozentrische Nationalbewegung war, die sich scharf
von den übrigen Kollektiven abgrenzte. Die Assimilation
der Juden in der Diaspora wurde als ein großes Unglück
angesehen, als eine Bedrohung der Existenz, die mit
allen Mitteln verhindert werden musste. Die Spannung
zur Außenwelt war also immer da. Der Antisemitismus war
der Motor bei der Entstehung des Staates Israel gewesen
und er braucht ihn weiter zur eigenen Abgrenzung,
solange die Diaspora noch besteht.
Der
Zionismus ist also ohne den Antisemitismus nicht
denkbar, er muss an seiner Fortexistenz festhalten, um
die eigene Existenz und den eigenen politischen Weg zu
rechtfertigen. Der Antisemitismus ist sozusagen das
konstituierende Element des Zionismus. Beide ergänzen
sich also komplementär: „Der Judenhass [Antisemitismus]
fördert den Nationalismus [Zionismus].“ Der
amerikanisch-jüdische Publizist Max Blumenthal geht noch
weiter, wenn er feststellt, der Albtraum, eine der
größten Ängste [der Zionisten] sei die Vorstellung, dass
es keinen Antisemitismus mehr gäbe. Denn ohne
Antisemitismus in den westlichen Staaten fiele auch die
Rechtfertigung für das zionistische Projekt weg.
Es gibt
drei äußere Bedrohungen, die Israel zu seiner
existentiellen Selbstvergewisserung unbedingt braucht
(unabhängig davon, ob diese Bedrohungen real oder fiktiv
sind): die Sicherheitslage im Kontext mit den Arabern,
das Gedenken an den Holocaust und die Rezeption des
Antisemitismus. Alle drei Bedrohungen werden vom
israelischen Staat offiziell gefördert, ideologisiert
und instrumentalisiert.
Israel
braucht also den Antisemitismus zu seiner
Selbstbestätigung, zur Versicherung seiner eigenen
Existenz. Abraham Burg hat sehr ehrlich beschrieben, wie
seine israelischen Landsleute mit dem Antisemitismus
umgehen. Viele Israelis forderten geradezu ein „Monopol
auf Hass“ ein, was bedeute, dass der Hass auf Juden in
irgendeiner Weise anders sei als der Hass auf andere
Menschen in der Welt. „Das ist ein Gräuel für mich“,
gesteht Burg, „Manche Juden empfänden, immer wenn der
Antisemitismus auf dem Vormarsch sei, in den
zionistischen Hinterzimmern ein gewisses Gefühl der
Erleichterung oder sogar der Freude über den möglichen
Anstieg von jüdischen Neueinwanderungen. Schon der
geringste Antisemitismus im Westen genüge den
Katastrophen-Zionisten als Beweis für die Richtigkeit
des zionistischen Weges. Jede Kritik – ob berechtigt
oder nicht – kehrten die israelischen Politiker unter
den antisemitischen Teppich und würden sich so davor
drücken, schwierige existentielle Entscheidungen zu
treffen – etwa über das Ende der Besatzung. Solange man
den „Antisemiten“ die Schuld für alles zuschieben könne,
fühlten sich die israelischen Politiker rein und im
Recht.
Hier ein
Beispiel dafür, wie schnell der Antisemitismus-Vorwurf
als politische Waffe eingesetzt wird: Im Jahr 2002 ging
die israelische Armee äußerst grausam gegen das
Flüchtlingslager Jenin im Westjordanland vor. Erst wurde
das Lager, aus dem seine Menschen nicht fliehen konnten,
mit Artillerie beschossen. Dann rückten Bagger gegen die
Häuser vor, die die Bewohner nicht verlassen durften,
und machten sie platt. Es soll Hunderte von Toten
gegeben haben. Die Israelin Tanya Reinhart hat
ausführlich über dieses Massaker berichtet. Die
israelische Regierung ließ eine Untersuchung dieses
Verbrechens durch die UNO nicht zu, sie verweigerte den
UNO-Beauftragten die Einreise. Als aus Europa Kritik an
dem israelischen Vorgehen laut wurde, verbat sich der
damalige Außenminister Schimon Peres dies und
bezeichnete die Kritik als „Antisemitismus“: „Ich
bedaure diese europäische Reaktion. Während früher
Antisemitismus gegen individuelle jüdische Personen
gerichtet war, habe ich den Eindruck, dass der
Antisemitismus nun gegen den jüdischen Staat gerichtet
ist. Wir Juden können die Vergangenheit von Europa nicht
vergessen und wir müssen erwarten können, dass Europa
sich erinnert, dass wir nicht vergessen.“
Für
manche Zionisten ist Israel ein Warschauer Ghetto im
Kampf gegen eine feindliche Welt. Der Satz „die ganze
Welt ist gegen uns!“ ist also keine bedauernde Klage,
sondern – zionistisch gesehen – eine positiv
bestätigende Aussage. Auf diese Weise kann man sich in
der Wagenburg hinter der Mauer verschanzen und braucht
auch nicht mehr über den Frieden nachzudenken: Israels
bedrohte Situation, heißt es dann, resultiere aus der
antisemitischen, anti-israelischen Haltung der Araber
und der Nicht-Juden, unabhängig von der Handlungsweise
Israels. Mehr noch: Vor diesem Hintergrund kann Israel
nichts Verkehrteres tun als entgegenkommend und
kompromissbereit zu sein, denn gerade das werde vom
Feind als Schwäche und als Aufforderung zum nächsten
Schlag gegen Israel und seine Bewohner gewertet. Der
israelische Historiker Moshe Zimmermann folgert aus
dieser zionistischen Befindlichkeit: „Falls überhaupt
Kritik aus (...) Amerika und Europa aufkommt, kann man
sie ohne weiteres als impotent oder schlicht
antisemitisch abtun und darin einen weiteren Beweis für
den antiisraelischen und antisemitischen Charakter der
Welt gewinnen.“
Uri
Avnery beschreibt diese Situation mit Galgenhumor. In
einer Kolumne, die die Überschrift „Halleluja, die Welt
ist gegen uns!“ trägt, erinnert er an die früheren
Zeiten der Verfolgung und Leiden, die aber lange vorbei
seien und deshalb hätten die Juden die Sensibilität für
die Gefahren verloren. Wenn die Nicht-Juden die Juden
sogar lobten und sich gar mit ihnen verbündeten [wie
etwa das Tätervolk der Deutschen], dann sei das höchst
verdächtig. Das sei unheimlich und sehr beängstigend. Er
schließt seine Kolumne mit der sarkastischen
Feststellung: „Seitdem arbeiten wir fieberhaft, um die
Situation zurückzuholen. Ohne dass es uns bewusst wird,
tun wir alles, um wieder verhasst zu werden, um uns auf
dem bekannten Grund und Boden zu Hause zu fühlen. Wenn
es eine Verschwörung gibt, dann ist es eine Verschwörung
von uns selbst gegen uns selbst. Wir werden nicht ruhen,
bis die Welt wieder antisemitisch ist. Dann wissen wir,
wie wir uns verhalten müssen. So wie das fröhliche Lied
geht: ‚Die ganze Welt ist gegen uns, aber zum Teufel
...‘“
So bewegt
sich das zionistische Israel in einem merkwürdigen
Kreis: Es entfacht durch seine Politik der
nationalistischen Blindheit und des Größenwahns der
militärischen Macht Antisemitismus (besser vielleicht:
Antiisraelismus) in der Welt, den es
instrumentalisierend offiziell lauthals beklagt, den es
zur Bestätigung seiner Existenz aber unbedingt braucht
und über den es wegen der Möglichkeit neuer jüdischer
Einwanderung klammheimliche Genugtuung empfindet. Man
denke an die Aufforderung des israelischen
Ministerpräsidenten Netanjahu nach den Anschlägen Anfang
des Jahres 2015 in Paris und Kopenhagen, die
französischen Juden sollten umgehend nach Israel kommen
– sehr zum Ärger der französischen Regierung. Fritz
Stern hält Netanjahu deswegen für einen „Architekten der
Angst“. Er schaffe die Welt, vor der er sich selbst
fürchte und in der Israel immer stärker isoliert werde.
Das sei eine Angst erregende Entwicklung.
Die
Instrumentalisierung des Antisemitismus, die Israel
braucht, hat inzwischen solche Ausmaße angenommen, dass
der israelische Literaturwissenschaftler Ran Ha Cohen
schreiben kann: „Auf Antisemitismus gerichtete jüdische
Aufmerksamkeit hat die Form antisemitischer
Verschwörungstheorien angenommen wie die der ‚Protokolle
der Weisen von Zion‘: Während der klassische Antisemit
jedes Unglück mit der jüdischen Verschwörung in
Verbindung bringt, bringen Juden jede Kritik an Israel
mit der antisemitischen Verschwörung in Verbindung. Wie
wir sehen, ist das nicht die einzige Ähnlichkeit
zwischen Anti-Palästinensertum und Antisemitismus.“
Das
partikularistische Paradigma „Die ganze Welt ist gegen
uns!“ wird als Überlebensmaxime für Israel nicht
ausreichen. Es wird ein positives, auf Humanität
gerichtetes Modell für seine nationale Identität finden
müssen, das diese nicht vom Antisemitismus abhängig
macht. Sonst wird sich das realisieren, was sich heute
schon andeutet und das Abraham Burg so beschreibt: „Soll
doch Hitler entscheiden, wer Jude ist. Und wenn Hitler
weg ist, irgendein anderer Möchtegern-Hitler.“ Der
jüdische Kampf gegen den Antisemitismus ist völlig
unglaubwürdig, solange er nicht zugleich auf Distanz zur
israelischen Politik in der Palästinenser-Frage geht.
Indem man sich selbst zum Opfer erklärt, entlässt man
sich selbst in die völlige Verantwortungslosigkeit. Denn
die Schuld grundsätzlich nur bei anderen zu suchen und
nie über die eigenen Verantwortung nachzudenken, ist –
psychologisch gesehen – ein infantiles Verhalten.
Hier
liegt auch einer der Gründe für Israels schlechtes Image
in der Welt: Dieser Staat nimmt für sich in Anspruch,
das internationale Recht überhaupt nicht beachten zu
müssen. Damit ist Israel auf dem besten Weg, das
Gegenteil von dem zu erreichen, was den Zionisten
ursprünglich als Ziel vorschwebte: das Problem des
Antisemitismus zu lösen anstatt es nun mit einer Politik
der Gewalt und Unterdrückung permanent wieder
anzufachen, eine sichere Zuflucht für alle Juden der
Welt zu sein und ein Volk mit einem Staat wie jedes
andere zu werden. Dass das zionistische Israel das nicht
realisieren kann, liegt nicht zuletzt daran, dass es –
zwar teilweise modern und säkular – dem
jüdisch-ethnozentrischen Isolationismus anhängt, der
einen humanistisch orientierten Universalismus aber
ausschließt.
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Buch - Leseprobe
3 - Antisemitismus – Philosemitismus und der Palästina-Konflikt
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Buch - Leseprobe 2 - Antisemitismus – Philosemitismus und der Palästina-Konflikt
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Buch - Leseprobe 1 - Antisemitismus – Philosemitismus und der Palästina-Konflikt
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Buch - Antisemitismus – Philosemitismus
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