Keine Armee kann einen Volksaufstand schlagen
IWPS Bericht
Nr.
28, 25 Februar 2003
Samstagabend, vierter Tag der Besatzung
von Nablus, und keine Lebenszeichen sind in den Strassen erkennbar,
aber dann ganz plötzlich bricht eine singende Stimme: „Allah Akbar“,
Gott ist Allmächtig, durch die Stille. Innerhalb von Minuten
antwortet die ganze Stadt. In der Altstadt stehen Leute auf den
Dächern und in den Strassen sind Kinder, Frauen, Männer und ältere
Menschen die in Widerstand zur israelischen Besetzung stundenlang
wiederholt „Allah Akbar“ schreien. Es erklingt ein gemeinsamer
Refrain. Eine christliche Famille erzaehlte uns, dass sie bis zum
Verlieren der Stimme geschrieen hatten: Wir haben es wähend der
ganzen ersten Intifada geschrieen. Dieses Slogan dreht sich nicht um
Religion, sondern um den Widerstand gegen die Besatzung.
Als am nächsten Morgen die Sonne
aufgeht scheint es fast, als ob rein diese Stimme des
palästinensischen Widerstands die Armee aus der Stadt getrieben. Die
Geschäfte sind wieder offen, die Strassen sind wieder voller
Menschen. Nur die Zeichen der Zerstörung – die zerbombten Häuser und
Türen die schon wieder aufgebaut werden – erinnert den Besucher an
die israelische Militäraktion. Dennoch, die Müdigkeit ist in den
Augen der Menschen zu erkennen. Sie werden besetzt und haben für
ihren Widerstand einen hohen Preis zu zahlen.
Über 50 Personen wurden verletzt und 8
getötet. Die meisten von ihnen hatten mit dem aktiven Widerstand
nichts zu tun. In der ersten Nacht der Besatzung ging Abu Zahra mit
seinen Enkel in den Strassen seiner Stadt spazieren, wurde
angehalten und durchsucht Nachdem er schon durchgelassen war, traf
eine Patrone seinen Enkel in den Hinterkopf. Ein anderer
Palästinenser wurde getötet, als er versuchte, mit seiner Frau die
Strasse zu überqueren. Sein Frau liegt jetzt mit Verletzungen im
Krankenhaus. Wieder ein anderer wurde von Soldaten erschossen, als
er die Tür seines Geschäftes zu schließen versuchte.
Was auf diese Art aus „Versehen“
geschieht, hat für die westlichen Medien kaum einen Nachrichtenwert.
Aber das gehört zur Taktik, das Volk zu terrorisieren, während die
israelische Armee Mitglieder des bewaffneten palästinensischen
Widerstands sucht. Mit Flugblättern wird natürlich auch mit
drakonischen Strafen für jegliche Unterstützung der
Widerstandesgruppen gedroht.
Um die gesuchten Widerstandskämpfer zu
finden, hat das Militär auch in Nablus Massenverhaftungen
vorgenommen. Das geschah meist durch Besetzung von Häuser, um die
darin gefundenen Männer abzuführen. Sie wurden zu einer Schule am
Rande der Altstadt gebracht, vor der sie stundenlang im strömenden
Regen warten mussten, bevor einige von ihnen ins Huwara-Haftlager
gebracht wurden.
Einer der Jugendlichen, mit dem eine
Mitarbeiterin von ISM/IWPS geredet hat, Rami Af’uri (23 Jahre alt),
wurde in einer dieser Razzien verhaftet. Mit verbundenen Augen und
gefesselten Händen habe er 9 Stunden im Regen warten müssen, während
er von Soldaten mit Gewehrkolben verprügelt worden sei. Anschließend
versuchte der israelische Geheimdienst, ihn und 10 andere
Jugendliche, die in der Nacht verhaftet worden waren, zum
Kollaborieren zu überreden. Als sich Rami weigerte, sein Volk für
das ihm angebotene Geld zu verraten, bekam er das schriftliche
Verbot, die Altstadt, in der er wohnte und arbeitete, wieder zu
betreten. Mitten in der Nacht wurde er aus dem Haftlager entlassen.
Streunende Hunde verfolgten ihn auf dem Weg nach Nablus.
Wiederholt hat ISM/IWPS beobachtet, wie
Männer, manchmal auch Frauen und Kinder von Soldaten gezwungen
wurden, mit diesen als menschliche Schutzschilder für
Hausdurchsuchungen mitzugehen, obschon das gegen internationales
Recht ist und auch in Israel vor kurzem vom Obersten Gerichtshof für
gesetzwidrig erklärt worden ist. Es schien, als ob die Soldaten
absichtlich diese Prozedur vermieden. Stattdessen wurden die Männer
in so einer Weise vor ihnen in einer Reihe platziert, dass sie Opfer
jeglichen bewaffneten Widerstandes aus den Häusern oder den Strassen
geworden wären..
Frauen und Kinder waren oft anderen
Schikanen ausgesetzt In vielen Häusern wurden sie stundenlang,
mitunter auch einen ganzen Tag in einem Zimmer festgehalten, ohne
Zugang zu Essen, Wasser und medizinischer Versorgung zu haben. Im
Verstoß gegen das Internationale Recht und der Menschenrechte,
wurden diese Frauen und Kinder zum Teil als menschliche
Schutzschilde benutzt,um die Soldaten gegen mögliche Angriffe zu
schützen und zum Teil als Geiseln, um die verhafteten Männer der
Familien unter Druck zu setzen. Ayya Kelani, ein sieben Tage altes
Baby wurde zusammen mit seiner Mutter, Schwester und zwei Brüdern
von einer Brigade von sieben Soldaten aus dem Haus getrieben, wo sie
eine halbe Stunde im Regen standen. Anschließend wurden sie in einen
Zimmer ohne Essen, Wasser oder jegliche Hilfe für über zehn Stunden
eingeschlossen.
Noch ein anderer Fall von
terrorisierendem Verhalten wurde von ISM/IWPS in einem Haus im Zuge
der Besetzung durch israelische Spezialeinheiten beobachtet. Eine
Mutter mit verletztem Arm wurde zusammen mit ihrem zehnjährigen Sohn
und einem Säugling festgehalten während ihr Mann verhaftet wurde.
Internationale Beobachter und medizinische Mitarbeiter haben sich
für die Freilassung der Familie eingesetzt, aber die Soldaten
antworteten, dass die Frau das Haus nicht verlassen wolle. Als die
Beobachter darauf bestanden, mit ihr sprechen zu wollen, führten die
Soldaten sie zum Fenster, während ihre Kinder in einem anderen
Zimmer festgehalten wurden. Während die Soldaten hinter ihr
standen, bestätigte die offensichtlich eingeschüchterte Frau den
Aktivisten, dass sie das Haus nicht verlassen wolle.
Dennoch begnügten sich die Soldaten
nicht mit dem Terrorisieren der Familien. Wir trafen ein
zehn-jähriges Mädchen, das so traumatisiert war, dass das Erscheinen
westlicher Ausländer, deren Gesichtszügen denen der israelischen
Soldaten ähneln, sie zwang sich zu verstecken und mit ihr nicht
gesprochen werden konnte. Für die israelischen Soldaten bedeutet die
Besetzung eines Hauses offensichtlich soviel wie möglich zu
zerstören. Geschirr wurde zerschmettert, alles von den Kästen heraus
gezogen und auf den Boden geworfen. Soldaten die nicht bereit waren
die Türen zu verwenden, schlugen große Löcher in die Trennwände
zwischen benachbarten Häusern. Im Darwasi-Haus sprengten die
Soldaten nicht nur die ganze Behausung, sondern warfen auch noch die
fünf Monate alten Zwillinge der Familie auf den Boden.
Glücklicherweise wurden sie nicht ernstlich verletzt. Sogar eine der
Moscheen wurde vandalisiert und die Fenster von der Hauptmoschee
wurden von Kugeln zerschmettert. Mehrere Häuser wurden völlig
demoliert.
Die israelischen Einheiten haben ihre
grausamsten Kommandanten eingesetzt, wie zum Beispiel Ariel Za’ev,
der schon seit Monaten die Dörfer Asmut, Deir Hattab und Salem
terrorisiert und jetzt für diesen Angriff nach Nablus versetzt
wurde. Er bewies herausragende Form, terrorisierte die
Bevölkerung und verhaftete medizinisches Personal und einen
dänischen Journalisten.
Dennoch hat die Bevölkerung von Nablus
während dieser ganzen Zeit nie aufgegeben Widerstand zu leisten. .
Das politische Koalitionskomitee hatte eine Freitagdemonstration
organisiert, bei der mehr als 1000 Personen mitmachten und der es
gelang in die Altstadt einzudringen, um ihre Unterstützung und
Solidarität den Bewohnern zu zeigen. Zusammenstöße folgten, aber der
Widerstand ging an jeder Straßenecke der Altstadt weiter. Die
Soldaten waren überall mit Jugendlichen konfrontiert, die ihre
Missachtung und Wut dadurch zeigten, dass sie Soldaten, wenn sie
Häuser betreten wollten, mit Steinen bewarfen. Palästinenser wissen
das Freiheit einen hohen Preis verlangt und nach all dem was sie
durchgemacht haben, haben sie fast all ihrer Angst vor Soldaten,
Waffen und Panzer verloren.
Nablus zeigt, dass die Intifada noch
immer ein Volksaufstand ist und dass ein solidarischer Widerstand
von keiner Armee unterdrückt werden kann. Das offizielle Ziel des
Militäreinsatzes war, die Mitglieder des bewaffneten Widerstands zu
verhaften und ihre Waffen ausfindig zumachen. Während die politische
Elite, wie etwa Abu Mazen, Arafats Nummer zwei, und Armin Makbool,
der neulich ernannte Sekretär der Fatah-Bewegung in der West Bank,
zu einem Ende der bewaffneten Intifada aufrufen, konnte die
Bevölkerung und die Parteien von Nablus ihre Freiheitskämpfer
schützen und einen kreativen, effektiven und gemeinsamen
Volksaufstand organisieren.
Text: Maren, IWPS,
Februar 2003
Übersetzung: Kay Schwendinger
IWPS,
Februar 2003
Übersetzung: Kay Schwendinger
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