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3000
Israel-Freunde unter
sich
Ein
Kommentar zum Bericht
über den Israel-Kongress
in der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung
Zumindest
mit der Überschrift
hatte Hans Riebsamen
vollkommen Recht. Die
Israel-Freunde waren
unter sich und feierten
sich selbst, und das ist
auch gut so, denn echte
Israel-Freunde können
Israel schon lange nicht
mehr feiern.
Peinlich
ist die Beteiligung
deutscher Politiker und
Vertreter von Kirchen
und sogar Sportverbänden
an diesem „ILI – I Like
Israel“-Kongress.
Peinlich und beschämend
war auch, wie sich der
Frankfurter
Stadtkämmerer Uwe Becker
– der wer weiß wie viele
Steuergelder wieder für
diese total überflüssige
Pro-Israel-Veranstaltung
gesponsert hat,
zumindest stand die
Stadt Frankfurt als
Sponsorin hinter der
Allianz – bei den
Teilnehmern anbiederte.
Becker meinte, Israel
habe eine Geisel gegen
viele Verbrecher
eingetauscht. Das mag
der israelische
Standpunkt sein,
insbesondere der
Standpunkt der
rechtsradikalen
Israelis, den sich Herr
Becker zu eigen macht.
Für die Palästinenser
und Millionen von
Arabern und auch viele
Deutsche sind die
freigelassenen
Palästinenser nicht mehr
und nicht weniger als
Freiheitskämpfer, die
gegen eine unmenschliche
Besatzungsmacht kämpfen
und dazu völkerrechtlich
sogar legitimiert sind.
Während der Soldat Gilad
Shalit ein
Besatzungssoldat war,
der die
völkerrechtswidrige
Blockade des
Gazastreifens zu
überwachen half und
insofern eigentlich als
Verbrecher vor den
Internationalen
Strafgerichtshof in Den
Haag gehört, kämpfen die
Palästinenser um ein
legitimes Recht, nämlich
das auf Freiheit und
Unabhängigkeit. Manchen
juckt es jetzt sicher,
zu erwidern, dass Shalit
ja „nichts“ getan habe.
An dieser Stelle sollte
man aber auch fragen,
was die meisten der 1027
freigelassenen
Palästinenser denn getan
haben – von den anderen
ca. 7000 Personen ganz
zu schweigen, unter
denen sich auch mehr als
150 Kinder unter 16
Jahren befinden –, außer
vielleicht Steine
geworfen oder Pläne
gegen die Besatzung
geschmiedet zu haben.
Und immerhin wurde
Shalit nicht des Nachts
aus seinem Bett gezerrt,
so wie viele der von
Israel inhaftierten
Palästinenser, darunter
auch Kinder. Natürlich
haben einige von ihnen
„Blut“ an den Händen,
weil sie in diesem
„Krieg“ getötet haben.
Hat denn Ehud Barak kein
Blut an seinen Händen?
Barak ist ja sogar stolz
darauf, dass er
eigenhändig
palästinensische
„Terroristen“ getötet
hat. Was unterscheidet
ihn von Marwan Barghouti,
den charismatischen
Palästinenserführer,
zumal Ehud Barak einmal
in aller Öffentlichkeit
gesagt hat, dass er auch
„Terrorist“ geworden
wäre, wenn er als
Palästinenser auf die
Welt gekommen wäre.
Wenn man
Israel jedoch „liebt“,
so wie die Teilnehmer
dieses obskuren, an eine
Sekte erinnernden
Kongresses, dann lässt
einen diese Liebe
schnell erblinden. Und
wenn man das sagen will,
was die 3000 Liebenden
hören wollen, dann hat
Uwe Becker sicherlich
das Falsche genau
richtig gesagt.
Die
zweite Peinlichkeit
lieferte der
DFB-Funktionär Theo
Zwanziger, der seine
Fußballmädchen der U-17
und U-18 nicht nur zum
Fußballspielen nach
Israel führte, sondern
auch nach Jad Vashem, um
sie dort einer perfekten
Gehirnwäsche unterziehen
zu lassen. Auf die Idee,
ihnen mal zu zeigen, wie
Israel die Palästinenser
behandelt, ist er
offensichtlich nicht
gekommen. Auf dem
Kongress erzählte
Zwanziger nicht ohne
Stolz, dass die Mädchen
alle „anders
herausgekommen sind, als
sie hineingegangen
waren.“ Was für ein
Wunder „made in Israel“.
Die Jad-Vashem-Keule
wirkt eben auch bei 17-
und 18-jährigen Mädchen,
die eigentlich nichts
anderes im Sinn hatten,
als israelische
Fußballmädchen im
Fußball zu schlagen.
Doch das gehört sich
offenbar nicht für den
DFB, und so muss auch
Theo Zwanziger zu Kreuze
bzw. zum Davidstern
kriechen.
Zu Recht
stellte der Organisator
dieses Kongresses, der
adipöse Frankfurter
Immobilienmakler Sacha
Stawski, fest, dass es
heutzutage schwer sei,
„Israel-Freund“ zu sein.
„Wir sehen mit Sorge das
sich verschlechternde
Klima, die erkaltenden
Beziehungen zwischen
Deutschland und Israel“.
Da sieht er vielleicht
schon das Menetekel an
der Wand, nicht aber die
zur Zeit real
existierenden guten
Beziehungen zwischen
beiden Staaten. Es ist
heutzutage in der Tat
schwer, ein Freund
Israels zu sein, wenn
man all das Unrecht der
israelischen Politik
bedenkt und wahrnehmen
muss, wie Israel nicht
nur seine Feinde,
sondern auch seine
Freunde behandelt.
Dennoch sind Freunde wie
Merkel oder Hessens
Innenminister Boris
Rhein, um nur zwei zu
nennen, ein Beweis
dafür, dass Stawski
wieder einmal Unrecht
hat, wenn er von einem „Israel-Bashing“
spricht, das es gar
nicht gibt. Unsereins
möchte hinzufügen:
Leider. Wieso hat
Stawski denn Grund zum
Jammern, wo doch fast
alle politischen Kräfte
in Deutschland, sogar
die Linke, von einer
„ewig währenden
Verantwortung“ für
Israel sprechen und
dabei niemals auch die
Verantwortung für die
Palästinenser erwähnen?
Wie sehr sich
Deutschland für die
Palästinenser, die heute
die „Juden der Juden“
sind, verantwortlich
fühlt, haben wir erst
vor Kurzem erfahren
dürfen, als Deutschland
sich gegen die Ausrufung
eines freien Staates
Palästina ausgesprochen
hat.
Da kann
man nur aufatmen und
beruhigt in die Zukunft
schauen, wenn man von
Hans Riebsamen erfährt,
dass die Sympathie für
Israel in der breiten
Bevölkerung
zurückgegangen ist. Das
zeigt uns wieder einmal,
dass es im Volk doch
einen gesunden
Menschenverstand gibt,
und nicht so viele
Heuchler wie in der
Politik. Dieter
Graumann, als
Zentralratsvorsitzender
der höchste politische
Repräsentant des
deutschen Judentums, hat
in den vergangenen
Monaten die Linkspartei
wegen des von ihm
ausgemachten
„Israel-Hasses“ mancher
ihrer Mitglieder
mehrmals attackiert.
Dabei kann er einen
solchen „Israel-Hass
mancher Mitglieder“ bei
allen deutschen Parteien
finden, und bei CDU, CSU
und FDP sicherlich
häufiger als bei den
Linken. Wenn für
Graumann aber eine
Kritik an Israels
Politik schon reicht, um
den Kritiker als
„Israel-Hasser“ oder gar
Antisemiten zu
klassifizieren, dann
leben heute in
Deutschland
möglicherweise mehr
„Antisemiten“ als
während des Dritten
Reiches. Doch
„Israel-Kritik“ und „Israel-Bashing“,
die für Dieter Graumann
„geradezu in Mode
gekommen sind“, sind
genau die richtige
Reaktion auf die
skrupellose Politik der
Israelis gegenüber ihren
Nachbarn und gegenüber
den Deutschen und allen
Europäern. „Geradezu in
Mode“, allerdings schon
seit Jahren, ist diese
Heuchelei des
Zentralrats und fast
aller Verbände und
Organisationen, die auf
diesem merkwürdigen
Kongress vertreten
waren. Seit Jahren hören
wir von der Zunahme des
Antisemitismus und des
Rückgangs der Sympathien
für Israel. Leider aber
merken wir nicht sehr
viel davon, und wenn hin
und wieder Israels
Politik im Kreuzfeuer
der Kritik steht, weil
es zum Beispiel einen
Staat Palästina nicht
anerkennen will, dann
ist dies mitnichten ein
Zeichen für die Zunahme
von Antisemitismus. Es
ist eines der
selbstverständlichsten
Dinge in den Beziehungen
zwischen Menschen und
auch Staaten, dass man
sich gegenseitig
kritisieren kann und
darf, ohne gleich
„hassen“ zu müssen und
ohne gleich Antisemit zu
sein. Bei der
gegenwärtigen
abscheulichen und
völkerrechtswidrigen
Politik Israels muss man
wahrlich kein Antisemit
sein, um diese zu
kritisieren.
Wie
sollen die Europäer, und
die Deutschen ganz
besonders, reagieren,
wenn auf einem solchen
Kongress eine Resolution
verabschiedet wird, die
besagt, „dass ein von
den Palästinensern
selbst ausgerufener
Staat nicht anerkannt
werden darf“? Bedeutet
das etwa, dass die
Palästinenser warten
sollen, bis andere für
sie den Staat ausrufen,
den sie „selbst“ nicht
ausrufen dürfen? Und wer
sollen diese anderen
sein? Etwa die
Deutschen? Oder
vielleicht die Israelis
„selbst“? Vielleicht
Avigdor Lieberman, der
schon früher gesagt hat,
dass er damit nicht in
99 Jahren einverstanden
sein wird? Oder der
Zentralrat der Juden?
Wer einer solchen
Resolution zustimmt, ist
selber schuld, wenn „in
der breiten Bevölkerung
die Sympathie für Israel
zurückgegangen ist“ und
immer weiter zurückgeht.
„Der
himmlische Vater möge
die zerstreuten Brüder
des Hauses Israel bald
aufrecht nach Zion
führen“, betete
Frankfurts Rabbiner
Menachem Klein. Da
können wir uns fast
schon anschließen und
mitbeten, dass die 3000
zerstreuten
Israel-Freunde, diese
obskure Sekte, uns bald
verlassen und hier
endlich Ruhe herrscht –
wenn wir nicht wüssten,
dass Leute wie Stawski
zu den jüdischen
Zionisten gehören, die
lieber andere Juden nach
Israel schicken bzw.
lieber Palästinenser aus
Israel vertreiben, als
selbst dort hinzugehen,
um dort die Wüste
fruchtbar zu machen.
Sein Problem jedoch, und
das Problem aller
anderen 3000
Israel-Freunde und
darüber hinaus aller
Israel-Freunde in der
ganzen Welt, ist, dass
Israel keine Zukunft
hat. Wer möchte schon in
einem Land leben, das
einerseits immer
fundamentalistischer
wird und andererseits
immer auf den nächsten
Krieg wartet? Wer möchte
schon in einem Land
leben, in dem das Wort
„Friedensfreund“ ein
Schimpfwort und eine
Beleidigung ist? Wer
möchte schon in einem
Land leben, das immer
weniger Freunde hat,
sich immer mehr isoliert
und die Schuld daran
immer bei den anderen
sucht und „findet“? Die
einzige Garantie für
Israels Zukunft wäre ein
fairer Frieden. Frieden
aber will die zur Zeit
herrschende Regierung
nicht. Frieden fürchtet
sie wie der Teufel das
Weihwasser. Bleibt nur
zu hoffen, dass es in
der israelischen
Bevölkerung bald einen
gewaltigen Umkehrruck
geben wird, der die
Politik um 180 Grad
umdreht. Das allerdings
wird erst passieren,
wenn alle Israelis
kapiert haben, dass die
Besatzung und
Kolonisierung eines
Landes, das einem
anderen Volk gehört,
mittelbar auch mit ihrer
schlechten sozialen und
ökonomischen Lage zu tun
haben. Die ersten
Anzeichen dafür hat es
in diesem israelischen
Sommer, nach dem
arabischen Frühling,
gegeben. Wir drücken die
Daumen, dass die
Rebellion fortgeführt
und nicht durch einen
aus der Schublade
gezauberten,
inszenierten Krieg
abgewürgt wird.
Abraham
Melzer, Verleger und
Herausgeber der
jüdischen Zeitschrift
„Der Semit“
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