Mit Freunden wie diesen ...
Uri Avnery, 14.1.06
Die
Ansichten über Judas
Ishariot steuern auf eine Überholung zu. Nach neueren Berichten
empfehlen dem jetzigen Papst nahestehende Kardinäle, die Haltung
der katholischen Kirche ihm gegenüber zu verändern: Abgang des
verräterischen Juden, der den Kohorten des bösen Hohenpriesters den
Messias übergeben habe und Auftritt eines Apostel, der nach
göttlicher Vorsehung einfach seine Rolle spielte. Es war doch Gott
selbst, der entschieden hatte, sein Sohn solle am Kreuz sterben.
Es ist eine
wohlgemeinte, aber pathetische Bemühung. Keine Vatikan-Entscheidung
kann das Image von Judas im Neuen Testament verändern: ein
verachtenswerter Informant, der für seinen Verrat an Gottes Sohn 30
Silberlinge erhalten hat. Es gibt keinen Christen, der diese
Geschichte nicht in seiner Kindheit aufgenommen hat und der das
Bild des nichtswürdigen Verräters je vergessen wird: er küsste
Jesus im Augenblick des Verrats an seine Henker. Nichts wird helfen
– es sei denn, man verändert den biblischen Text selbst. Und das ist
natürlich nicht so einfach.
Wenn einer der
anderen elf Apostel Jesus verraten hätte, wären die Folgen
vielleicht nicht so entsetzlich gewesen. Aber da der Name Judas in
vielen Sprachen wie „Jude“ klingt, wurde der Verrat im christlichen
Bewusstsein allgemein mit Juden assoziiert. Eine große Anzahl von
Juden wurde im Laufe der Geschichte deswegen umgebracht. Der
Nazi-Schlachtruf „Juda verrecke!“ ebnete den Weg zu den Gaskammern.
Vielleicht
hatte dies auch Einfluss auf den jungen Neo-Nazi Aleksander Koptsev,
der in der vergangenen Woche in der Moskower Synagoge mit einem
Messer Amok lief und 10 Menschen verletzte. Dieser Akt ließ wieder
alle Warnlampen rot aufleuchten. Noch einmal wurde der „wachsende
Antisemitismus in der Welt“ ein Hauptthema, noch einmal läuteten die
Alarmglocken.
Da gibt es
tatsächlich eine wachsende Anti-Semitismus- und
Anti-Israelismus-Gefahr – zwei verschiedene Phänomene, die getrennt
oder auch zusammen erscheinen können. Aber er ist nicht mit
primitiven Skinheads wie dem Moskauer Messerstecher verknüpft. Sie
ist viel gefährlicher und das, was sie nährt, existiert an anderen
Plätzen und auf anderen Ebenen.
In einer
seiner vielen Reden, in
denen George W. Bush nun versucht, seine verhängnisvolle Invasion in
den Irak zu verteidigen, gab er in dieser Woche einen Satz von sich,
der auch alle Warnlichter aufleuchten lassen sollte. In diesem Satz
übte er scharfe Kritik an seinen Gegnern, die behaupten, er habe den
Irak „wegen des Öls und wegen Israel“ angegriffen.
So brachte er
eine Behauptung an die Oberfläche, die bis jetzt nur von
antisemitischen Randgruppen offen ausgesprochen wurde. Sie setzten
drei Fakten neben einander: a) dass die Leute, die am
aggressivsten zum Krieg drängten die Neo-Cons waren, die eine
größere Rolle in der Bush-Regierung spielen, b) dass fast
alle wichtigen Mitglieder dieser Gruppe Juden seien c) und
dass die Besatzung des Irak Israel von einer ernsten Bedrohung
befreite.
Bis jetzt haben
die amerikanischen Medien diese Behauptung mit Verachtung und als
lächerliche „Konspirations -Theorie“ abgetan. Doch jetzt, wo der
Präsident sie selbst ausspricht, wird sie zum Teil eines legitimen
öffentlichen Diskurses in den Vereinigten Staaten und in der ganzen
Welt.
Hier liegt für
Israel eine große Gefahr. Das ganze israelische Establishment hat
die amerikanische Invasion unterstützt. (Als wir, die Gegner dieses
Krieges, in Tel Aviv zu einer Demonstration gegen ihn aufriefen an
dem Tag, als Millionen rund um die Welt auf die Straße gingen, war
es bei uns ein kleines Ereignis, das die Medien ignorierten.) Nun
kann es geschehen – wie es schon häufig in der Geschichte geschah –
dass die für die Katastrophe Verantwortlichen sich der Verantwortung
entziehen. George Bush wird in wenigen Jahren aus dem Gedächtnis
der Menschen verschwunden sein. Letzten Endes aber bleibt der
Eindruck, dass Israel und die Juden die „armen“ Vereinigten Staaten
in ein verachtenswertes Abenteuer gedrängt haben.
Es ist
reiner Zufall, dass in
dieser Woche ein Buch über den Irakkrieg erschienen ist, das
dasselbe Thema anschneidet. Sein Titel: „State of War“ von James
Risen.
Unter anderem
besagt das Buch, dass der Verteidigungsminister und die Neo-Cons,
die Washington beherrschen, nicht auf die Analyse des amerikanischen
Geheimdienstes gehört hätten, die zur Vorsicht rieten, was den Irak
betraf, sondern auf die israelischen Geheimdienstleute, die es in
Washington in Mengen gab, und die hochrangige Beamte instruierten.
Nach Risen
waren es die kompromisslosen Israelis, denen Rumsfeld und sein
Vertreter, Paul Wolfowitz, zuhörten – nicht dem vorsichtigen CIA.
„CIA-Analytiker waren gegenüber Berichten von israelischen
Geheimdienstleuten oft skeptisch, da sie wussten, dass der Mossad
ein starkes – sogar offensichtliches – Vorurteil gegenüber der
arabischen Welt hat“. Nach ihren Besuchen haben CIA-Beamte
gewöhnlich viel von dem, was die israelischen Geheimdienstleute
lieferten, kritisiert. „Wolfowitz und andere Konservative im
Pentagon waren über diese Praxis wütend“, schreibt Risen. Wolfowitz
ist natürlich ein sehr jüdischer Name.
Die klare
Schlussfolgerung: es waren die Israelis und ihre Verbündeten, die
Washingtoner Juden, die die US in den Krieg drängten.
Als ob dies nicht schon genug wäre: im Augenblick wird
Washington von einem großen Skandal geschüttelt, der enge
Beziehungen zu Israel hat. Im Mittelpunkt steht eine Person, Jack
Abramoff – wieder ein Name, der die jüdische Identität seines
Besitzers enthüllt.
Dieser Jack ist
ein Super-Lobbyist, ein Symbol des Phänomens, das amerikanische
Politik in einen schmutzigen Korruptionsstall verwandelt hat, den zu
reinigen, sogar der mächtige Herkules Mühe gehabt hätte. Er schöpfte
das Geld bei seinen Kunden ab, meist Indianer, steckte davon einiges
in die eigene Tasche und verwendete den Rest, um Personen des
Establishments, Senatoren und Kongressleute mit sog. Dienstreisen
rund um die Welt, Appartements in Luxushotels und anderen
Vergünstigungen zu bestechen. Die meisten Begünstigten waren
Republikaner - ein paar Brosamen gingen auch an die Demokraten.
Bis zu diesem
Punkt ist es nichts Ungewöhnliches, nur ein bisschen umfangreicher
als üblich. Die Lobbying-Industrie ist in Washington sehr weit
entwickelt. Sie wird von Lobbyisten heimgesucht wie ein
Landstreicher von Läusen. Die Pro-Israel-Lobby unterscheidet sich
nicht von anderen. Die Lobbyisten korrumpieren alles. Sie bestechen
die Politiker, um Gesetze zu machen, die Milliarden öffentlicher
Gelder in die Taschen ihrer Kunden fließen lassen. Sie spielen eine
größere Rolle beim Finanzieren der Wahlkampagnen von Politikern vom
Präsidenten bis zum kleinsten Bürgermeister. Selten wird einer von
ihnen erwischt und ins Gefängnis gesteckt, wie es jetzt jenem
Abramoff geschehen mag.
Was an diesem
Abramoff besonders ist – er ist ein fanatischer Zionist. Nach
Geschichten, die in den Staaten veröffentlich wurden, zweigte er
einiges von dem gestohlenen Geld an extreme Siedler in der Westbank
ab. Abramoff sandte ihnen militärische Ausrüstung, um diese gegen
Palästinenser anzuwenden und vielleicht auch gegen die israelische
Regierung. Unter anderem kaufte er für sie Tarnanzüge, Teleskope für
Scharfschützen und Nachtsichtgeräte.
Amerikanische
Veröffentlichungen erwähnen einen Siedler mit Namen Shmuel Ben-Zvi
aus der Betar Illit-Siedlung, ein Hochschulkumpel von Abramoff. Er
erhielt diese Ausrüstung. Ben Zwi leugnet es, aber das Senat-Komitee
hat E-mail-Nachrichten von ihm erhalten, die Abramoff lobten, ihm
„Nachschub“ gesandt zu haben. Und Abramoff schrieb zurück, wenn es
doch nur „noch ein paar Dutzend wie dich gäbe, dann wäre man mit
den schmutzigen Ratten bald fertig.“
Abramoff selbst
behauptet, er sei ein Idealist, der das Geld, das ihm „Gott in die
Hände legt“ nur verwendet, um Israel zu helfen. Er finanzierte auch
eine – wahrscheinlich fiktive - Ausstattung syrischer Exilanten,
die von Israel unterstützt wurden. Eine der amerikanischen
Veröffentlichungen erwähnt auch in diesem Kontext das biblische
Motto des Mossad: „Durch Täuschung sollst du Krieg führen“ (Sprüche
24,6 ; so klingt es im modernen Hebräisch. Aber die tatsächliche
Bedeutung des Wortes ist zweifelhaft. In der deutschen Bibel heißt
es: „Mit Überlegung soll man Krieg führen“.)
So also sieht
es für Amerikaner aus: der Mann, der ein Symbol für Korruption
geworden ist, ist ein Jude, der Israel unterstützt.
Und als ob
auch dies noch nicht
genügen würde, hat ein andrer Freund Israels in den amerikanischen
Medien Wellen geschlagen. Es ist unser alter Bekannter Jerry Falwell.
Der Führer von Millionen amerikanischer christlicher
Fundamentalisten, ein Freund des verstorbenen Menachem Begin.
Man sollte sich
daran erinnern, dass Binyamin Netanyahu, damals Ministerpräsident,
1998 nach Amerika flog, um Präsident Bill Clinton zu treffen. In
jenen Tagen versuchte Clinton auf Israel Druck auszuüben, um Frieden
zu erlangen. Zu diesem Zweck war Netanyahu eingeladen. Am Vorabend
dieses Treffens mit Clinton traf er sich öffentlich ausgerechnet mit
Falwell vor Hunderten von Menschen. Falwell, ein geschworener
Feind von Clinton, enthüllt jetzt, dass dieses Treffen absichtlich
so geplant war, um den Präsidenten herauszufordern.
Einige Tage
zuvor hatte ein anderer Freund von Netanyahu, William Kristol, einer
der jüdischen Neo-Con- Macht-Vermittler, öffentlich darauf
hingewiesen , dass ein großer Sex-Skandal im Weißen Haus ausbrechen
würde. Kurz danach wurde der Monika Lewinsky-Skandal ausgelöst und
die Öffentlichkeit davon informiert, dass der Präsident im Weißen
Haus Sex mit einer jungen Assistentin mit sehr jüdisch klingendem
Namen hatte.
Zwei Wochen vor
dem Besuch Netanyahus veröffentlichte eine amerikanisch-jüdische
Zeitung ein Inserat, in dem der Präsident aufgefordert wird, keinen
Druck auf Israel auszuüben. Das Inserat schloss auch ein Foto ein,
das Clintons Rücken zeigt: derselbe Schnappschuss - der Clinton
zeigt, wie er Monika umarmt - und der später in aller Welt gezeigt
wurde.
Falwell prahlte
praktisch damit, dass er Netanyahu half, Clinton zu erpressen. Wenn
dem so ist, dann war er erfolgreich. Auf Israel wurde bei diesem
Treffen kein Druck ausgeübt.
Übrigens das
Magazin, in dem Falwell seine Behauptung veröffentlichte, Vanity
Fair, ist im Besitz des Verlagsimperiums von Si und Donald Newhouse,
großzügige Unterstützer der Pro-Israel-Lobby.
(Ein anderer
hoch-profilierter Führer der christlichen Fundamentalisten, Pat
Robertson , erklärte letzte Woche, der Schlaganfall Sharons sei
eine Strafe Gottes, weil er ein Stück Heiliges Land an Araber
weggegeben habe . Er entschuldigte sich später dafür, in der
Hoffnung ein Abkommen mit der israelischen Regierung zu retten, um
einen großen Touristen-Komplex nahe am See Genezareth bauen zu
können.)
Für die amerikanische Öffentlichkeit entsteht nun der
Eindruck, dass Israel und die Juden Washington beherrschen und dass
die US-Regierung nach ihrer Flöte tanzt. Das ist natürlich weit
übertrieben, aber viele mögen dies glauben. Das hat keinen
unmittelbaren Einfluss, aber auf Dauer stellt es eine ernste Gefahr
dar. Wenn solche Dinge sich immer wieder wiederholen, dann
verstärkt sich auch die Auswirkung.
Solche
Ereignisse sollten als Warnung dienen. Die israelische Regierung und
die Führer der US-jüdischen Gemeinschaft sollten über diese Gefahr
nachdenken. Missbilligende Worte über „wachsenden Anti-Semitismus“
genügen nicht. Was dringend nötig ist, ist eine tiefgreifende
Veränderung des Verhaltens. Wir müssen allen Kontakt mit Betrügern
meiden, besonders, wenn es Juden sind oder Fundamentalisten, egal
welcher Couleur. Jeder, dem Israel am Herzen liegt, muss dies
verlangen. Es betrifft die nationale Sicherheit Israels, besonders
seitdem unsere Regierungspolitik sich vollkommen auf die
unbegrenzte amerikanische Unterstützung gründet.
Ariel Sharon
war zu arrogant, diese Gefahr in Betracht zu ziehen. Hoffen wir,
dass seine Nachfolger nüchterner sein werden.
(Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert )
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