Mohammeds Schwert
Uri Avnery, 23.9.06
SEIT DEN Tagen, als
römische Kaiser die Christen den Löwen zum Fraß
hinwarfen, haben die Beziehungen zwischen Kaisern und
Kirchenführern viele Wandlungen durchgemacht.
Konstantin der Große,
der 306 – genau vor 1700 Jahren – Kaiser wurde, machte
das Christentum zur Staatsreligion seines Kaiserreiches,
das damals auch Palästina einschloss. Jahrhunderte
später teilte sich die Kirche in einen östlichen
(orthodoxen) und einen westlichen (katholischen) Teil.
Im Westen erwarb der Bischof von Rom den Titel Papst und
verlangte vom Kaiser, sich ihm zu unterwerfen.
Der Kampf zwischen
Kaiser und Papst spielte in der europäischen Geschichte
eine zentrale Rolle und spaltete die Völker. Es gab
für beide Seiten Siege und Niederlagen. Einige Kaiser
setzten den Papst ab oder vertrieben ihn, einige Päpste
setzen den Kaiser ab oder exkommunizierten ihn. Einer
der Kaiser, Heinrich IV., „ging nach Canossa“, stand
drei Tage barfuss im Schnee vor der Burg des Papstes,
bis der Papst sich herabließ, die Exkommunizierung
aufzuheben.
Aber es gab auch Zeiten,
in denen die Kaiser und die Päpste in Frieden
miteinander lebten. Heute erleben wir solch eine Zeit.
Zwischen dem gegenwärtigen Papst Benedikt XVI. und dem
gegenwärtigen Kaiser George Bush II. besteht eine
wunderbare Harmonie. Die vor einer Woche gehaltene Rede
des Papstes, die einen weltweiten Sturm auslöste, passt
gut zu Bush’s Kreuzzug gegen den „Islamo-Faschismus“ -
im Kontext des „Kampfes der Kulturen“.
IN SEINER Vorlesung an
einer deutschen Universität beschrieb der 265. Papst den
großen Unterschied zwischen Christentum und Islam:
während das Christentum sich auf die Vernunft gründe,
verleugne der Islam diese. Während die Christen die
Logik in Gottes Handlungen erkennen, verleugneten die
Muslime jegliche Logik in den Taten Allahs.
Als jüdischer Atheist
habe ich nicht die Absicht, mich auf den Streitboden
dieser Debatte zu begeben. Es liegt außerhalb meiner
bescheidenen Fähigkeit, die Logik des Papstes zu
verstehen. Aber ich kann eine Passage nicht übersehen,
die auch mich betrifft, als Israeli, der in der Nähe der
angeblichen Grenzlinie des „Kampfes der Kulturen“ lebt.
Um den Mangel an
Vernunft im Islam zu beweisen, behauptete der Papst,
dass der Prophet Muhammad seinen Anhängern befahl, seine
Religion mit dem Schwert auszubreiten. Nach Ansicht des
Papstes wäre dies unvernünftig, weil der Glaube aus der
Seele kommt und nichts mit dem Körper zu tun hat. Wie
könnte also das Schwert die Seele beeinflussen?
Um dies noch zu
unterstreichen, zitierte der Papst ausgerechnet das
Wort eines byzantinischen Kaisers, der natürlich zur
konkurrierenden Ostkirche gehörte. Ende des 14.
Jahrhunderts erzählte Kaiser Manuel II. Palaeologus von
einem (zweifelhaften) Streitgespräch, das er mit einem
nicht namentlich genannten persisch muslimischen
Gelehrten geführt hätte. In der Hitze des Gefechtes
schleuderte der Kaiser – nach seiner eigenen Aussage –
folgende Worte gegen seinen Kontrahenten:
„Zeig mir doch, was
Mohammad Neues gebracht hat und da wirst du nur
Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er
vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte,
durch das Schwert zu verbreiten.“
Diese Worte geben
Anlass, drei Fragen zu stellen: a) Warum sagte der
Kaiser sie? b) Stimmt das denn ?
c) Warum hat der
gegenwärtige Papst diese Worte zitiert?
ALS MANUEL II. seine
Abhandlung schrieb, war er das Haupt eines Imperiums,
das im Niedergang begriffen war. Er kam 1391 zur Macht,
als dem einst so blühenden Kaiserreich nur noch wenige
Provinzen geblieben waren, die auch schon von den
Türken bedroht wurden.
Zu diesem Zeitpunkt
hatten die ottomanischen Türken bereits das Donauufer
erreicht. Sie hatten Bulgarien und den Norden
Griechenlands erobert und zweimal Europas Heere
besiegt, die das östliche Kaiserreich retten sollten.
1453, nur wenige Jahre nach Manuels Tod, eroberten die
Türken seine Hauptstadt Konstantinopel - das heutige
Istanbul - und setzten dem Kaiserreich ein Ende, das
mehr als tausend Jahre gedauert hatte.
Während seiner
Herrschaft hatte Kaiser Manuel II. die Hauptstädte
Europas besucht und versucht, die Trommeln für
Unterstützung zu rühren. Er versprach, die Kirche wieder
zu vereinigen. Zweifellos schrieb er seine religiöse
Abhandlung, um die christlichen Länder gegen die
Muslime, die „Achse des Bösen“, anzustacheln und sie zu
einem neuen Kreuzzug zu bewegen. Das Ziel war praktisch
ausgerichtet, die Theologie diente der Politik.
In diesem Sinn passt das
Zitat genau zu den Erfordernissen des gegenwärtigen
Kaisers George Bush. Auch er will die christliche Welt
gegen den Islam, die „Achse des Bösen“, einigen.
Außerdem klopfen die Türken wieder an die Türen Europas,
dieses Mal friedlich. Es ist allgemein bekannt, dass der
Papst die Kräfte unterstützt, die gegen den Eintritt der
Türkei in die EU sind.
STECKT IRGENDWELCHE
Wahrheit in Kaiser Manuels Behauptung?
Der Papst selbst hat
Vorsicht angemahnt. Als seriöser und namhafter Theologe
konnte er es sich nicht leisten, Texte zu fälschen.
Deshalb gab er zu, dass der Koran streng verbietet, den
Glauben mit Gewalt zu verbreiten. Er zitierte die 2.
Sure, Vers 256 (seltsam für einen Papst - er meinte den
Vers 257) der lautet: „In Glaubenssachen darf kein Zwang
herrschen“.
Wie kann man eine so
simple und eindeutige Feststellung ignorieren? Der
Papst behauptete einfach, dass dieses Gebot vom
Propheten zu Beginn seiner Kariere festgelegt wurde, als
er noch schwach und ohnmächtig war. Aber später befahl
er die Anwendung des Schwertes im Dienst des Glaubens.
Solch einen Befehl gibt es im Koran gar nicht. Mohammed
rief zwar in seinem Krieg gegen feindliche -
christliche, jüdische und andere – Stämme in Arabien
zur Anwendung des Schwertes auf, als er seinen Staat
aufbaute. Aber das war ein politischer und kein
religiöser Akt; es ging grundsätzlich um Gebiete – und
nicht um die Verbreitung des Glaubens.
Jesus sagte: „An den
Früchten werdet ihr sie erkennen.“ Wie der Islam mit
anderen Religionen umging, sollte mittels eines
einfachen Tests beurteilt werden: Wie haben sich
muslimische Herrscher mehr als tausend Jahre
lang verhalten, als sie
die Macht hatten, „den Glauben mit dem Schwert zu
verbreiten“?
Sie haben genau dies
nicht getan.
Viele Jahrhunderte lang
herrschten Muslime über Griechenland. Wurden die
Griechen Muslime? Versuchte jemand sie zu
islamisieren? Im Gegenteil. Christliche Griechen
besetzten die höchsten Ämter in der ottomanischen
Regierung. Die Bulgaren, Serben, Rumänen, Ungarn und
andere europäische Nationen lebten länger oder kürzer
unter der ottomanischen Herrschaft und hielten an ihrem
christlichen Glauben fest. Keiner zwang sie, Muslim zu
werden. Alle blieben gläubige Christen.
Die Albaner
konvertierten zwar zum Islam und auch die Bosniaken.
Aber keiner behauptet, dass dies unter Zwang geschehen
ist. Sie nahmen den Islam an, um Vergünstigungen der
Regierung zu erlangen und sich der Früchte zu erfreuen.
1099 eroberten die
Kreuzfahrer Jerusalem und massakrierten willkürlich
seine muslimischen und jüdischen Einwohner im Namen des
sanften Jesu. Zu jener Zeit - 400 Jahre nach der
muslimischen Besatzung Palästinas waren die Christen
noch die Mehrheit im Lande. Während dieser langen
Periode wurden keine Anstrengungen unternommen, ihnen
den Glauben Mohammads aufzuzwingen. Erst nach der
Vertreibung der Kreuzfahrer aus dem Land begann die
Mehrheit der Bewohner damit, die arabische Sprache und
den muslimischen Glauben anzunehmen – und sie sind die
Vorfahren der meisten heutigen Palästinenser.
ES GIBT AUCH keinen
Beweis für einen Versuch, den Juden den Islam
aufzuzwingen. Wie allgemein bekannt ist, erlebten die
Juden Spaniens während der muslimischen Herrschaft eine
Blütezeit, wie sie sie nirgendwo beinahe bis in unsere
Zeit erlebt hatten. Dichter wie Yehuda Halevy schrieben
arabisch, genau wie der große Maimonides. Im
muslimischen Spanien waren Juden Minister, Dichter,
Wissenschaftler. Im muslimischen Toledo arbeiteten
christliche, muslimische und jüdische Gelehrte zusammen
und übersetzten die antiken griechischen,
philosophischen und wissenschaftlichen Texte. Das war
wirklich ein Goldenes Zeitalter. Wie hat das nur möglich
sein können, hätte der Prophet die „Ausbreitung des
Glaubens mit dem Schwert“ verordnet?
Was dann geschah, ist
aber noch bedeutsamer. Als die Katholiken Spanien von
den Muslimen zurückerobert hatten, begannen sie eine
Herrschaft des religiösen Terrors. Juden und Muslime
wurden vor eine grausame Wahl gestellt: entweder zum
Christentum zu konvertieren, massakriert zu werden oder
das Land zu verlassen. Und wohin flohen die
Hunderttausende von Juden, die sich weigerten, ihren
Glauben aufzugeben? Fast alle von ihnen wurden mit
offenen Armen in muslimischen Ländern aufgenommen. Die
sephardischen „spanischen“ Juden siedelten in der
ganzen muslimischen Welt von Marokko im Westen bis zum
Irak im Osten, von Bulgarien, (im Norden, damals ein
Teil des ottomanisch- türkischen Reiches) bis in den
Sudan im Süden. Nirgendwo wurden sie verfolgt. Sie
machten nicht die Folterungen der Inquisition, die
Flammen der Ketzerverbrennungen, die Pogrome, die
schrecklichen Massenvertreibungen durch, die in fast
allen christlichen Ländern bis zum Holocaust
stattfanden.
Warum? Weil Mohammad
ausdrücklich jede Verfolgung der „Völker des Buches“
verboten hat. In der islamischen Gesellschaft war ein
besonderer Platz für Juden und Christen reserviert. Sie
hatten zwar nicht völlig die gleichen Rechte, aber
beinahe. Sie mussten eine besondere Steuer bezahlen,
waren aber vom Militärdienst befreit – eine
Übereinkunft, die vielen Juden sehr willkommen war. Es
wurde gesagt, dass muslimische Herrscher die Stirne
runzelten, wenn Versuche – selbst mit sanften Methoden
- gemacht wurden, Juden zum Islam zu konvertieren, weil
das weniger Steuereinnahmen bedeutete.
Jeder ehrliche Jude, der
die Geschichte seines Volkes kennt, kann gegenüber dem
Islam nur große Dankbarkeit empfinden. Er hat die Juden
50 Generationen lang geschützt, während die christliche
Welt die Juden verfolgte und viele Male „ mit dem
Schwert“ versuchte, sie von ihrem Glauben abzubringen.
DIE GESCHICHTE über die
„Ausbreitung des Glaubens mit dem Schwert“ ist eine üble
Legende, eine der Mythen Europas während des langen
Krieges gegen die Muslime - die Wiedereroberung
Spaniens durch die Christen, der Kreuzfahrer, der Abwehr
der Türken, die beinahe Wien erobert hätten. Ich habe
den Verdacht, dass auch der deutsche Papst ehrlich an
dieses Märchen glaubt. Das würde heißen, dass das Haupt
der katholischen Kirche - selbst ein namhafter Theologe
- sich nicht die Mühe gemacht hat, die Geschichte der
anderen Religionen zu studieren.
Warum äußerte er diese
Worte in der Öffentlichkeit? Und warum jetzt?
Man kann sie jetzt nur
auf dem Hintergrund des neuen Kreuzzugs von Bush und
seiner fundamentalistisch-christlichen Unterstützer
sehen sowie seiner Slogans vom „Islamofaschismus“ und
„dem globalen Krieg gegen den Terror“ – nachdem
„Terrorismus“ ein Synonym für die Muslime geworden ist.
Denn für Bush’s andere Helfershelfer ist dies ein
zynischer Versuch, die Herrschaft über die
Öl-Ressourcen der Welt zu rechtfertigen. Es wäre nicht
das erste Mal im Laufe der Geschichte, dass ein
religiöses Mäntelchen über nackte wirtschaftliche
Interessen gebreitet wird; es wäre nicht das erste Mal,
dass ein Raubzug zum „Kreuzzug“ wird.
Die Rede des Papstes
passt zu diesen Bemühungen. Wer kann uns die möglichen
unheilvollen Folgen voraussagen?
(Aus
dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, vom
Verfasser autorisiert) |