Drei in
einem Bett
Uri Avnery, 11.6.05
„Der Präsident
der Vereinigten Staaten und der Präsident der Palästinensischen
Behörde!“ intonierte ein Sprecher, als die beiden Führer während
eines Besuches von Mahmud Abbas im Weißen Haus vor den
Journalisten erschienen.
George Bush
redete seinen Besucher auch mit „Präsident Abbas“ an – und das
nicht zufällig. Diese Anrede wurde bewusst gewählt.
Im Büro des
Ministerpräsidenten Sharon gab es einiges Zähneknirschen. Fast
alle israelischen Medien haben es mit Schweigen übergangen. Aber
es mag wohl sein, dass die von Mahmud Abbas („Abu-Mazen“) in
Washington DC geernteten Früchte dies die bedeutsamste Frucht
war.
Um dies recht
zu verstehen, muss man in der Geschichte des Nahost-Konfliktes
etwas zurückgehen. Bei den Verhandlungen, die 1993 zum
Oslo-Abkommen führten, gab es wegen des Titels, den man Yasser
Arafat verleihen sollte, viele Kontroversen. Die Palästinenser
bestanden darauf, er solle „Präsident“ genannt werden, die
Israelis waren nur damit einverstanden, wenn man ihn mit
„Vorsitzender“ bezeichnete.
Warum? Nun,
„Präsident“ klingt wie Staatsoberhaupt. Staaten haben
Präsidenten. Gewöhnliche Institutionen haben Vorsitzende. Die
israelischen Unterhändler waren unter keinen Umständen damit
einverstanden, dass die palästinensische Behörde, die durch das
Abkommen aufgebaut werden sollte, die Attribute eines Staates
haben sollte.
Der schließlich
erreichte Kompromiss wurde durch die Besonderheiten der
arabischen Sprache möglich. Im Arabischen ( wie im
Französischen) gibt es keinen Unterschied zwischen „Präsident“
und „Vorsitzender“. Beide werden Ra’is ( von Ras = Kopf)
genannt. Deshalb nennt das Abkommen in seinen drei Versionen (
englisch, hebräisch und arabisch), der Chef der
palästinensischen Behörde werde den Titel „Ra’is“ tragen.
Seitdem
bestanden sowohl alle israelischen Medien als auch alle
israelischen Politiker und Diplomaten darauf, Arafat den
„Vorsitzenden der Palästinensischen Behörde“ zu nennen. Heute
heften sie dieses Etikette Abu Mazen an.
Deshalb war es
ein Schlag ins Gesicht der israelischen Diplomatie, als Bush
seinen Gast mit „Präsident Abbas“ ansprach. Gleichzeitig war es
ein beabsichtigter Schritt, der das Prestige des
palästinensischen Führers erhöhte.
Der nächste
Schritt könnte eine Höherbewertung der Behörde selbst sein. In
Oslo verlangten die Palästinenser, man solle sie
„Palästinensische Nationalbehörde“ nennen. Die israelische Seite
war absolut dagegen und nur mit „Palästinensische Behörde“
einverstanden. Mit all ihrer Macht bestanden sie darauf. Als die
Palästinenser im Widerspruch zum Abkommen die palästinensischen
Briefmarken mit der Aufschrift „Palästinensische
Nationalbehörde“ druckten, waren sie gezwungen, den ganzen Satz
einzustampfen und neue mit dem vereinbarten Namen zu drucken .
Alle
offiziellen Dokumente der Behörde tragen heute – trotz allem –
die stolze Aufschrift:
„Palästinensische Nationalbehörde“.
Eine ähnliche
Schlacht fand seit Oslo um den Namen „Palästina“ statt. Als die
Palästinenser den Status eines „Beobachters“ bei den UN
erhielten, stand auf dem Namensschild „Palästinensische
Befreiungsorganisation“. Nach langem und zähem Kampf, der von
dem fähigen Neffen Arafats Nasser al Kidwah ausgefochten wurde,
wurde dieses durch ein anderes ersetzt, auf dem „Palästina“
steht. Immer mehr internationale Institutionen erkennen jetzt
die Entität „Palästina“ an – als ob es den Staat schon gäbe.
Natürlich nicht
in Israel. Es stimmt, selbst hier kann es nicht ganz vermieden
werden, über den palästinensischen Staat zu sprechen. Und sogar
Sharon ist bereit, die Palästinenser das Inselreich der nicht
zusammenhängenden Enklaven – wie er sie sich wünscht – einen
„Palästinensischen Staat“ nennen zu lassen. Aber kein sich
selbst achtender Israeli wird den Namen „Staat Palästina“ über
seine Lippen bringen. Der Oberrabbiner wird – Gott behüte! -
eher öffentlich Schweinefleisch essen.
Der Kampf um
die palästinensischen staatsähnlichen Attribute hatte zuweilen
groteske Dimensionen angenommen. In Oslo stritten die
Unterhändler wochenlang, wie man das palästinensische Dokument
nennen sollte: „Reisedokument“ oder „Reisepass“. Die Israelis
waren unter keinen Umständen damit einverstanden, es Reisepass
zu nennen, da Reisepässe nur von Staaten und überstaatlichen
Gebilden wie die EU ausgegeben werden. Die Palästinenser
bestanden darauf, und schließlich wurde ein Kompromiss gefunden:
Auf dem Einband sollte oben das Wort „Reisedokument“ stehen und
unten „Reisepass“. Die Palästinenser versuchten, schlau zu sein,
und druckten es genau umgekehrt. Aber noch einmal mussten sie
die ganze Auflage einstampfen und neue drucken lassen.
Was hat Bush
Abu Mazen– außer der Krönung als „Präsident“ - sonst noch
gegeben?
Sehr viel und
sehr wenig – je nach Standpunkt.
Die Mitarbeiter
des Ministerpräsidenten haben recht, wenn sie behaupten, Bush
habe nichts Neues vorgebracht. Alles war vorher schon gesagt
worden. Aber wenn Bush alles wiederholt, was er vorher bei
verschiedenen Gelegenheiten gesagt hat und dies zu einem Bündel
zusammenfasst, erhält es eine neue Bedeutung. Quantität wird zu
Qualität, wie Marx zu sagen pflegte.
Nach Bush wird
es einen Staat Palästina geben. Wann? Das wurde nicht gesagt. Es
gibt keinen Zeitplan.
Bush sprach
über „Gaza, die Westbank und Jerusalem“. Die besondere Erwähnung
von Jerusalem ist ein Schlag gegen Sharon, der fast zur selben
Zeit erklärte, ganz Jerusalem bleibe „für alle Ewigkeit“
israelisch. Nicht nur Ewigkeit, sondern „für alle Ewigkeiten“.
(In der Vergangenheit gab er dieselbe Erklärung über die
Nezarim- und Kfar Darom-Siedlungen im Gazastreifen, die er
angeblich in drei Monaten räumen lässt. Eine tatsächlich kurze
Ewigkeit. Eine Art Mini-Ewigkeit.)
Die Grenzen
zwischen Israel und Palästina sollen - nach Bush - nur durch
Verhandlungen und nach gegenseitigem Einverständnis festgelegt
werden. Wie stimmt dies mit seiner schriftlichen Versicherung
gegenüber Sharon überein, dass die „großen Bevölkerungszentren“
(d.h. die großen israelischen Siedlungen in der Westbank) ein
Teil Israels werden? Vielleicht gibt es da keinen Widerspruch:
die Grenzen werden durch Verhandlungen festgelegt – aber die USA
werden die israelischen Ansprüche unterstützen.
Schließt dies
eine Lösung aus? Nicht notwendigerweise. Bei verschiedenen
Gelegenheiten haben Palästinenser gesagt, sie seien mit einem
begrenzten Gebietsaustausch auf der Basis von 1:1 einverstanden.
Bush sprach
sich weder gegenüber Sharon noch gegenüber Abbas genauer aus, an
welche „Bevölkerungszentren“ er dachte. Sharon erwähnt immer
Maale Adumim, Ariel, Gush Ezion und andere Siedlungen. Aus
amerikanischen Äußerungen kann angenommen werden, Bush schließe
Maale Adumim nicht ein – seine Annexion würde die Westbank in
zwei Teile teilen – und auch nicht Ariel, das 25 km von der
Grünen Linie entfernt liegt. Aber Siedlungen wie Alfei Menasche,
Modiin Illit, Efrat und Betar Illit, die nahe an der Grünen
Linie liegen, mögen in die amerikanische „Vision“ eingeschlossen
sein.
Bush fügte eine
interessante Bemerkung hinzu: dies sei die amerikanische
Position für alle Verhandlungen. Was will er damit sagen? Dass
dies auch für seine Nachfolger verbindlich sei? Oder dass er die
Verhandlungen bis zum Ende seiner Amtszeit 2008 abgeschlossen
haben will ?
Bushs Musik
klang in Abu-Mazens Ohren sicher angenehm, aber schrill in
Sharons Ohren.
Stimmt, die
Musik verändert nicht die Fakten. Im Augenblick geht alles wie
vorher weiter: der Mauerbau, die Annexion von Land, die
Erweiterung der Siedlungen. Aber wenn sich die Musik ändert,
ändern sich nach und nach auch die Fakten und passen sich an.
Der
Ministerpräsident befindet sich in der peinlichen Situation
eines Mannes, der mit seiner Frau im Bett liegt und zu seiner
Überraschung entdeckt, dass noch ein Mann im Bett liegt. Und
nicht nur ein anderer Mann, sondern sogar ein Präsident.
Er wird
natürlich alles Mögliche tun, um ihn los zu werden.
(Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
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