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Wer lacht ?
Uri Avnery, 20.11.10
„EINE KATASTROPHE!“ riefen die
Höflinge des Königs von Hannover. „Sieben berühmte Professoren der
Göttinger Universität haben eine Protesterklärung gegen Euch
veröffentlicht!“
Das war vor 173 Jahren. Der König
hatte die liberale Verfassung aufgehoben, die von seinem Vorgänger
erlassen wurde.
„Na, und?“ erwiderte der König,
„Nutten, Tänzer und Professoren kann ich immer kaufen.“
Diese Geschichte wurde mir von
Yeshayahu Leibowitz erzählt, der selbst Professor von einem halben
Dutzend sehr verschiedener Fächer war, von Bio-Chemie bis zur
Philosophie der Naturwissenschaften. Er sah viele seiner Kollegen
mit tiefer Verachtung an.
Er erzählte mir diese Geschichte, als
wir besonders über einen Professor sprachen: Shlomo Avineri, der
gerade damit einverstanden war, als Generaldirektor des
Außenministeriums unter Minister Yigal Allon zu dienen. Allon war
der Autor des „Allon-Planes“, der die Annexion weiter Teile der
besetzten Gebiete vorsah.
IN DIESER WOCHE veröffentlichte Avineri
einen Artikel mit der Überschrift „Faschismus? Dass ich nicht
lache!“
Was ließ ihn lachen? Das (für ihn)
lächerliche Argument, dass es in Israel faschistische Tendenzen
gebe. Er erinnerte uns daran, dass Faschismus Gestapo, KZs und
Genozid bedeutet. Wie konnten wir das vergessen?
Avineri ist ein respektierter
Professor, ein Experte für Hegel und Zionismus. Er ist auch ein
kühner Kämpfer gegen die „Post-Zionisten“ und andere Mistkerle, die
den klassischen Zionismus kritisieren.
Ich frage mich, wenn 1923 irgend jemand
seinem Vater in der polnischen Stadt Bielsko erzählt hätte, in der
bayrischen Stadt München habe ein Spinner mit einem lustigen
kleinen Schnurrbart den Leuten mitgeteilt, er habe die Absicht,
Diktator Deutschlands zu werden und Polen zu überfallen, dann hätte
er auch ausgerufen: „dass ich nicht lache!“
In jenen Tagen kamen überall in
Deutschland kleine „völkische“ Gruppen auf, die ähnliche
Forderungen stellten, den Juden die Staatsbürgerschaft zu
entziehen, die Juden aus ihrer Nachbarschaft zu vertreiben und einen
Eid der Treue gegenüber dem Reich als dem Nationalstaat der
Deutschen (einschließlich der Österreicher natürlich) einzuführen.
Zu jener Zeit wurden diese Gruppen
ausgelacht. Konnte sich denn jemand vorstellen, dass ein
zivilisiertes Land, die Nation von Goethe, Schiller und Kant – und
auch Hegel - diese Wahnsinnigen an die Macht bringen würde?
Nach einigen Jahren fanden sich viele
von denen, die damals lachten, in Konzentrationslagern wieder, wo
sie dann reichlich Zeit zum Nachdenken hatten und sich selbst
sagten: wenn wir rechtzeitig die Faschisten gestoppt hätten, statt
zu lachen, dann wäre dies nicht geschehen.
AN DEM Tag, an dem Avineri mit sich
kämpfte, nicht zu lachen, war auch etwas anderes Unlustiges
veröffentlicht worden.
Es hieß, dass eine Delegation von „Peace-Now-Führern“,
angeführt von ihrem Generaldirektor Yariv Oppenheimer, sich mit dem
stellvertretenden Außenminister Danny Ayalon getroffen habe.
Das Ereignis dieses Treffens und vor
allem ihr Ziel lässt einige Fragen hochkommen.
Danny Ayalon gewann die Aufmerksamkeit
der Welt, als er den türkischen Botschafter kommen ließ und ihn auf
einem niedrigen Sofa Platz nehmen ließ, während er laut
israelischen Reportern erklärte, es sei seine Absicht, die Türkei zu
demütigen.
Es ist schwierig, den Grad der
Dummheit dieses infantilen Tuns und des Mannes, der dies tat, zu
messen. Die öffentliche Demütigung einer stolzen Nation, die eine
strategische Schlüsselposition in unserer Region inne hat, führte zu
einer Reihe von Ereignissen: die türkische öffentliche Meinung
wandte sich gegen Israel, ein türkisches Schiff segelte nach Gaza,
und sein gewaltsames Kapern verursachte einen weltweiten Sturm; die
Türkei verbündet sich jetzt wieder mit dem Iran und Syrien – und
die Geschichte ist noch nicht vorüber. Es stimmt zwar, Ayalon
machte das nicht alles allein, aber ihm gebührt sein Teil des
Ruhmes.
Wie konnte es diesen „ Frieden
Jetzt-Führern“ in den Sinn kommen, ausgerechnet diesen Mann zu
treffen und ihm so Legitimität gewähren?
Und nicht nur ihm. Es könnte behauptet
werden, dass Ayalon als Dorftroddel bekannt ist, so dass man ihm
kein Maß an Legitimität anheften kann . Aber hinter Ayalon steht
bedrohlich der Mann, der ihn ernannt hat: der Außenminister Avigdor
Lieberman.
Liebermann ist ein internationales
Symbol des Rassismus, ein Siedler und Verteidiger der Siedler. Der
Hauptassistent von Binyamin Netanyahus Bemühungen, den Frieden zu
zerstören und die Besatzung zu verewigen. Genau jetzt gibt er
Netanyahu den Vorwand, gegen den Siedlungsbaustop zu sein und die
Friedensverhandlungen mit den Palästinensern zu torpedieren.
Viele Außenminister der Welt weigern
sich, Lieberman zu treffen. Kein arabischer Führer gibt ihm die
Hand. Die Ägypter hassen ihn, für die Palästinenser ist er ein
Symbol des Bösen. Er kann sich in einer geachteten internationalen
Gesellschaft nicht sehen lassen.
Um Himmels Willen, was veranlasste die
„Frieden-Jetzt-Führer“, diese Person zu legitimieren?
DAS THEMA des Treffens ist sogar noch
erstaunlicher. Wie berichtet wird, schlug Peace Now eine
„Kooperation“ mit dem Außenministerium vor. Es würde für dieses gut
sein – sagten sie ihren Gastgebern, Peace Now-Material in aller
Welt zu verteilen, um zu zeigen, dass Israel nicht nur ein Staat der
Besatzung und der Siedlungen sei, sondern auch der
Friedensaktivisten. Dies würde das Image des Staates verbessern und
dem Außenministerium helfen, die Kritiker zum Schweigen zu bringen.
Mit anderen Worten: die „Peace-Now-Führer“
sind bereit, als Feigenblätter der Netanyahu-Regierung und
Liebermans Außenministerium zu dienen. Sie bieten ihm ein Alibi an.
Die Peace-Now-Bewegung genießt in aller
Welt einen guten Ruf. Die Leute erinnern sich an die riesige
Demonstration nach dem Sabra- und-Shatila-Massaker. Es besteht
weltweit der Eindruck, dass dies die einzige Friedensbewegung in
Israel sei. Die Weltmedien behandeln sie großzügig, während alle
anderen israelischen Friedenskräfte praktisch von ihnen ignoriert
werden.
Deshalb ist dieses Treffen so
gefährlich. Viele in aller Welt werden sich sagen: wenn Peace Now
sich mit Liebermans Leuten trifft und ihnen Zusammenarbeit anbietet,
kann sie ja nicht so schlecht sein.
So dient Peace Now Lieberman, wie
Shimon Peres und Ehud Barak Netanyahu dienen und wie Shlomo Avineri
zu seiner Zeit Yigal Allon diente. Der König von Hannover wusste,
worüber er sprach.
WIE KAM Peace Now / Frieden jetzt zu
diesem Punkt?
Ich bin nicht gegen die Bewegung. Im
Gegenteil. Ich schätze ihren Kampf gegen die Siedlungen. Sie hat
sich zwar nicht dem Boykott der Produkte der Siedlungen
angeschlossen, die wir vor 12 Jahren begonnen haben, aber sie
überwacht die Bauaktivitäten in den Siedlungen und macht die Welt
darauf aufmerksam. Dies ist eine bedeutende und sehr lobenswerte
Aktion.
Das Problem ist, dass diese Bewegung,
die einmal Hunderttausende mobilisieren konnte, heute nur noch ein
paar hundert auf die Beine bringt.
Dies kann dem allgemeinen Kollaps der
israelischen Friedensbewegung seit 2000 angerechnet werden, als Ehud
Barak erklärte: „Wir haben keinen Partner für Frieden.“ Aber der
Fall von Peace Now verdient eine besondere Analyse.
Die Bewegung entstand 1978, als es
schien, Menachem Begin lasse die Sache schleifen und reagiere
nicht genügend positiv auf Anwar Sadats historische
Friedensinitiative. Begin, von Beruf und dem Wesen nach ein
Rechtsanwalt feilschte über jedes kleine Detail. So bestand die
Gefahr, dass die einzigartige Gelegenheit verpasst werden würde. Die
Demonstrationen der jungen Peace-Now-Bewegung half, Begin in die
richtige Richtung zu stoßen.
Der Höhepunkt von Peace Now’s Erfolg
war die „Demonstration der 400 000“ nach dem Sabra- und
Shatila-Massaker im ersten Libanonkrieg. Selbst wenn die Zahl
übertrieben wurde, war es eine riesige Demonstration und einzigartig
auf ihre Weise, die einen wirklichen Aufstand von Israels
öffentlicher Meinung ausdrückte.
Aber dieser Erfolg hatte einen Preis.
Am Vorabend des Krieges gingen Shimon Peres und Yitzhak Rabin, die
Führer der Arbeiterpartei, zu Begin und drängten ihn, mit dem Krieg
zu beginnen. Und siehe da, diese beiden erschienen als Hauptredner
beim Peace Now-Protest. Es war ein Deal . Peace Now gab den beiden
ein Kosher-Zertifikat und die Laborpartei brachte dann die Massen
ihrer ( damaligen) Anhänger auf den Platz.
Es erinnerte mich an den Deal, den
Faust mit Mephistopheles machte, als Dank für den materiellen Erfolg
verkaufte er seine Seele.
DIE STRATEGIE von Peace Now war nicht
ohne Logik.
Dies wurde von Tsali Reshef erklärt,
der während einiger Jahrzehnte der wirkliche Führer der Bewegung
war. 1992, als Rabin 415 islamische Aktivisten an die libanesische
Grenze deportierte, fand in Tel Aviv eine öffentliche Debatte über
die passende Antwort statt. Ich schlug vor, Protestzelte gegenüber
dem Amtssitz des Ministerpräsidenten aufzuschlagen und dort zu
bleiben, bis den Deportierten erlaubt werde, zurückzukehren. Reshef
wies dies zurück und sagte offen: „Peace Now wendet sich an eine
große Öffentlichkeit, und wir sollten nichts tun, das sie von uns
wegzieht. Avnery kann es sich leisten, all die richtigen Dinge zu
sagen. Wir können uns diesen Luxus nicht leisten.“
Wir genehmigten uns den Luxus, bauten
Zelte auf und blieben dort – Tag und Nacht bei Temperaturen unter
Null. ( In diesen Zelten wurde Gush Shalom geboren). Während der
Jahre übernahm Peace Now nach und nach unsere Position an, aber
immer erst nach einer Verzögerung von Monaten oder Jahren. So
übernahm sie verspätet die Zwei-Staaten-Lösung, die Notwendigkeit
mit der PLO zu reden, das Prinzip der zwei Hauptstädte in
Jerusalem, etc.
Diese Strategie würde legitim gewesen
sein, ja sogar gerechtfertigt - hätte sie sich bewährt. Aber im
wirklichen Leben, geschah genau das Gegenteil: die Massen verließen
Peace Now, und jetzt ist die Bewegung – wie wir alle - in einer
verzweifelten Nachhut-Schlacht engagiert gegen die wachsende Flut
des rechten Flügels.
Und anders als Professor Avineri –
empfinde ich keine Neigung zum Lachen.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom
Verfasser autorisiert)
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