Was
für ein wunderbarer Plan !
Uri Avnery, 10.5.06
NEUN
MONATE bevor Scharon in den Libanon einfiel, weihte er
mich in seinen großen Plan ein, der alle Probleme der
Region lösen sollte. Er war toll. Er bat mich nicht
darum, ihn geheim zu halten, sondern nur, ihn nicht
direkt mit seiner Person in Verbindung zu bringen. Also
veröffentlichte ich ihn in meinem Magazin Haolam Hazeh.
Sharon, der damals gerade erst zum Verteidigungsminister
ernannt worden war, war nicht mit bescheidenen Schritten
zufrieden, um die Situation zwischen Mittelmeer und dem
Jordan zu verbessern. Er wollte das Gesicht der ganzen
Region – also vier Länder – verändern. Die Hauptpunkte:
Vertreibung der Syrer aus dem Libanon; im Libanon einen
maronitisch-christlichen Diktator (Bashir Gemayel)
einsetzen; die Palästinenser aus dem Libanon nach Syrien
und von dort nach Jordanien transferieren; die
Palästinenser ermutigen, in Jordanien eine Revolution
auszulösen und König Hussein abzusetzen; Jordanien in
einen palästinensischen Staat unter Yassir Arafat
verwandeln und mit der palästinensischen Regierung in
Amman über die Zukunft der Westbank verhandeln. Eine
Möglichkeit: eine Situation zu schaffen, die es Israel
erlauben würde, in der ganzen Westbank Siedlungen zu
bauen, und den Palästinensern das Stimmrecht geben
würde, um für das Parlament in Amman zu stimmen.
Dies
war der Plan, der Scharon dazu anregte, im Sommer 1982
in den Libanon einzufallen. Er war nicht gerade
erfolgreich. Tatsächlich waren die Ergebnisse das
Gegenteil von dem, was er erwartet hatte. Israel blieb
18 Jahre lang im libanesischen Sumpf stecken und konnte
am Ende nur knapp entkommen. Die maronitischen Christen
führten in der Tat ein Massaker in Sabra und Shatila
aus, um die Palästinenser zu veranlassen, nach Syrien zu
fliehen; aber diese rührten sich nicht von der Stelle.
Bashir Gemayel wurde ohne Widerstand zum Präsidenten des
Libanon bestimmt, aber bald danach ermordet. Die Syrer
blieben für weitere 23 Jahre im Libanon und ließen nach
ihrem Rückzug die Hisbollah zurück. Arafat ging nicht
nach Amman, sondern nach Tunis und kehrte von dort nach
Palästina zurück, nachdem Israel die PLO anerkannt und
das Oslo-Abkommen unterzeichnet hatte.
An
dieses historische Fiasko wurde ich erinnert, als ich in
der vergangenen Woche den grandiosen Plan eines anderen
strategischen Genius sah: es handelt sich um
Generalmajor Giora Eiland, den früheren Chef der
militärischen Operationsabteilung, bis vor kurzem der
Chef des Nationalen Sicherheitsrates, einer
Regierungsabteilung, deren Aufgabe es ist, die nationale
Strategie zu formulieren.
WIE
SCHARON will General Eiland die ganze Region von Grund
auf neu ordnen. Sein großer Plan ist nicht weniger
eindrucksvoll als der von Scharon. Nicht der
Trennungsplan – Gott bewahre – sondern der großartige
Plan, den ich eben erwähnte. Eiland hat für Scharons
Trennungs- und Olmerts Konvergenzplan nur Verachtung
übrig. Für ihn sind Scharon und Olmert nur Dilettanten,
die keine Ahnung von Stabsarbeit und ordentlichen
Beratungen haben, sondern nur aus dem Bauch heraus
Entscheidungen treffen.
Wie
Eiland dem Haaretz-Interviewer Ari Shavit enthüllte,
hätte er einen ernsthafteren und besser ausgearbeiteten
Plan, wie folgt:
12 % der Westbank an Israel annektieren,
wenigstens 600qkm, um die Sicherheit
Israels mit gut zu verteidigenden Grenzen zu
garantieren.
Von Ägypten im Nordsinai 600qkm nehmen und
mit dem Gazastreifen verbinden,
damit die Palästinenser dort einen Seehafen
und einen internationalen Flughafen
und eine Stadt für 1 Million Menschen bauen
könnten.
Als Kompensation den Ägyptern 150 qkm
israelisches Land im Negev geben.
Den Ägyptern die Erlaubnis geben, einen
Tunnel zwischen Ägypten und Jordanien
in der Nähe von Eilat unter israelischem
Gebiet zu bauen.
100qkm Land von Jordanien den Palästinensern
transferieren – als Kompensation
für Land, das Israel den Palästinensern
nimmt.
Ich
habe Dutzende - wenn nicht gar Hunderte – Pläne von
rechtschaffenen Leuten gesehen, die wunderbare Ideen für
die Lösung des Konfliktes haben. Kaum ein Monat vergeht,
wo mir nicht irgend jemand einen weiteren Plan zumailt.
Eilands Plan ist nicht schlechter als die anderen
Utopien – leider ist er auch nicht besser.
Aber
es gibt einen großen Unterschied: der stolze Erfinder
dieses Plans ist eine Persönlichkeit, die eine zentrale
Rolle in den höchsten Rängen des israelischen
Sicherheits-Establishments spielt. Seine Ideen zeigen
etwas Typisches über die geistige Einstellung dieses
Kreises.
EINE
PERSON muss schon wirklich naiv sein und keinerlei
politisches Verständnis haben, um glauben zu machen,
dass es möglich sei, drei Regierungen – die der
Palästinenser, der Ägypter und der Jordanier, geschweige
denn die der Israelis - davon zu überzeugen, einen Teil
ihres Landes herzugeben.
Was
noch schlimmer ist: man braucht schon eine besondere
Einstellung, um Massen von Menschen so zu behandeln, als
wären sie Schachfiguren, die man ohne weiteres von einem
Staat in den andern, von hier nach dort, schieben könne.
In
der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts hat man so etwas
getan. Nach dem 1.Weltkrieg setzten sich die Politiker
hin und ordneten die Weltkarte neu, lösten Staaten auf
und setzten andere neu zusammen. Die Ergebnisse waren
meistens katastrophal. Nach dem 2. Weltkrieg tat Stalin
dasselbe: er annektierte ein großes Stück polnischen
Landes an die UDSSR und kompensierte Polen mit einem
großen Stück deutschen Landes. Bis heute hat es
funktioniert. Adolf Hitler wollte natürlich dasselbe in
umgekehrter Richtung durchführen.
In
unsrer Realität ist diese Idee absolut unausführbar. Es
ist aussichtslos, anzunehmen, dass Ägypten einen Teil
seines Landes für einen Fleck Wüste hergeben würde.
Schon Menachem Begin entdeckte, wie sensibel die Ägypter
in dieser Hinsicht sind. Er berührte die tiefsten
Fasern ihrer nationalen Seele. Am Ende gaben die Ägypter
nicht einen einzigen Quadratmillimeter ihres Gebietes
ab. Der Beleg: die Taba-Affäre.
Die
Chance, dass Jordanien ein großes Stück seines
fruchtbaren Landes an die Palästinenser opfern würde,
ist sogar noch geringer. Eiland scheint wie viele
israelische Armeeoffiziere, Jordanien tief zu verachten.
Genau so wenig wie er die Ägypter versteht, versteht er
die herrschende Klasse des Haschemitischen Königreichs.
Es ist – aus gutem Grund - ungewöhnlich sensibel
gegenüber Gefahren, die überall lauern. Doch erfreut es
sich natürlich der starken Unterstützung von Seiten der
USA und Großbritanniens.
Es
lohnt sich nicht, auf die Möglichkeit näher einzugehen,
die USA und Europa würden einen solchen Schachzug
unterstützen, der Menschen und Gebiete hin- und
herschiebt. Europa betrachtet bestehende Grenzen als
heilig. Wenn man erst damit anfängt, Grenzen zu
verändern, weiß man nicht, wo dies enden wird.
Eiland belastet sich nicht mit den praktischen Details
der Realisierung seines grandiosen Plans. Es scheint so,
als wolle er dies den Politikern überlassen – denselben
Politikern, die er so sehr verachtet. Wie der Erfinder,
der die Erdkugel sich langsamer drehen lassen will und
der gefragt wird, wie das ausgeführt werden soll,
antwortet: „Ich habe die Idee – die Ausführung ist der
Job der Techniker.“
Vor
Jahren sagte Boutrus Boutrus-Ghali, der damalige
Außenminister Ägyptens, mit einem feinen ironischen
Lächeln mir gegenüber: „Ihr Israelis habt de facto die
besten Experten in der Welt über arabische
Angelegenheiten. Sie haben alle Bücher und alle Artikel
gelesen. Sie wissen alles – und verstehen gar nichts,
weil sie nie einen einzigen Tag in einem arabischen Land
gelebt haben.“
General Eiland scheint keine Ausnahme zu sein.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser
autorisiert )
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